Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

Bild:
<< vorherige Seite

Nur da geachtet, wo sie recht und ganz gehört wurden, ohne
Kunstregel und Schule blieben die Schottischen Bänkelsänger dem
Großen und der Erfindung treu, so konnte ihnen auch die Form
nicht fehlen. Die Wälischen klagten immer, die Kunst sterbe
aus, sie war aber schon in ihnen ausgestorben; die Schotten
hatten viel Größeres zu klagen und zu freuen, denn die Kunst
lebte ihnen; bey jenen mußte ein Gesez den Schülern verbie-
then, ihre Lehrer in der Begeisterung nicht zu rupfen und aus-
zulachen: diese brauchten keinen solchen wunderlichen Anlauf zur
Poesie, wer dichtete, dem war dies Natur und Leben, wobey er
keine Gesichter schnitt. Die Lieder der Wälischen konnten durch
einen tollen Eroberer fast vertilgt werden, diese Schottischen le-
ben sich noch aus dem Herzen des Volks in den Mund unsterb-
lich. -- Wenn nun so einfache leichte Kunst viel wirkt, wie
kommt es, daß oft die schwere gehäufte sogenannte Kunst nichts
leistet? Wer nicht das Höchste will, kann auch das Kleinste
nicht; wer nur für sich schafft in stolzer Gleichgültigkeit, ob es
einer fasse und trage, wie soll er andre erfassen und ergreifen;
wer nur um jenes Völkchen buhlt, das immer läuft und klap-
pert, sich immer was zu sagen hat und eigentlich nie etwas
sagt; sie gleiten beide ab, nicht weil die Welt wirklich Eis,
sondern weil sie die beiden Eispole aufsuchen. -- Auch müssen
wir oft denken, es ist unendlich leicht, recht künstlich zu scheinen,
wenn man das Leichte schwer, das Schwere leicht nimmt; doch
was ist dieser Schein? Er wäre das Wesen, wenn es nicht er-

in den Gelehrten, er kommt endlich zu der wohlgefälligen Meinung,
daß die ganze Gelehrtenrepublik nichts als ein Ameisenhaufen sey, der
alles belaufe, kneife und beschmutze, um einigen armseligen Weihrauch
zusammen zu bringen.

Nur da geachtet, wo ſie recht und ganz gehoͤrt wurden, ohne
Kunſtregel und Schule blieben die Schottiſchen Baͤnkelſaͤnger dem
Großen und der Erfindung treu, ſo konnte ihnen auch die Form
nicht fehlen. Die Waͤliſchen klagten immer, die Kunſt ſterbe
aus, ſie war aber ſchon in ihnen ausgeſtorben; die Schotten
hatten viel Groͤßeres zu klagen und zu freuen, denn die Kunſt
lebte ihnen; bey jenen mußte ein Geſez den Schuͤlern verbie-
then, ihre Lehrer in der Begeiſterung nicht zu rupfen und aus-
zulachen: dieſe brauchten keinen ſolchen wunderlichen Anlauf zur
Poeſie, wer dichtete, dem war dies Natur und Leben, wobey er
keine Geſichter ſchnitt. Die Lieder der Waͤliſchen konnten durch
einen tollen Eroberer faſt vertilgt werden, dieſe Schottiſchen le-
ben ſich noch aus dem Herzen des Volks in den Mund unſterb-
lich. — Wenn nun ſo einfache leichte Kunſt viel wirkt, wie
kommt es, daß oft die ſchwere gehaͤufte ſogenannte Kunſt nichts
leiſtet? Wer nicht das Hoͤchſte will, kann auch das Kleinſte
nicht; wer nur fuͤr ſich ſchafft in ſtolzer Gleichguͤltigkeit, ob es
einer faſſe und trage, wie ſoll er andre erfaſſen und ergreifen;
wer nur um jenes Voͤlkchen buhlt, das immer laͤuft und klap-
pert, ſich immer was zu ſagen hat und eigentlich nie etwas
ſagt; ſie gleiten beide ab, nicht weil die Welt wirklich Eis,
ſondern weil ſie die beiden Eispole aufſuchen. — Auch muͤſſen
wir oft denken, es iſt unendlich leicht, recht kuͤnſtlich zu ſcheinen,
wenn man das Leichte ſchwer, das Schwere leicht nimmt; doch
was iſt dieſer Schein? Er waͤre das Weſen, wenn es nicht er-

in den Gelehrten, er kommt endlich zu der wohlgefaͤlligen Meinung,
daß die ganze Gelehrtenrepublik nichts als ein Ameiſenhaufen ſey, der
alles belaufe, kneife und beſchmutze, um einigen armſeligen Weihrauch
zuſammen zu bringen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0480" n="461[471]"/>
Nur da geachtet, wo &#x017F;ie recht und ganz geho&#x0364;rt wurden, ohne<lb/>
Kun&#x017F;tregel und Schule blieben die Schotti&#x017F;chen Ba&#x0364;nkel&#x017F;a&#x0364;nger dem<lb/>
Großen und der Erfindung treu, &#x017F;o konnte ihnen auch die Form<lb/>
nicht fehlen. Die Wa&#x0364;li&#x017F;chen klagten immer, die Kun&#x017F;t &#x017F;terbe<lb/>
aus, &#x017F;ie war aber &#x017F;chon in ihnen ausge&#x017F;torben; die Schotten<lb/>
hatten viel Gro&#x0364;ßeres zu klagen und zu freuen, denn die Kun&#x017F;t<lb/>
lebte ihnen; bey jenen mußte ein Ge&#x017F;ez den Schu&#x0364;lern verbie-<lb/>
then, ihre Lehrer in der Begei&#x017F;terung nicht zu rupfen und aus-<lb/>
zulachen: die&#x017F;e brauchten keinen &#x017F;olchen wunderlichen Anlauf zur<lb/>
Poe&#x017F;ie, wer dichtete, dem war dies Natur und Leben, wobey er<lb/>
keine Ge&#x017F;ichter &#x017F;chnitt. Die Lieder der Wa&#x0364;li&#x017F;chen konnten durch<lb/>
einen tollen Eroberer fa&#x017F;t vertilgt werden, die&#x017F;e Schotti&#x017F;chen le-<lb/>
ben &#x017F;ich noch aus dem Herzen des Volks in den Mund un&#x017F;terb-<lb/>
lich. &#x2014; Wenn nun &#x017F;o einfache leichte Kun&#x017F;t viel wirkt, wie<lb/>
kommt es, daß oft die &#x017F;chwere geha&#x0364;ufte &#x017F;ogenannte Kun&#x017F;t nichts<lb/>
lei&#x017F;tet? Wer nicht das Ho&#x0364;ch&#x017F;te will, kann auch das Klein&#x017F;te<lb/>
nicht; wer nur fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;chafft in &#x017F;tolzer Gleichgu&#x0364;ltigkeit, ob es<lb/>
einer fa&#x017F;&#x017F;e und trage, wie &#x017F;oll er andre erfa&#x017F;&#x017F;en und ergreifen;<lb/>
wer nur um jenes Vo&#x0364;lkchen buhlt, das immer la&#x0364;uft und klap-<lb/>
pert, &#x017F;ich immer was zu &#x017F;agen hat und eigentlich nie etwas<lb/>
&#x017F;agt; &#x017F;ie gleiten beide ab, nicht weil die Welt wirklich Eis,<lb/>
&#x017F;ondern weil &#x017F;ie die beiden Eispole auf&#x017F;uchen. &#x2014; Auch mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wir oft denken, es i&#x017F;t unendlich leicht, recht ku&#x0364;n&#x017F;tlich zu &#x017F;cheinen,<lb/>
wenn man das Leichte &#x017F;chwer, das Schwere leicht nimmt; doch<lb/>
was i&#x017F;t die&#x017F;er Schein? Er wa&#x0364;re das We&#x017F;en, wenn es nicht er-<lb/><note xml:id="note-0480" prev="#note-0479" place="foot" n="***)">in den Gelehrten, er kommt endlich zu der wohlgefa&#x0364;lligen Meinung,<lb/>
daß die ganze Gelehrtenrepublik nichts als ein Amei&#x017F;enhaufen &#x017F;ey, der<lb/>
alles belaufe, kneife und be&#x017F;chmutze, um einigen arm&#x017F;eligen Weihrauch<lb/>
zu&#x017F;ammen zu bringen.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[461[471]/0480] Nur da geachtet, wo ſie recht und ganz gehoͤrt wurden, ohne Kunſtregel und Schule blieben die Schottiſchen Baͤnkelſaͤnger dem Großen und der Erfindung treu, ſo konnte ihnen auch die Form nicht fehlen. Die Waͤliſchen klagten immer, die Kunſt ſterbe aus, ſie war aber ſchon in ihnen ausgeſtorben; die Schotten hatten viel Groͤßeres zu klagen und zu freuen, denn die Kunſt lebte ihnen; bey jenen mußte ein Geſez den Schuͤlern verbie- then, ihre Lehrer in der Begeiſterung nicht zu rupfen und aus- zulachen: dieſe brauchten keinen ſolchen wunderlichen Anlauf zur Poeſie, wer dichtete, dem war dies Natur und Leben, wobey er keine Geſichter ſchnitt. Die Lieder der Waͤliſchen konnten durch einen tollen Eroberer faſt vertilgt werden, dieſe Schottiſchen le- ben ſich noch aus dem Herzen des Volks in den Mund unſterb- lich. — Wenn nun ſo einfache leichte Kunſt viel wirkt, wie kommt es, daß oft die ſchwere gehaͤufte ſogenannte Kunſt nichts leiſtet? Wer nicht das Hoͤchſte will, kann auch das Kleinſte nicht; wer nur fuͤr ſich ſchafft in ſtolzer Gleichguͤltigkeit, ob es einer faſſe und trage, wie ſoll er andre erfaſſen und ergreifen; wer nur um jenes Voͤlkchen buhlt, das immer laͤuft und klap- pert, ſich immer was zu ſagen hat und eigentlich nie etwas ſagt; ſie gleiten beide ab, nicht weil die Welt wirklich Eis, ſondern weil ſie die beiden Eispole aufſuchen. — Auch muͤſſen wir oft denken, es iſt unendlich leicht, recht kuͤnſtlich zu ſcheinen, wenn man das Leichte ſchwer, das Schwere leicht nimmt; doch was iſt dieſer Schein? Er waͤre das Weſen, wenn es nicht er- ***) ***) in den Gelehrten, er kommt endlich zu der wohlgefaͤlligen Meinung, daß die ganze Gelehrtenrepublik nichts als ein Ameiſenhaufen ſey, der alles belaufe, kneife und beſchmutze, um einigen armſeligen Weihrauch zuſammen zu bringen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/480
Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 461[471]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/480>, abgerufen am 05.05.2024.