pel im Traumschlummer; das war die Binger Schaaf- heerde nebst Hund und Schäfer; er sah auch gleich nach seinem Bienenkorb; er sagte mir, daß er noch eine Weile hier weide, da hab' ihm der volle blühende Thymian und das warme, sonnige Plätzchen so wohl gefallen, daß er den Schwarm junger Bienen hier herauf gepflanzt habe, damit sie sich recht wohl befinden, und wenn sie sich dann mehren sollten und den ganzen gegitterten Beicht- stuhl einnehmen, wenn er übers Jahr wiederkäme, so solle es ihm recht lieb sein.
Der Schäfer ist ein alter Mann; er hat einen lan- gen, grauen Schnurrbart, er war Soldat, und erzählte mir allerlei von den Kriegsscenen und von der früheren Zeit; dabei pfiff er seinen Hund, der ihm die Heerde regierte. Von verschiedenen Burggeistern erzählte er auch, das glaube er alles nicht, aber auf der Ingelhei- mer Höhe, wo noch Ruinen von dem großen Kaisersaal stehen, da sei es nicht geheuer; er habe selbst auf der Haide im Mondschein einen Mann begegnet, ganz in Stahl gekleidet, dem sei ein Löwe gefolgt; und da der Löwe Menschen gewittert, so habe er fürchterlich ge- heult; da habe der Ritter sich umgekehrt, mit dem Finger gedroht, und gerufen: "bis stille, frevelicher Hund!" -- da sei der Löwe verstummt und habe dem
pel im Traumſchlummer; das war die Binger Schaaf- heerde nebſt Hund und Schäfer; er ſah auch gleich nach ſeinem Bienenkorb; er ſagte mir, daß er noch eine Weile hier weide, da hab' ihm der volle blühende Thymian und das warme, ſonnige Plätzchen ſo wohl gefallen, daß er den Schwarm junger Bienen hier herauf gepflanzt habe, damit ſie ſich recht wohl befinden, und wenn ſie ſich dann mehren ſollten und den ganzen gegitterten Beicht- ſtuhl einnehmen, wenn er übers Jahr wiederkäme, ſo ſolle es ihm recht lieb ſein.
Der Schäfer iſt ein alter Mann; er hat einen lan- gen, grauen Schnurrbart, er war Soldat, und erzählte mir allerlei von den Kriegsſcenen und von der früheren Zeit; dabei pfiff er ſeinen Hund, der ihm die Heerde regierte. Von verſchiedenen Burggeiſtern erzählte er auch, das glaube er alles nicht, aber auf der Ingelhei- mer Höhe, wo noch Ruinen von dem großen Kaiſerſaal ſtehen, da ſei es nicht geheuer; er habe ſelbſt auf der Haide im Mondſchein einen Mann begegnet, ganz in Stahl gekleidet, dem ſei ein Löwe gefolgt; und da der Löwe Menſchen gewittert, ſo habe er fürchterlich ge- heult; da habe der Ritter ſich umgekehrt, mit dem Finger gedroht, und gerufen: „bis ſtille, frevelicher Hund!“ — da ſei der Löwe verſtummt und habe dem
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pel im Traumſchlummer; das war die Binger Schaaf-
heerde nebſt Hund und Schäfer; er ſah auch gleich nach
ſeinem Bienenkorb; er ſagte mir, daß er noch eine Weile
hier weide, da hab' ihm der volle blühende Thymian
und das warme, ſonnige Plätzchen ſo wohl gefallen, daß
er den Schwarm junger Bienen hier herauf gepflanzt habe,
damit ſie ſich recht wohl befinden, und wenn ſie ſich
dann mehren ſollten und den ganzen gegitterten Beicht-
ſtuhl einnehmen, wenn er übers Jahr wiederkäme, ſo
ſolle es ihm recht lieb ſein.
Der Schäfer iſt ein alter Mann; er hat einen lan-
gen, grauen Schnurrbart, er war Soldat, und erzählte
mir allerlei von den Kriegsſcenen und von der früheren
Zeit; dabei pfiff er ſeinen Hund, der ihm die Heerde
regierte. Von verſchiedenen Burggeiſtern erzählte er
auch, das glaube er alles nicht, aber auf der Ingelhei-
mer Höhe, wo noch Ruinen von dem großen Kaiſerſaal
ſtehen, da ſei es nicht geheuer; er habe ſelbſt auf der
Haide im Mondſchein einen Mann begegnet, ganz in
Stahl gekleidet, dem ſei ein Löwe gefolgt; und da der
Löwe Menſchen gewittert, ſo habe er fürchterlich ge-
heult; da habe der Ritter ſich umgekehrt, mit dem
Finger gedroht, und gerufen: „bis ſtille, frevelicher
Hund!“ — da ſei der Löwe verſtummt und habe dem
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/327>, abgerufen am 24.11.2024.
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