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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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sche Sackpfeife sich hören läßt. Nein, eine höhere Musik giebt
es wohl nicht, als die der Matrosen von Lord Nelsons Sieg,
wie sie die Hüte schwenken und die Stimmen, daß die Wolken
verziehen von ihrem Konzertsaale, wo Wagenrollen der Akkord
und Grundbaß. Ich denke mir dabei die Worte des Kaisers: *)
"Heiliger Gott! Heiliger Gott, was ist das? Der ein hat eine
"Hand, so hat der andre ein Bein, wenn sie dann erst zwo
"Händ hätten und zwey Bein, wie wollt ihr dann thun?"

Noch lehrreicher ist vielleicht die Zusammenstellung der Wa-
lischen Bardengeschichte mit den Schottischen Sängern **). Jene
lebten in einer festen Kunstverbindung, hatten vieljährigen Un-
terricht, Ehre, Fürstengunst, aber seit sie von der Religion ge-
schieden, treten ihre Gesänge fast nur im äussersten Elende schön
und rein hervor; das nur läutert sie zur Wahrheit, dagegen
entstanden bey ihnen sonst nur lächerliche Streitigkeiten für Har-
monie gegen Melodie, Machtsprüche und alles das kritische
Elend, was nachahmend auch bey uns über der Poesie ***) schwebt.

*) Götz von Berlichingens ritterliche Thaten. S. 117.
**) Vergl. Relicks of the Welsh Bards by Ed. Jones.
***) Zur Ehre der Deutschen kann man sagen, daß sie nicht Erfinder dieser
Höllenkünste der Rezensirbuden und des kritischen Waschweibergeschwätzes
sind, ungeachtet dergleichen Mode bey ihnen insonders gefaßt. Doch
sind hiebey immer noch wie ein Wirthshaus erster Klasse von einem der
vierten zu unterscheiden, die ernsthaften Dikasterien, wo freylich auch
oft die Akten über Stadtneuigkeiten vergessen werden, von den telegra-
phischen Büreaus aller literarischen Misere durch ganz Deutschland. Dem
freyen Sinne für Kunst und Wissenschaft sind auch diese lezteren an sich
lieb als Wiedererscheinung einer gewissen Gelehrsamkeitseinbildung, die
wohl jedem als Kind der Gelehrsamkeit vorausgeht, aber dieser freye
Sinn ist selten, der gröste Theil der Leser nimmt an Kunst und Wissen-
schaften gar keinen Theil, ihn reizt nur das Handelnde, das Bewegliche

ſche Sackpfeife ſich hoͤren laͤßt. Nein, eine hoͤhere Muſik giebt
es wohl nicht, als die der Matroſen von Lord Nelſons Sieg,
wie ſie die Huͤte ſchwenken und die Stimmen, daß die Wolken
verziehen von ihrem Konzertſaale, wo Wagenrollen der Akkord
und Grundbaß. Ich denke mir dabei die Worte des Kaiſers: *)
„Heiliger Gott! Heiliger Gott, was iſt das? Der ein hat eine
„Hand, ſo hat der andre ein Bein, wenn ſie dann erſt zwo
„Haͤnd haͤtten und zwey Bein, wie wollt ihr dann thun?“

Noch lehrreicher iſt vielleicht die Zuſammenſtellung der Wa-
liſchen Bardengeſchichte mit den Schottiſchen Saͤngern **). Jene
lebten in einer feſten Kunſtverbindung, hatten vieljaͤhrigen Un-
terricht, Ehre, Fuͤrſtengunſt, aber ſeit ſie von der Religion ge-
ſchieden, treten ihre Geſaͤnge faſt nur im aͤuſſerſten Elende ſchoͤn
und rein hervor; das nur laͤutert ſie zur Wahrheit, dagegen
entſtanden bey ihnen ſonſt nur laͤcherliche Streitigkeiten fuͤr Har-
monie gegen Melodie, Machtſpruͤche und alles das kritiſche
Elend, was nachahmend auch bey uns uͤber der Poeſie ***) ſchwebt.

*) Goͤtz von Berlichingens ritterliche Thaten. S. 117.
**) Vergl. Relicks of the Welsh Bards by Ed. Jones.
***) Zur Ehre der Deutſchen kann man ſagen, daß ſie nicht Erfinder dieſer
Hoͤllenkuͤnſte der Rezenſirbuden und des kritiſchen Waſchweibergeſchwaͤtzes
ſind, ungeachtet dergleichen Mode bey ihnen inſonders gefaßt. Doch
ſind hiebey immer noch wie ein Wirthshaus erſter Klaſſe von einem der
vierten zu unterſcheiden, die ernſthaften Dikaſterien, wo freylich auch
oft die Akten uͤber Stadtneuigkeiten vergeſſen werden, von den telegra-
phiſchen Buͤreaus aller literariſchen Miſere durch ganz Deutſchland. Dem
freyen Sinne fuͤr Kunſt und Wiſſenſchaft ſind auch dieſe lezteren an ſich
lieb als Wiedererſcheinung einer gewiſſen Gelehrſamkeitseinbildung, die
wohl jedem als Kind der Gelehrſamkeit vorausgeht, aber dieſer freye
Sinn iſt ſelten, der groͤſte Theil der Leſer nimmt an Kunſt und Wiſſen-
ſchaften gar keinen Theil, ihn reizt nur das Handelnde, das Bewegliche
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[460[470]/0479] ſche Sackpfeife ſich hoͤren laͤßt. Nein, eine hoͤhere Muſik giebt es wohl nicht, als die der Matroſen von Lord Nelſons Sieg, wie ſie die Huͤte ſchwenken und die Stimmen, daß die Wolken verziehen von ihrem Konzertſaale, wo Wagenrollen der Akkord und Grundbaß. Ich denke mir dabei die Worte des Kaiſers: *) „Heiliger Gott! Heiliger Gott, was iſt das? Der ein hat eine „Hand, ſo hat der andre ein Bein, wenn ſie dann erſt zwo „Haͤnd haͤtten und zwey Bein, wie wollt ihr dann thun?“ Noch lehrreicher iſt vielleicht die Zuſammenſtellung der Wa- liſchen Bardengeſchichte mit den Schottiſchen Saͤngern **). Jene lebten in einer feſten Kunſtverbindung, hatten vieljaͤhrigen Un- terricht, Ehre, Fuͤrſtengunſt, aber ſeit ſie von der Religion ge- ſchieden, treten ihre Geſaͤnge faſt nur im aͤuſſerſten Elende ſchoͤn und rein hervor; das nur laͤutert ſie zur Wahrheit, dagegen entſtanden bey ihnen ſonſt nur laͤcherliche Streitigkeiten fuͤr Har- monie gegen Melodie, Machtſpruͤche und alles das kritiſche Elend, was nachahmend auch bey uns uͤber der Poeſie ***) ſchwebt. *) Goͤtz von Berlichingens ritterliche Thaten. S. 117. **) Vergl. Relicks of the Welsh Bards by Ed. Jones. ***) Zur Ehre der Deutſchen kann man ſagen, daß ſie nicht Erfinder dieſer Hoͤllenkuͤnſte der Rezenſirbuden und des kritiſchen Waſchweibergeſchwaͤtzes ſind, ungeachtet dergleichen Mode bey ihnen inſonders gefaßt. Doch ſind hiebey immer noch wie ein Wirthshaus erſter Klaſſe von einem der vierten zu unterſcheiden, die ernſthaften Dikaſterien, wo freylich auch oft die Akten uͤber Stadtneuigkeiten vergeſſen werden, von den telegra- phiſchen Buͤreaus aller literariſchen Miſere durch ganz Deutſchland. Dem freyen Sinne fuͤr Kunſt und Wiſſenſchaft ſind auch dieſe lezteren an ſich lieb als Wiedererſcheinung einer gewiſſen Gelehrſamkeitseinbildung, die wohl jedem als Kind der Gelehrſamkeit vorausgeht, aber dieſer freye Sinn iſt ſelten, der groͤſte Theil der Leſer nimmt an Kunſt und Wiſſen- ſchaften gar keinen Theil, ihn reizt nur das Handelnde, das Bewegliche

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 460[470]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/479>, abgerufen am 05.05.2024.