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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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der, die mehr sind als Bilder, die auf uns zuwandeln, mit
uns reden, wäre so doch dieses! Doch bewährt die tiefe Kunst-
verehrung unserer Zeit, dieses Suchen nach etwas Ewigem,
was wir selbst erst hervorbringen sollten, die Zukunft einer Re-
ligion, die dann erst vorhanden, wenn alle darin als Stufen ei-
nes erhabenen Gemüths begriffen, über das sie selbst begeistert
ausflorirt. In diesem Gefühle einer lebenden Kunst in uns
wird gesund, was sonst krank wäre, diese Unbefriedigung an
dem, was wir haben, jenes Klagen der Zeit. Wir denken um-
her und werden aufmerksam, wie so vieles uns nimmer abge-
stoßen, wenn wir es nicht verkehrt angezogen, wie der größere
Theil der Welt, eine fremde Atmosphäre, durch unsere Luft
hätte hindurch gehen können, für uns unschwer, für uns un-
warm, keine Macht über uns habend, als unsre Furcht davor.
Große Kunst des Vergessens, in dir scheidet sich alle fremde Pe-
stilenz von unsrer Heimath, fort mit dem Fremden im Frem-
den, die Welt klimatisirt sich uns, fort mit dem Fremden im
Einheimischen! Nur darum ist Italien uns Italien, weil es
kräftig genug war, lange das Fremde zu übersehen: von seinen
Schauspielen her klingen noch die Lieder allen durch die Gassen,
und die Handwerker, die vor den Thüren arbeiten, lernen sie
den Vorübergehenden ab, Eitelkeit kennen sie dabey nicht, denn
sie kennen die Freude darin. Da mag die Musik wohl den gif-
tigen Biß der Tarantel heilen. -- Darum kann ich auch der
Engländer nicht zürnen, die über eine Ministerveränderung kaum
aufmerken, während ein italienisches Musikwunder im höchsten
Glanze vor ihnen erscheint, sie müsten ihr Höchstes opfern,
wenn sie diese Göttergunst erhalten wollten. Hören sie doch m[it]
herzlicher Theilnahme jedem rothbemäntelten Weibe an der S[ - 2 Zeichen fehlen]-
senecke zu, das von Maria von Schottland singt, jagen sie doch
dem Jagdhorn eifrig nach und regen die Füße, wo die schotti-

der, die mehr ſind als Bilder, die auf uns zuwandeln, mit
uns reden, waͤre ſo doch dieſes! Doch bewaͤhrt die tiefe Kunſt-
verehrung unſerer Zeit, dieſes Suchen nach etwas Ewigem,
was wir ſelbſt erſt hervorbringen ſollten, die Zukunft einer Re-
ligion, die dann erſt vorhanden, wenn alle darin als Stufen ei-
nes erhabenen Gemuͤths begriffen, uͤber das ſie ſelbſt begeiſtert
ausflorirt. In dieſem Gefuͤhle einer lebenden Kunſt in uns
wird geſund, was ſonſt krank waͤre, dieſe Unbefriedigung an
dem, was wir haben, jenes Klagen der Zeit. Wir denken um-
her und werden aufmerkſam, wie ſo vieles uns nimmer abge-
ſtoßen, wenn wir es nicht verkehrt angezogen, wie der groͤßere
Theil der Welt, eine fremde Atmoſphaͤre, durch unſere Luft
haͤtte hindurch gehen koͤnnen, fuͤr uns unſchwer, fuͤr uns un-
warm, keine Macht uͤber uns habend, als unſre Furcht davor.
Große Kunſt des Vergeſſens, in dir ſcheidet ſich alle fremde Pe-
ſtilenz von unſrer Heimath, fort mit dem Fremden im Frem-
den, die Welt klimatiſirt ſich uns, fort mit dem Fremden im
Einheimiſchen! Nur darum iſt Italien uns Italien, weil es
kraͤftig genug war, lange das Fremde zu uͤberſehen: von ſeinen
Schauſpielen her klingen noch die Lieder allen durch die Gaſſen,
und die Handwerker, die vor den Thuͤren arbeiten, lernen ſie
den Voruͤbergehenden ab, Eitelkeit kennen ſie dabey nicht, denn
ſie kennen die Freude darin. Da mag die Muſik wohl den gif-
tigen Biß der Tarantel heilen. — Darum kann ich auch der
Englaͤnder nicht zuͤrnen, die uͤber eine Miniſterveraͤnderung kaum
aufmerken, waͤhrend ein italieniſches Muſikwunder im hoͤchſten
Glanze vor ihnen erſcheint, ſie muͤſten ihr Hoͤchſtes opfern,
wenn ſie dieſe Goͤttergunſt erhalten wollten. Hoͤren ſie doch m[it]
herzlicher Theilnahme jedem rothbemaͤntelten Weibe an der S[ – 2 Zeichen fehlen]-
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dem Jagdhorn eifrig nach und regen die Fuͤße, wo die ſchotti-

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[459[469]/0478] der, die mehr ſind als Bilder, die auf uns zuwandeln, mit uns reden, waͤre ſo doch dieſes! Doch bewaͤhrt die tiefe Kunſt- verehrung unſerer Zeit, dieſes Suchen nach etwas Ewigem, was wir ſelbſt erſt hervorbringen ſollten, die Zukunft einer Re- ligion, die dann erſt vorhanden, wenn alle darin als Stufen ei- nes erhabenen Gemuͤths begriffen, uͤber das ſie ſelbſt begeiſtert ausflorirt. In dieſem Gefuͤhle einer lebenden Kunſt in uns wird geſund, was ſonſt krank waͤre, dieſe Unbefriedigung an dem, was wir haben, jenes Klagen der Zeit. Wir denken um- her und werden aufmerkſam, wie ſo vieles uns nimmer abge- ſtoßen, wenn wir es nicht verkehrt angezogen, wie der groͤßere Theil der Welt, eine fremde Atmoſphaͤre, durch unſere Luft haͤtte hindurch gehen koͤnnen, fuͤr uns unſchwer, fuͤr uns un- warm, keine Macht uͤber uns habend, als unſre Furcht davor. Große Kunſt des Vergeſſens, in dir ſcheidet ſich alle fremde Pe- ſtilenz von unſrer Heimath, fort mit dem Fremden im Frem- den, die Welt klimatiſirt ſich uns, fort mit dem Fremden im Einheimiſchen! Nur darum iſt Italien uns Italien, weil es kraͤftig genug war, lange das Fremde zu uͤberſehen: von ſeinen Schauſpielen her klingen noch die Lieder allen durch die Gaſſen, und die Handwerker, die vor den Thuͤren arbeiten, lernen ſie den Voruͤbergehenden ab, Eitelkeit kennen ſie dabey nicht, denn ſie kennen die Freude darin. Da mag die Muſik wohl den gif- tigen Biß der Tarantel heilen. — Darum kann ich auch der Englaͤnder nicht zuͤrnen, die uͤber eine Miniſterveraͤnderung kaum aufmerken, waͤhrend ein italieniſches Muſikwunder im hoͤchſten Glanze vor ihnen erſcheint, ſie muͤſten ihr Hoͤchſtes opfern, wenn ſie dieſe Goͤttergunſt erhalten wollten. Hoͤren ſie doch mit herzlicher Theilnahme jedem rothbemaͤntelten Weibe an der S__- ſenecke zu, das von Maria von Schottland ſingt, jagen ſie doch dem Jagdhorn eifrig nach und regen die Fuͤße, wo die ſchotti-

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 459[469]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/478>, abgerufen am 22.11.2024.