ner Gegenwart ein kleines Kind auf den Schoos und sagte: wie heißt Du? -- Sophie. Nun, du sollst, so lang ich hier bin, Karoline heißen; Karoline, gieb mir einen Kuß. Da ward ich zornig, ich riß ihm das Kind vom Schoos, und trug es hinaus, fort durch den Garten auf den Thurm; da oben stellt' ich es in den Schnee, neben ihren Namen, und legte mich mit dem glühenden Gesicht hinein und weinte laut und das Kind weinte mit, und da ich herunter kam, begegnete mir Kreuzer; ich sagte: weg aus mei- nem Weg, fort. Der Philolog konnte sich einbilden, daß Ganymed ihm die Schaale des Jupiters reichen werde. -- Es war in der Neujahrsnacht; ich saß auf meiner Warte und schaute in die Tiefe; alles war so still -- kein Laut bis in die weiteste Ferne, und ich war betrübt um die Günderode, die mir keine Antwort gab; die Stadt lag unter mir, auf einmal schlug es Mitternacht, -- da stürmte es herauf, die Trommeln rührten sich, die Posthörner schmetterten, sie lösten ihre Flinten, sie jauchzten, die Studentenlieder tönten von allen Seiten, es stieg der Jubellärm, daß er mich bei- nah wie ein Meer umbraus'te; -- das vergesse ich nie, aber sagen kann ich auch nicht, wie mir so wunderlich war, da oben auf schwindelnder Höhe, und wie es
ner Gegenwart ein kleines Kind auf den Schoos und ſagte: wie heißt Du? — Sophie. Nun, du ſollſt, ſo lang ich hier bin, Karoline heißen; Karoline, gieb mir einen Kuß. Da ward ich zornig, ich riß ihm das Kind vom Schoos, und trug es hinaus, fort durch den Garten auf den Thurm; da oben ſtellt' ich es in den Schnee, neben ihren Namen, und legte mich mit dem glühenden Geſicht hinein und weinte laut und das Kind weinte mit, und da ich herunter kam, begegnete mir Kreuzer; ich ſagte: weg aus mei- nem Weg, fort. Der Philolog konnte ſich einbilden, daß Ganymed ihm die Schaale des Jupiters reichen werde. — Es war in der Neujahrsnacht; ich ſaß auf meiner Warte und ſchaute in die Tiefe; alles war ſo ſtill — kein Laut bis in die weiteſte Ferne, und ich war betrübt um die Günderode, die mir keine Antwort gab; die Stadt lag unter mir, auf einmal ſchlug es Mitternacht, — da ſtürmte es herauf, die Trommeln rührten ſich, die Poſthörner ſchmetterten, ſie löſten ihre Flinten, ſie jauchzten, die Studentenlieder tönten von allen Seiten, es ſtieg der Jubellärm, daß er mich bei- nah wie ein Meer umbrauſ'te; — das vergeſſe ich nie, aber ſagen kann ich auch nicht, wie mir ſo wunderlich war, da oben auf ſchwindelnder Höhe, und wie es
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ner Gegenwart ein kleines Kind auf den Schoos und
ſagte: wie heißt Du? — Sophie. Nun, du ſollſt, ſo
lang ich hier bin, Karoline heißen; Karoline, gieb
mir einen Kuß. Da ward ich zornig, ich riß ihm
das Kind vom Schoos, und trug es hinaus, fort
durch den Garten auf den Thurm; da oben ſtellt'
ich es in den Schnee, neben ihren Namen, und legte
mich mit dem glühenden Geſicht hinein und weinte
laut und das Kind weinte mit, und da ich herunter
kam, begegnete mir Kreuzer; ich ſagte: weg aus mei-
nem Weg, fort. Der Philolog konnte ſich einbilden,
daß Ganymed ihm die Schaale des Jupiters reichen
werde. — Es war in der Neujahrsnacht; ich ſaß
auf meiner Warte und ſchaute in die Tiefe; alles war
ſo ſtill — kein Laut bis in die weiteſte Ferne, und ich
war betrübt um die Günderode, die mir keine Antwort
gab; die Stadt lag unter mir, auf einmal ſchlug es
Mitternacht, — da ſtürmte es herauf, die Trommeln
rührten ſich, die Poſthörner ſchmetterten, ſie löſten ihre
Flinten, ſie jauchzten, die Studentenlieder tönten von
allen Seiten, es ſtieg der Jubellärm, daß er mich bei-
nah wie ein Meer umbrauſ'te; — das vergeſſe ich nie,
aber ſagen kann ich auch nicht, wie mir ſo wunderlich
war, da oben auf ſchwindelnder Höhe, und wie es
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/135>, abgerufen am 22.11.2024.
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