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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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allmälig wieder still ward, und ich mich ganz allein
empfand. Ich ging zurück und schrieb an die Günde-
rode; vielleicht finde ich den Brief noch unter meinen
Papieren, dann will ich ihn beilegen; ich weiß, daß ich
ihr die heißesten Bitten that, mir zu antworten; ich
schrieb ihr von diesen Studentenliedern, wie die gen
Himmel geschallt hätten und mir das tiefste Herz auf-
geregt; ja, ich legte meinen Kopf auf ihre Füße und
bat um Antwort, und wartete mit heißer Sehnsucht
acht Tage, aber nie erhielt ich eine Antwort; ich war
blind, ich war taub, ich ahndete nichts; noch zwei Mo-
nate gingen vorüber, -- da war ich wieder in Frank-
furt; -- ich lief ins Stift, machte die Thür auf: siehe
da stand sie und sah mich an; kalt, wie es schien; Gün-
derod', rief ich, darf ich hereinkommen? -- sie schwieg,
und wendete sich ab; Günderod', sag' nur ein Wort,
und ich lieg' an Deinem Herzen. Nein, sagte sie, komme
nicht näher, kehre wieder um, wir müssen uns doch tren-
nen. -- Was heißt das? -- So viel, daß wir uns in
einander geirrt haben und daß wir nicht zusammen ge-
hören. -- Ach, ich wendete um! ach, erste Verzweiflung,
erster grausamer Schlag, so empfindlich für ein junges
Herz! ich, die nichts kannte, wie die Unterwerfung, die
Hingebung in dieser Liebe, mußte so zurückgewiesen wer-

allmälig wieder ſtill ward, und ich mich ganz allein
empfand. Ich ging zurück und ſchrieb an die Günde-
rode; vielleicht finde ich den Brief noch unter meinen
Papieren, dann will ich ihn beilegen; ich weiß, daß ich
ihr die heißeſten Bitten that, mir zu antworten; ich
ſchrieb ihr von dieſen Studentenliedern, wie die gen
Himmel geſchallt hätten und mir das tiefſte Herz auf-
geregt; ja, ich legte meinen Kopf auf ihre Füße und
bat um Antwort, und wartete mit heißer Sehnſucht
acht Tage, aber nie erhielt ich eine Antwort; ich war
blind, ich war taub, ich ahndete nichts; noch zwei Mo-
nate gingen vorüber, — da war ich wieder in Frank-
furt; — ich lief ins Stift, machte die Thür auf: ſiehe
da ſtand ſie und ſah mich an; kalt, wie es ſchien; Gün-
derod', rief ich, darf ich hereinkommen? — ſie ſchwieg,
und wendete ſich ab; Günderod', ſag' nur ein Wort,
und ich lieg' an Deinem Herzen. Nein, ſagte ſie, komme
nicht näher, kehre wieder um, wir müſſen uns doch tren-
nen. — Was heißt das? — So viel, daß wir uns in
einander geirrt haben und daß wir nicht zuſammen ge-
hören. — Ach, ich wendete um! ach, erſte Verzweiflung,
erſter grauſamer Schlag, ſo empfindlich für ein junges
Herz! ich, die nichts kannte, wie die Unterwerfung, die
Hingebung in dieſer Liebe, mußte ſo zurückgewieſen wer-

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[104/0136] allmälig wieder ſtill ward, und ich mich ganz allein empfand. Ich ging zurück und ſchrieb an die Günde- rode; vielleicht finde ich den Brief noch unter meinen Papieren, dann will ich ihn beilegen; ich weiß, daß ich ihr die heißeſten Bitten that, mir zu antworten; ich ſchrieb ihr von dieſen Studentenliedern, wie die gen Himmel geſchallt hätten und mir das tiefſte Herz auf- geregt; ja, ich legte meinen Kopf auf ihre Füße und bat um Antwort, und wartete mit heißer Sehnſucht acht Tage, aber nie erhielt ich eine Antwort; ich war blind, ich war taub, ich ahndete nichts; noch zwei Mo- nate gingen vorüber, — da war ich wieder in Frank- furt; — ich lief ins Stift, machte die Thür auf: ſiehe da ſtand ſie und ſah mich an; kalt, wie es ſchien; Gün- derod', rief ich, darf ich hereinkommen? — ſie ſchwieg, und wendete ſich ab; Günderod', ſag' nur ein Wort, und ich lieg' an Deinem Herzen. Nein, ſagte ſie, komme nicht näher, kehre wieder um, wir müſſen uns doch tren- nen. — Was heißt das? — So viel, daß wir uns in einander geirrt haben und daß wir nicht zuſammen ge- hören. — Ach, ich wendete um! ach, erſte Verzweiflung, erſter grauſamer Schlag, ſo empfindlich für ein junges Herz! ich, die nichts kannte, wie die Unterwerfung, die Hingebung in dieſer Liebe, mußte ſo zurückgewieſen wer-

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/136>, abgerufen am 18.05.2024.