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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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daß Musik höhere Offenbarung ist als alle Weisheit
und Philosophie, sie ist der Wein, der zu neuen Erzeu-
gungen begeistert, und ich bin der Bacchus, der für die
Menschen diesen herrlichen Wein keltert und sie geistes-
trunken macht, wenn sie dann wieder nüchtern sind,
dann haben sie allerlei gefischt was sie mit auf's
Trockne bringen. -- Keinen Freund hab ich, ich muß
mit mir allein leben; ich weiß aber wohl daß Gott mir
näher ist wie den andern in meiner Kunst, ich gehe
ohne Furcht mit ihm um, ich hab ihn jedesmal erkannt
und verstanden, mir ist auch gar nicht bange um meine
Musik, die kann kein bös Schicksal haben, wem sie sich
verständlich macht, der muß frei werden von all dem
Elend, womit sich die andern schleppen. -- Dies alles
hat mir Beethoven gesagt wie ich ihn zum erstenmal
sah, mich durchdrang ein Gefühl von Ehrfurcht wie er
sich mit so freundlicher Offenheit gegen mich äußerte, da
ich ihm doch ganz unbedeutend sein mußte; auch war
ich verwundert, denn man hatte mir gesagt, er sei ganz
menschenscheu und lasse sich mit Niemand in ein Ge-
spräch ein. Man fürchtete sich mich zu ihm zu führen,
ich mußte ihn allein aufsuchen, er hat drei Wohnungen,
in denen er abwechselnd sich versteckt, eine auf dem
Lande, eine in der Stadt und die dritte auf der Bastei,

II. 9

daß Muſik höhere Offenbarung iſt als alle Weisheit
und Philoſophie, ſie iſt der Wein, der zu neuen Erzeu-
gungen begeiſtert, und ich bin der Bacchus, der für die
Menſchen dieſen herrlichen Wein keltert und ſie geiſtes-
trunken macht, wenn ſie dann wieder nüchtern ſind,
dann haben ſie allerlei gefiſcht was ſie mit auf's
Trockne bringen. — Keinen Freund hab ich, ich muß
mit mir allein leben; ich weiß aber wohl daß Gott mir
näher iſt wie den andern in meiner Kunſt, ich gehe
ohne Furcht mit ihm um, ich hab ihn jedesmal erkannt
und verſtanden, mir iſt auch gar nicht bange um meine
Muſik, die kann kein bös Schickſal haben, wem ſie ſich
verſtändlich macht, der muß frei werden von all dem
Elend, womit ſich die andern ſchleppen. — Dies alles
hat mir Beethoven geſagt wie ich ihn zum erſtenmal
ſah, mich durchdrang ein Gefühl von Ehrfurcht wie er
ſich mit ſo freundlicher Offenheit gegen mich äußerte, da
ich ihm doch ganz unbedeutend ſein mußte; auch war
ich verwundert, denn man hatte mir geſagt, er ſei ganz
menſchenſcheu und laſſe ſich mit Niemand in ein Ge-
ſpräch ein. Man fürchtete ſich mich zu ihm zu führen,
ich mußte ihn allein aufſuchen, er hat drei Wohnungen,
in denen er abwechſelnd ſich verſteckt, eine auf dem
Lande, eine in der Stadt und die dritte auf der Baſtei,

II. 9
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[193/0203] daß Muſik höhere Offenbarung iſt als alle Weisheit und Philoſophie, ſie iſt der Wein, der zu neuen Erzeu- gungen begeiſtert, und ich bin der Bacchus, der für die Menſchen dieſen herrlichen Wein keltert und ſie geiſtes- trunken macht, wenn ſie dann wieder nüchtern ſind, dann haben ſie allerlei gefiſcht was ſie mit auf's Trockne bringen. — Keinen Freund hab ich, ich muß mit mir allein leben; ich weiß aber wohl daß Gott mir näher iſt wie den andern in meiner Kunſt, ich gehe ohne Furcht mit ihm um, ich hab ihn jedesmal erkannt und verſtanden, mir iſt auch gar nicht bange um meine Muſik, die kann kein bös Schickſal haben, wem ſie ſich verſtändlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit ſich die andern ſchleppen. — Dies alles hat mir Beethoven geſagt wie ich ihn zum erſtenmal ſah, mich durchdrang ein Gefühl von Ehrfurcht wie er ſich mit ſo freundlicher Offenheit gegen mich äußerte, da ich ihm doch ganz unbedeutend ſein mußte; auch war ich verwundert, denn man hatte mir geſagt, er ſei ganz menſchenſcheu und laſſe ſich mit Niemand in ein Ge- ſpräch ein. Man fürchtete ſich mich zu ihm zu führen, ich mußte ihn allein aufſuchen, er hat drei Wohnungen, in denen er abwechſelnd ſich verſteckt, eine auf dem Lande, eine in der Stadt und die dritte auf der Baſtei, II. 9

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/203>, abgerufen am 21.05.2024.