die Mutter befragte über die Unart, er konnte sich nicht trösten über des Kindes Häßlichkeit. Damals war er drei Jahr alt. -- Die Bettine, welche auf einem Sche- mel zu Füßen der Frau Rath saß, machte ihre eignen Glossen darüber und drückte der Mutter Knie an's Herz.
Zu der kleinen Schwester Cornelia hatte er, da sie noch in der Wiege lag, schon die zärtlichste Zuneigung, er trug ihr alles zu und wollte sie allein nähren und pflegen, und war eifersüchtig, wenn man sie aus der Wiege nahm, in der er sie beherrschte, da war sein Zorn nicht zu bändigen, er war überhaupt viel mehr zum Zürnen wie zum Weinen zu bringen.
Die Küche im Haus ging auf die Straße, an ei- nem Sonntag Morgen, da alles in der Kirche war, ge- rieth der kleine Wolfgang hinein und warf alles Ge- schirr nach einander zum Fenster hinaus, weil ihn das Rappeln freute und die Nachbarn, die es ergötzte, ihn dazu aufmunterten; die Mutter, die aus der Kirche kam, war sehr erstaunt, die Schüsseln alle herausfliegen zu sehen, da war er eben fertig und lachte so herzlich mit den Leuten auf der Straße, und die Mutter lachte mit.
Oft sah er nach den Sternen, von denen man ihm sagte, daß sie bei seiner Geburt eingestanden haben, hier mußte die Einbildungskraft der Mutter oft das Unmög-
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die Mutter befragte über die Unart, er konnte ſich nicht tröſten über des Kindes Häßlichkeit. Damals war er drei Jahr alt. — Die Bettine, welche auf einem Sche- mel zu Füßen der Frau Rath ſaß, machte ihre eignen Gloſſen darüber und drückte der Mutter Knie an's Herz.
Zu der kleinen Schweſter Cornelia hatte er, da ſie noch in der Wiege lag, ſchon die zärtlichſte Zuneigung, er trug ihr alles zu und wollte ſie allein nähren und pflegen, und war eiferſüchtig, wenn man ſie aus der Wiege nahm, in der er ſie beherrſchte, da war ſein Zorn nicht zu bändigen, er war überhaupt viel mehr zum Zürnen wie zum Weinen zu bringen.
Die Küche im Haus ging auf die Straße, an ei- nem Sonntag Morgen, da alles in der Kirche war, ge- rieth der kleine Wolfgang hinein und warf alles Ge- ſchirr nach einander zum Fenſter hinaus, weil ihn das Rappeln freute und die Nachbarn, die es ergötzte, ihn dazu aufmunterten; die Mutter, die aus der Kirche kam, war ſehr erſtaunt, die Schüſſeln alle herausfliegen zu ſehen, da war er eben fertig und lachte ſo herzlich mit den Leuten auf der Straße, und die Mutter lachte mit.
Oft ſah er nach den Sternen, von denen man ihm ſagte, daß ſie bei ſeiner Geburt eingeſtanden haben, hier mußte die Einbildungskraft der Mutter oft das Unmög-
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die Mutter befragte über die Unart, er konnte ſich nicht
tröſten über des Kindes Häßlichkeit. Damals war er
drei Jahr alt. — Die Bettine, welche auf einem Sche-
mel zu Füßen der Frau Rath ſaß, machte ihre eignen
Gloſſen darüber und drückte der Mutter Knie an's Herz.
Zu der kleinen Schweſter Cornelia hatte er, da ſie
noch in der Wiege lag, ſchon die zärtlichſte Zuneigung,
er trug ihr alles zu und wollte ſie allein nähren und
pflegen, und war eiferſüchtig, wenn man ſie aus der
Wiege nahm, in der er ſie beherrſchte, da war ſein Zorn
nicht zu bändigen, er war überhaupt viel mehr zum
Zürnen wie zum Weinen zu bringen.
Die Küche im Haus ging auf die Straße, an ei-
nem Sonntag Morgen, da alles in der Kirche war, ge-
rieth der kleine Wolfgang hinein und warf alles Ge-
ſchirr nach einander zum Fenſter hinaus, weil ihn das
Rappeln freute und die Nachbarn, die es ergötzte, ihn
dazu aufmunterten; die Mutter, die aus der Kirche kam,
war ſehr erſtaunt, die Schüſſeln alle herausfliegen zu
ſehen, da war er eben fertig und lachte ſo herzlich mit
den Leuten auf der Straße, und die Mutter lachte mit.
Oft ſah er nach den Sternen, von denen man ihm
ſagte, daß ſie bei ſeiner Geburt eingeſtanden haben, hier
mußte die Einbildungskraft der Mutter oft das Unmög-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/259>, abgerufen am 25.11.2024.
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