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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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er den Schlüssel zu einer himmlischen Erkenntniß in un-
seren Händen, die uns der wahren Seeligkeit um eine
Stufe näher rückt.

Vor Dir kann ich's wohl bekennen, daß ich an ei-
nen göttlichen Zauber glaube, der das Element der gei-
stigen Natur ist, diesen Zauber übt Beethoven in seiner
Kunst; alles wessen er Dich darüber belehren kann, ist
reine Magie, jede Stellung ist Organisation einer hö-
heren Existenz, und so fühlt Beethoven sich auch, als
Begründer einer neuen sinnlichen Basis im geistigen Le-
ben; Du wirst wohl herausverstehen was ich sagen will
und was wahr ist. Wer könnte uns diesen Geist er-
setzen? von wem könnten wir ein gleiches erwarten? --
Das ganze menschliche Treiben geht wie ein Uhrwerk
an ihm auf und nieder, er allein erzeugt frei aus sich
das Ungeahnte, Unerschaffne, was sollte diesem auch der
Verkehr mit der Welt, der schon vor Sonnenaufgang
am heiligen Tagwerk ist, und nach Sonnenuntergang
kaum um sich sieht, der seines Leibes Nahrung vergißt,
und von dem Strom der Begeisterung im Flug an den
Ufern des flachen Alltagslebens vorüber getragen wird;
er selber sagte: "wenn ich die Augen aufschlage, so
muß ich seufzen, denn was ich sehe ist gegen meine Re-
ligion, und die Welt muß ich verachten, die nicht ahnt

daß

er den Schlüſſel zu einer himmliſchen Erkenntniß in un-
ſeren Händen, die uns der wahren Seeligkeit um eine
Stufe näher rückt.

Vor Dir kann ich's wohl bekennen, daß ich an ei-
nen göttlichen Zauber glaube, der das Element der gei-
ſtigen Natur iſt, dieſen Zauber übt Beethoven in ſeiner
Kunſt; alles weſſen er Dich darüber belehren kann, iſt
reine Magie, jede Stellung iſt Organiſation einer hö-
heren Exiſtenz, und ſo fühlt Beethoven ſich auch, als
Begründer einer neuen ſinnlichen Baſis im geiſtigen Le-
ben; Du wirſt wohl herausverſtehen was ich ſagen will
und was wahr iſt. Wer könnte uns dieſen Geiſt er-
ſetzen? von wem könnten wir ein gleiches erwarten? —
Das ganze menſchliche Treiben geht wie ein Uhrwerk
an ihm auf und nieder, er allein erzeugt frei aus ſich
das Ungeahnte, Unerſchaffne, was ſollte dieſem auch der
Verkehr mit der Welt, der ſchon vor Sonnenaufgang
am heiligen Tagwerk iſt, und nach Sonnenuntergang
kaum um ſich ſieht, der ſeines Leibes Nahrung vergißt,
und von dem Strom der Begeiſterung im Flug an den
Ufern des flachen Alltagslebens vorüber getragen wird;
er ſelber ſagte: „wenn ich die Augen aufſchlage, ſo
muß ich ſeufzen, denn was ich ſehe iſt gegen meine Re-
ligion, und die Welt muß ich verachten, die nicht ahnt

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[192/0202] er den Schlüſſel zu einer himmliſchen Erkenntniß in un- ſeren Händen, die uns der wahren Seeligkeit um eine Stufe näher rückt. Vor Dir kann ich's wohl bekennen, daß ich an ei- nen göttlichen Zauber glaube, der das Element der gei- ſtigen Natur iſt, dieſen Zauber übt Beethoven in ſeiner Kunſt; alles weſſen er Dich darüber belehren kann, iſt reine Magie, jede Stellung iſt Organiſation einer hö- heren Exiſtenz, und ſo fühlt Beethoven ſich auch, als Begründer einer neuen ſinnlichen Baſis im geiſtigen Le- ben; Du wirſt wohl herausverſtehen was ich ſagen will und was wahr iſt. Wer könnte uns dieſen Geiſt er- ſetzen? von wem könnten wir ein gleiches erwarten? — Das ganze menſchliche Treiben geht wie ein Uhrwerk an ihm auf und nieder, er allein erzeugt frei aus ſich das Ungeahnte, Unerſchaffne, was ſollte dieſem auch der Verkehr mit der Welt, der ſchon vor Sonnenaufgang am heiligen Tagwerk iſt, und nach Sonnenuntergang kaum um ſich ſieht, der ſeines Leibes Nahrung vergißt, und von dem Strom der Begeiſterung im Flug an den Ufern des flachen Alltagslebens vorüber getragen wird; er ſelber ſagte: „wenn ich die Augen aufſchlage, ſo muß ich ſeufzen, denn was ich ſehe iſt gegen meine Re- ligion, und die Welt muß ich verachten, die nicht ahnt daß

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/202>, abgerufen am 22.11.2024.