allmälig wieder still ward, und ich mich ganz allein empfand. Ich ging zurück und schrieb an die Günde- rode; vielleicht finde ich den Brief noch unter meinen Papieren, dann will ich ihn beilegen; ich weiß, daß ich ihr die heißesten Bitten that, mir zu antworten; ich schrieb ihr von diesen Studentenliedern, wie die gen Himmel geschallt hätten und mir das tiefste Herz auf- geregt; ja, ich legte meinen Kopf auf ihre Füße und bat um Antwort, und wartete mit heißer Sehnsucht acht Tage, aber nie erhielt ich eine Antwort; ich war blind, ich war taub, ich ahndete nichts; noch zwei Mo- nate gingen vorüber, -- da war ich wieder in Frank- furt; -- ich lief ins Stift, machte die Thür auf: siehe da stand sie und sah mich an; kalt, wie es schien; Gün- derod', rief ich, darf ich hereinkommen? -- sie schwieg, und wendete sich ab; Günderod', sag' nur ein Wort, und ich lieg' an Deinem Herzen. Nein, sagte sie, komme nicht näher, kehre wieder um, wir müssen uns doch tren- nen. -- Was heißt das? -- So viel, daß wir uns in einander geirrt haben und daß wir nicht zusammen ge- hören. -- Ach, ich wendete um! ach, erste Verzweiflung, erster grausamer Schlag, so empfindlich für ein junges Herz! ich, die nichts kannte, wie die Unterwerfung, die Hingebung in dieser Liebe, mußte so zurückgewiesen wer-
allmälig wieder ſtill ward, und ich mich ganz allein empfand. Ich ging zurück und ſchrieb an die Günde- rode; vielleicht finde ich den Brief noch unter meinen Papieren, dann will ich ihn beilegen; ich weiß, daß ich ihr die heißeſten Bitten that, mir zu antworten; ich ſchrieb ihr von dieſen Studentenliedern, wie die gen Himmel geſchallt hätten und mir das tiefſte Herz auf- geregt; ja, ich legte meinen Kopf auf ihre Füße und bat um Antwort, und wartete mit heißer Sehnſucht acht Tage, aber nie erhielt ich eine Antwort; ich war blind, ich war taub, ich ahndete nichts; noch zwei Mo- nate gingen vorüber, — da war ich wieder in Frank- furt; — ich lief ins Stift, machte die Thür auf: ſiehe da ſtand ſie und ſah mich an; kalt, wie es ſchien; Gün- derod', rief ich, darf ich hereinkommen? — ſie ſchwieg, und wendete ſich ab; Günderod', ſag' nur ein Wort, und ich lieg' an Deinem Herzen. Nein, ſagte ſie, komme nicht näher, kehre wieder um, wir müſſen uns doch tren- nen. — Was heißt das? — So viel, daß wir uns in einander geirrt haben und daß wir nicht zuſammen ge- hören. — Ach, ich wendete um! ach, erſte Verzweiflung, erſter grauſamer Schlag, ſo empfindlich für ein junges Herz! ich, die nichts kannte, wie die Unterwerfung, die Hingebung in dieſer Liebe, mußte ſo zurückgewieſen wer-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0136"n="104"/>
allmälig wieder ſtill ward, und ich mich ganz allein<lb/>
empfand. Ich ging zurück und ſchrieb an die Günde-<lb/>
rode; vielleicht finde ich den Brief noch unter meinen<lb/>
Papieren, dann will ich ihn beilegen; ich weiß, daß ich<lb/>
ihr die heißeſten Bitten that, mir zu antworten; ich<lb/>ſchrieb ihr von dieſen Studentenliedern, wie die gen<lb/>
Himmel geſchallt hätten und mir das tiefſte Herz auf-<lb/>
geregt; ja, ich legte meinen Kopf auf ihre Füße und<lb/>
bat um Antwort, und wartete mit heißer Sehnſucht<lb/>
acht Tage, aber nie erhielt ich eine Antwort; ich war<lb/>
blind, ich war taub, ich ahndete nichts; noch zwei Mo-<lb/>
nate gingen vorüber, — da war ich wieder in Frank-<lb/>
furt; — ich lief ins Stift, machte die Thür auf: ſiehe<lb/>
da ſtand ſie und ſah mich an; kalt, wie es ſchien; Gün-<lb/>
derod', rief ich, darf ich hereinkommen? —ſie ſchwieg,<lb/>
und wendete ſich ab; Günderod', ſag' nur ein Wort,<lb/>
und ich lieg' an Deinem Herzen. Nein, ſagte ſie, komme<lb/>
nicht näher, kehre wieder um, wir müſſen uns doch tren-<lb/>
nen. — Was heißt das? — So viel, daß wir uns in<lb/>
einander geirrt haben und daß wir nicht zuſammen ge-<lb/>
hören. — Ach, ich wendete um! ach, erſte Verzweiflung,<lb/>
erſter grauſamer Schlag, ſo empfindlich für ein junges<lb/>
Herz! ich, die nichts kannte, wie die Unterwerfung, die<lb/>
Hingebung in dieſer Liebe, mußte ſo zurückgewieſen wer-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[104/0136]
allmälig wieder ſtill ward, und ich mich ganz allein
empfand. Ich ging zurück und ſchrieb an die Günde-
rode; vielleicht finde ich den Brief noch unter meinen
Papieren, dann will ich ihn beilegen; ich weiß, daß ich
ihr die heißeſten Bitten that, mir zu antworten; ich
ſchrieb ihr von dieſen Studentenliedern, wie die gen
Himmel geſchallt hätten und mir das tiefſte Herz auf-
geregt; ja, ich legte meinen Kopf auf ihre Füße und
bat um Antwort, und wartete mit heißer Sehnſucht
acht Tage, aber nie erhielt ich eine Antwort; ich war
blind, ich war taub, ich ahndete nichts; noch zwei Mo-
nate gingen vorüber, — da war ich wieder in Frank-
furt; — ich lief ins Stift, machte die Thür auf: ſiehe
da ſtand ſie und ſah mich an; kalt, wie es ſchien; Gün-
derod', rief ich, darf ich hereinkommen? — ſie ſchwieg,
und wendete ſich ab; Günderod', ſag' nur ein Wort,
und ich lieg' an Deinem Herzen. Nein, ſagte ſie, komme
nicht näher, kehre wieder um, wir müſſen uns doch tren-
nen. — Was heißt das? — So viel, daß wir uns in
einander geirrt haben und daß wir nicht zuſammen ge-
hören. — Ach, ich wendete um! ach, erſte Verzweiflung,
erſter grauſamer Schlag, ſo empfindlich für ein junges
Herz! ich, die nichts kannte, wie die Unterwerfung, die
Hingebung in dieſer Liebe, mußte ſo zurückgewieſen wer-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/136>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.