läugnet, oder nicht ahndet -- es ist doch wahr. -- Er- faßt er eine Melodie, so ahndet er schon ihre Vollkom- menheit, und das Herz unterwirft sich einer strengen Prüfung, es läßt sich alles gefallen, um dem Göttlichen näher zu kommen; je höher es steigt, je seeliger; und das ist das Verdienst des Meisters, daß er sich gefallen lasse, daß die Geister auf ihn eindringen, ihm nehmen, sein Ganzes vernichten, daß er ihnen gehorcht, das Höhere zu suchen unter ewigen Schmerzen der Begeistrung. Wo ich das alles, und einzig was ich gehört habe, war Musik. Wie ich aus dem Kloster kam nach Offenbach, da lag ich im Garten auf dem Rasen und hörte Salieri und Win- ter und Mozart und Cherubini und Haydn und Beet- hoven. Das alles umschwärmte mich; ich begriff's we- der mit den Ohren noch mit dem Verstand, aber ich fühlte es doch, während ich alles andre im Leben nicht fühlte; das heißt, der innere, höhere Mensch fühlte es; und schon damals fragte ich mich: wer ist das, der da gespeist und getränkt wird durch Musik, und was ist das, was da wächst und sich nährt und pflegt und selbst thätig wird durch sie? -- denn ich fühlte eine Bewegung zum Handeln; ich wußte aber nicht was ich ergreifen sollte. Oft dachte ich, ich müsse mit fliegender Fahne voranziehen den Völkern; ich würde sie auf Hö-
läugnet, oder nicht ahndet — es iſt doch wahr. — Er- faßt er eine Melodie, ſo ahndet er ſchon ihre Vollkom- menheit, und das Herz unterwirft ſich einer ſtrengen Prüfung, es läßt ſich alles gefallen, um dem Göttlichen näher zu kommen; je höher es ſteigt, je ſeeliger; und das iſt das Verdienſt des Meiſters, daß er ſich gefallen laſſe, daß die Geiſter auf ihn eindringen, ihm nehmen, ſein Ganzes vernichten, daß er ihnen gehorcht, das Höhere zu ſuchen unter ewigen Schmerzen der Begeiſtrung. Wo ich das alles, und einzig was ich gehört habe, war Muſik. Wie ich aus dem Kloſter kam nach Offenbach, da lag ich im Garten auf dem Raſen und hörte Salieri und Win- ter und Mozart und Cherubini und Haydn und Beet- hoven. Das alles umſchwärmte mich; ich begriff's we- der mit den Ohren noch mit dem Verſtand, aber ich fühlte es doch, während ich alles andre im Leben nicht fühlte; das heißt, der innere, höhere Menſch fühlte es; und ſchon damals fragte ich mich: wer iſt das, der da geſpeiſt und getränkt wird durch Muſik, und was iſt das, was da wächſt und ſich nährt und pflegt und ſelbſt thätig wird durch ſie? — denn ich fühlte eine Bewegung zum Handeln; ich wußte aber nicht was ich ergreifen ſollte. Oft dachte ich, ich müſſe mit fliegender Fahne voranziehen den Völkern; ich würde ſie auf Hö-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0316"n="284"/>
läugnet, oder nicht ahndet — es iſt <hirendition="#g">doch</hi> wahr. — Er-<lb/>
faßt er eine Melodie, ſo ahndet er ſchon ihre Vollkom-<lb/>
menheit, und das Herz unterwirft ſich einer ſtrengen<lb/>
Prüfung, es läßt ſich alles gefallen, um dem Göttlichen<lb/>
näher zu kommen; je höher es ſteigt, je ſeeliger; und<lb/>
das iſt das Verdienſt des Meiſters, daß er ſich gefallen<lb/>
laſſe, daß die Geiſter auf ihn eindringen, ihm nehmen,<lb/>ſein Ganzes vernichten, daß er ihnen gehorcht, das Höhere<lb/>
zu ſuchen unter ewigen Schmerzen der Begeiſtrung. Wo<lb/>
ich das alles, und einzig was ich gehört habe, war Muſik.<lb/>
Wie ich aus dem Kloſter kam nach Offenbach, da lag ich<lb/>
im Garten auf dem Raſen und hörte Salieri und Win-<lb/>
ter und Mozart und Cherubini und Haydn und Beet-<lb/>
hoven. Das alles umſchwärmte mich; ich begriff's we-<lb/>
der mit den Ohren noch mit dem Verſtand, aber ich<lb/>
fühlte es doch, während ich alles andre im Leben nicht<lb/>
fühlte; das heißt, der innere, höhere Menſch fühlte es;<lb/>
und ſchon damals fragte ich mich: wer iſt das, der da<lb/>
geſpeiſt und getränkt wird durch Muſik, und was iſt<lb/>
das, was da wächſt und ſich nährt und pflegt und<lb/>ſelbſt thätig wird durch ſie? — denn ich fühlte eine<lb/>
Bewegung zum Handeln; ich wußte aber nicht <hirendition="#g">was</hi> ich<lb/>
ergreifen ſollte. Oft dachte ich, ich müſſe mit fliegender<lb/>
Fahne voranziehen den Völkern; ich würde ſie auf Hö-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[284/0316]
läugnet, oder nicht ahndet — es iſt doch wahr. — Er-
faßt er eine Melodie, ſo ahndet er ſchon ihre Vollkom-
menheit, und das Herz unterwirft ſich einer ſtrengen
Prüfung, es läßt ſich alles gefallen, um dem Göttlichen
näher zu kommen; je höher es ſteigt, je ſeeliger; und
das iſt das Verdienſt des Meiſters, daß er ſich gefallen
laſſe, daß die Geiſter auf ihn eindringen, ihm nehmen,
ſein Ganzes vernichten, daß er ihnen gehorcht, das Höhere
zu ſuchen unter ewigen Schmerzen der Begeiſtrung. Wo
ich das alles, und einzig was ich gehört habe, war Muſik.
Wie ich aus dem Kloſter kam nach Offenbach, da lag ich
im Garten auf dem Raſen und hörte Salieri und Win-
ter und Mozart und Cherubini und Haydn und Beet-
hoven. Das alles umſchwärmte mich; ich begriff's we-
der mit den Ohren noch mit dem Verſtand, aber ich
fühlte es doch, während ich alles andre im Leben nicht
fühlte; das heißt, der innere, höhere Menſch fühlte es;
und ſchon damals fragte ich mich: wer iſt das, der da
geſpeiſt und getränkt wird durch Muſik, und was iſt
das, was da wächſt und ſich nährt und pflegt und
ſelbſt thätig wird durch ſie? — denn ich fühlte eine
Bewegung zum Handeln; ich wußte aber nicht was ich
ergreifen ſollte. Oft dachte ich, ich müſſe mit fliegender
Fahne voranziehen den Völkern; ich würde ſie auf Hö-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/316>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.