Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Aus des Menschen Brust; -- er schaut sich selber an,
der Meister; -- das ist die Gewalt, die den Geist zitirt.
Er steigt hervor aus unendlicher Tiefe des Inneren, und
sie sehen sich scharf an, der Meister und der Geist, --
das ist die Begeistrung; -- so sieht der göttliche Geist
die Natur an, davon sie blüht. -- Da blühen Geister
aus dem Geist; sie umschlingen einander, sie strömen
aus, sie trinken einander, sie gebären einander; ihr Tanz
ist Form, Gebild; wir sehen sie nicht -- wir empfin-
den's, und unterwerfen uns seiner himmlischen Gewalt;
und indem wir dies thun, erleiden wir eine Einwirkung,
die uns heilt. -- Das ist Musik.

O, glaub' gewiß, daß wahre Musik übermenschlich
ist. Der Meister fordert das Unmögliche von den Gei-
stern, die ihm unterworfen sind, -- und siehe, es ist
möglich, sie leisten es. -- An Zauberei ist nicht zu zwei-
flen, nur muß man glauben, daß das Übermächtige auch
im Reich der Übermacht geleistet werde, und daß das
Höchste von der Ahndung, von dem Streben desjenigen
abhänge, dem die Geister sich neigen. Wer das Gött-
liche will, dem werden sie Göttliches leisten. Was ist
aber das Göttliche? -- Das ewige Opfer des mensch-
lichen Herzens an die Gottheit; -- dies Opfer geht hier
geistiger Weise vor; und wenn es der Meister auch

Aus des Menſchen Bruſt; — er ſchaut ſich ſelber an,
der Meiſter; — das iſt die Gewalt, die den Geiſt zitirt.
Er ſteigt hervor aus unendlicher Tiefe des Inneren, und
ſie ſehen ſich ſcharf an, der Meiſter und der Geiſt, —
das iſt die Begeiſtrung; — ſo ſieht der göttliche Geiſt
die Natur an, davon ſie blüht. — Da blühen Geiſter
aus dem Geiſt; ſie umſchlingen einander, ſie ſtrömen
aus, ſie trinken einander, ſie gebären einander; ihr Tanz
iſt Form, Gebild; wir ſehen ſie nicht — wir empfin-
den's, und unterwerfen uns ſeiner himmliſchen Gewalt;
und indem wir dies thun, erleiden wir eine Einwirkung,
die uns heilt. — Das iſt Muſik.

O, glaub' gewiß, daß wahre Muſik übermenſchlich
iſt. Der Meiſter fordert das Unmögliche von den Gei-
ſtern, die ihm unterworfen ſind, — und ſiehe, es iſt
möglich, ſie leiſten es. — An Zauberei iſt nicht zu zwei-
flen, nur muß man glauben, daß das Übermächtige auch
im Reich der Übermacht geleiſtet werde, und daß das
Höchſte von der Ahndung, von dem Streben desjenigen
abhänge, dem die Geiſter ſich neigen. Wer das Gött-
liche will, dem werden ſie Göttliches leiſten. Was iſt
aber das Göttliche? — Das ewige Opfer des menſch-
lichen Herzens an die Gottheit; — dies Opfer geht hier
geiſtiger Weiſe vor; und wenn es der Meiſter auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0315" n="283"/>
Aus des Men&#x017F;chen Bru&#x017F;t; &#x2014; er &#x017F;chaut &#x017F;ich &#x017F;elber an,<lb/>
der Mei&#x017F;ter; &#x2014; das i&#x017F;t die Gewalt, die den Gei&#x017F;t zitirt.<lb/>
Er &#x017F;teigt hervor aus unendlicher Tiefe des Inneren, und<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ehen &#x017F;ich &#x017F;charf an, der Mei&#x017F;ter und der Gei&#x017F;t, &#x2014;<lb/>
das i&#x017F;t die Begei&#x017F;trung; &#x2014; &#x017F;o &#x017F;ieht der göttliche Gei&#x017F;t<lb/>
die Natur an, davon &#x017F;ie blüht. &#x2014; Da blühen Gei&#x017F;ter<lb/>
aus dem Gei&#x017F;t; &#x017F;ie um&#x017F;chlingen einander, &#x017F;ie &#x017F;trömen<lb/>
aus, &#x017F;ie trinken einander, &#x017F;ie gebären einander; ihr Tanz<lb/>
i&#x017F;t Form, Gebild; wir &#x017F;ehen &#x017F;ie nicht &#x2014; wir empfin-<lb/>
den's, und unterwerfen uns &#x017F;einer himmli&#x017F;chen Gewalt;<lb/>
und indem wir dies thun, erleiden wir eine Einwirkung,<lb/>
die uns heilt. &#x2014; Das i&#x017F;t Mu&#x017F;ik.</p><lb/>
          <p>O, glaub' gewiß, daß wahre Mu&#x017F;ik übermen&#x017F;chlich<lb/>
i&#x017F;t. Der Mei&#x017F;ter fordert das Unmögliche von den Gei-<lb/>
&#x017F;tern, die ihm unterworfen &#x017F;ind, &#x2014; und &#x017F;iehe, es <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi><lb/>
möglich, &#x017F;ie lei&#x017F;ten es. &#x2014; An Zauberei i&#x017F;t nicht zu zwei-<lb/>
flen, nur muß man glauben, daß das Übermächtige auch<lb/>
im Reich der Übermacht gelei&#x017F;tet werde, und daß das<lb/>
Höch&#x017F;te von der Ahndung, von dem Streben desjenigen<lb/>
abhänge, dem die Gei&#x017F;ter &#x017F;ich neigen. Wer das Gött-<lb/>
liche will, dem werden &#x017F;ie Göttliches lei&#x017F;ten. Was i&#x017F;t<lb/>
aber das Göttliche? &#x2014; Das ewige Opfer des men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Herzens an die Gottheit; &#x2014; dies Opfer geht hier<lb/>
gei&#x017F;tiger Wei&#x017F;e vor; und wenn es der Mei&#x017F;ter auch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[283/0315] Aus des Menſchen Bruſt; — er ſchaut ſich ſelber an, der Meiſter; — das iſt die Gewalt, die den Geiſt zitirt. Er ſteigt hervor aus unendlicher Tiefe des Inneren, und ſie ſehen ſich ſcharf an, der Meiſter und der Geiſt, — das iſt die Begeiſtrung; — ſo ſieht der göttliche Geiſt die Natur an, davon ſie blüht. — Da blühen Geiſter aus dem Geiſt; ſie umſchlingen einander, ſie ſtrömen aus, ſie trinken einander, ſie gebären einander; ihr Tanz iſt Form, Gebild; wir ſehen ſie nicht — wir empfin- den's, und unterwerfen uns ſeiner himmliſchen Gewalt; und indem wir dies thun, erleiden wir eine Einwirkung, die uns heilt. — Das iſt Muſik. O, glaub' gewiß, daß wahre Muſik übermenſchlich iſt. Der Meiſter fordert das Unmögliche von den Gei- ſtern, die ihm unterworfen ſind, — und ſiehe, es iſt möglich, ſie leiſten es. — An Zauberei iſt nicht zu zwei- flen, nur muß man glauben, daß das Übermächtige auch im Reich der Übermacht geleiſtet werde, und daß das Höchſte von der Ahndung, von dem Streben desjenigen abhänge, dem die Geiſter ſich neigen. Wer das Gött- liche will, dem werden ſie Göttliches leiſten. Was iſt aber das Göttliche? — Das ewige Opfer des menſch- lichen Herzens an die Gottheit; — dies Opfer geht hier geiſtiger Weiſe vor; und wenn es der Meiſter auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/315
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/315>, abgerufen am 24.11.2024.