Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

bläulicher Duft umfließt. Dieser Felsenriese bildet den Ab-
schluß des Thales und zugleich die Scheidewand zwischen Bayern
und Tyrol, und zwar sieht er auf der bayrischen Seite aus
wie ein griechischer Berg mitten unter deutschen, mit Wäldern
und grünen Matten bekleideten Höhen. Nur lang stacheliches
Gestrüpp (Laatschen) und spärliches Gras wachsen auf der steilen
Steinwand, welche tiefe, schauerliche Schluchten durchfurchen,
worin nur im höchsten Sommer Eis und Schnee bis auf ein
geringes Maaß schmelzen. Die mannigfachsten Farben und
Lichter spielen auf dem grauen Rücken dieses Patriarchen und
verleihen ihm einen beständig wechselnden Reiz. Die Krone
seiner Schönheit aber ist die Abendbeleuchtung. Die gelblichen,
fahlen Lichtstrahlen der scheidenden Sonne gehen in einen rosigen
Schimmer über, welcher sich nach und nach in flammendes Roth
verwandelt, als sollte der Berg sammt Eis und Schnee als
Abendopfer verbrennen. Plötzlich zieht ein sanfter Regenschauer über
sein glühendes Haupt, und nun legt sich ein hell leuchtender Regen-
bogen, gleich einem königlichen Ordensband, auf die graue Felsen-
brust, und schimmert lange, lange in seinen herrlichsten Farben.
Mit welchem Entzücken betrachten wir das imposante Schau-
spiel! aber ach! alles Schöne auf dieser Erde dünkt uns nur
einen Augenblick zu dauern. Der Regenschleier zerreist, der
Friedensbogen wird blasser und verschwindet, die Purpurgluth
erlischt, und bald ist der Planberg gleich seinen mächtigen Brü-
dern in Nacht und Dunkel gehüllt. Der Vorhang rollt vor
dem wunderbaren Bilde nieder. -- Da ertönt in der stillen
Dorfkirche der Glockenruf zum englischen Gruß und lenkt unsere
Sinne dorthin, wo allein unvergängliche Herrlichkeit zu finden ist.

4. Die Alpennachbarn.

Jn der Bauernstube läuft der Wecker an der großen
Schwarzwälder Uhr mit Gerassel ab, und gleich darauf schlägt
es Mitternacht. Beim Adler-, Kugler-, Letner- und Luxbauer
wird es licht. Wer mitreist oder dabei zu thun hat, steht eiligst

bläulicher Duft umfließt. Dieſer Felſenrieſe bildet den Ab-
ſchluß des Thales und zugleich die Scheidewand zwiſchen Bayern
und Tyrol, und zwar ſieht er auf der bayriſchen Seite aus
wie ein griechiſcher Berg mitten unter deutſchen, mit Wäldern
und grünen Matten bekleideten Höhen. Nur lang ſtacheliches
Geſtrüpp (Laatſchen) und ſpärliches Gras wachſen auf der ſteilen
Steinwand, welche tiefe, ſchauerliche Schluchten durchfurchen,
worin nur im höchſten Sommer Eis und Schnee bis auf ein
geringes Maaß ſchmelzen. Die mannigfachſten Farben und
Lichter ſpielen auf dem grauen Rücken dieſes Patriarchen und
verleihen ihm einen beſtändig wechſelnden Reiz. Die Krone
ſeiner Schönheit aber iſt die Abendbeleuchtung. Die gelblichen,
fahlen Lichtſtrahlen der ſcheidenden Sonne gehen in einen roſigen
Schimmer über, welcher ſich nach und nach in flammendes Roth
verwandelt, als ſollte der Berg ſammt Eis und Schnee als
Abendopfer verbrennen. Plötzlich zieht ein ſanfter Regenſchauer über
ſein glühendes Haupt, und nun legt ſich ein hell leuchtender Regen-
bogen, gleich einem königlichen Ordensband, auf die graue Felſen-
bruſt, und ſchimmert lange, lange in ſeinen herrlichſten Farben.
Mit welchem Entzücken betrachten wir das impoſante Schau-
ſpiel! aber ach! alles Schöne auf dieſer Erde dünkt uns nur
einen Augenblick zu dauern. Der Regenſchleier zerreiſt, der
Friedensbogen wird blaſſer und verſchwindet, die Purpurgluth
erliſcht, und bald iſt der Planberg gleich ſeinen mächtigen Brü-
dern in Nacht und Dunkel gehüllt. Der Vorhang rollt vor
dem wunderbaren Bilde nieder. — Da ertönt in der ſtillen
Dorfkirche der Glockenruf zum engliſchen Gruß und lenkt unſere
Sinne dorthin, wo allein unvergängliche Herrlichkeit zu finden iſt.

4. Die Alpennachbarn.

Jn der Bauernſtube läuft der Wecker an der großen
Schwarzwälder Uhr mit Geraſſel ab, und gleich darauf ſchlägt
es Mitternacht. Beim Adler-, Kugler-, Letner- und Luxbauer
wird es licht. Wer mitreiſt oder dabei zu thun hat, ſteht eiligſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter">
        <p><pb facs="#f0015"/>
bläulicher Duft umfließt. Die&#x017F;er Fel&#x017F;enrie&#x017F;e bildet den Ab-<lb/>
&#x017F;chluß des Thales und zugleich die Scheidewand zwi&#x017F;chen Bayern<lb/>
und Tyrol, und zwar &#x017F;ieht er auf der bayri&#x017F;chen Seite aus<lb/>
wie ein griechi&#x017F;cher Berg mitten unter deut&#x017F;chen, mit Wäldern<lb/>
und grünen Matten bekleideten Höhen. Nur lang &#x017F;tacheliches<lb/>
Ge&#x017F;trüpp (Laat&#x017F;chen) und &#x017F;pärliches Gras wach&#x017F;en auf der &#x017F;teilen<lb/>
Steinwand, welche tiefe, &#x017F;chauerliche Schluchten durchfurchen,<lb/>
worin nur im höch&#x017F;ten Sommer Eis und Schnee bis auf ein<lb/>
geringes Maaß &#x017F;chmelzen. Die mannigfach&#x017F;ten Farben und<lb/>
Lichter &#x017F;pielen auf dem grauen Rücken die&#x017F;es Patriarchen und<lb/>
verleihen ihm einen be&#x017F;tändig wech&#x017F;elnden Reiz. Die Krone<lb/>
&#x017F;einer Schönheit aber i&#x017F;t die Abendbeleuchtung. Die gelblichen,<lb/>
fahlen Licht&#x017F;trahlen der &#x017F;cheidenden Sonne gehen in einen ro&#x017F;igen<lb/>
Schimmer über, welcher &#x017F;ich nach und nach in flammendes Roth<lb/>
verwandelt, als &#x017F;ollte der Berg &#x017F;ammt Eis und Schnee als<lb/>
Abendopfer verbrennen. Plötzlich zieht ein &#x017F;anfter Regen&#x017F;chauer über<lb/>
&#x017F;ein glühendes Haupt, und nun legt &#x017F;ich ein hell leuchtender Regen-<lb/>
bogen, gleich einem königlichen Ordensband, auf die graue Fel&#x017F;en-<lb/>
bru&#x017F;t, und &#x017F;chimmert lange, lange in &#x017F;einen herrlich&#x017F;ten Farben.<lb/>
Mit welchem Entzücken betrachten wir das impo&#x017F;ante Schau-<lb/>
&#x017F;piel! aber ach! alles Schöne auf die&#x017F;er Erde dünkt uns nur<lb/>
einen Augenblick zu dauern. Der Regen&#x017F;chleier zerrei&#x017F;t, der<lb/>
Friedensbogen wird bla&#x017F;&#x017F;er und ver&#x017F;chwindet, die Purpurgluth<lb/>
erli&#x017F;cht, und bald i&#x017F;t der Planberg gleich &#x017F;einen mächtigen Brü-<lb/>
dern in Nacht und Dunkel gehüllt. Der Vorhang rollt vor<lb/>
dem wunderbaren Bilde nieder. &#x2014; Da ertönt in der &#x017F;tillen<lb/>
Dorfkirche der Glockenruf zum engli&#x017F;chen Gruß und lenkt un&#x017F;ere<lb/>
Sinne dorthin, wo allein unvergängliche Herrlichkeit zu finden i&#x017F;t.</p><lb/>
      </div>
      <div type="chapter">
        <head>4. Die Alpennachbarn.</head><lb/>
        <p>Jn der Bauern&#x017F;tube läuft der Wecker an der großen<lb/>
Schwarzwälder Uhr mit Gera&#x017F;&#x017F;el ab, und gleich darauf &#x017F;chlägt<lb/>
es Mitternacht. Beim Adler-, Kugler-, Letner- und Luxbauer<lb/>
wird es licht. Wer mitrei&#x017F;t oder dabei zu thun hat, &#x017F;teht eilig&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] bläulicher Duft umfließt. Dieſer Felſenrieſe bildet den Ab- ſchluß des Thales und zugleich die Scheidewand zwiſchen Bayern und Tyrol, und zwar ſieht er auf der bayriſchen Seite aus wie ein griechiſcher Berg mitten unter deutſchen, mit Wäldern und grünen Matten bekleideten Höhen. Nur lang ſtacheliches Geſtrüpp (Laatſchen) und ſpärliches Gras wachſen auf der ſteilen Steinwand, welche tiefe, ſchauerliche Schluchten durchfurchen, worin nur im höchſten Sommer Eis und Schnee bis auf ein geringes Maaß ſchmelzen. Die mannigfachſten Farben und Lichter ſpielen auf dem grauen Rücken dieſes Patriarchen und verleihen ihm einen beſtändig wechſelnden Reiz. Die Krone ſeiner Schönheit aber iſt die Abendbeleuchtung. Die gelblichen, fahlen Lichtſtrahlen der ſcheidenden Sonne gehen in einen roſigen Schimmer über, welcher ſich nach und nach in flammendes Roth verwandelt, als ſollte der Berg ſammt Eis und Schnee als Abendopfer verbrennen. Plötzlich zieht ein ſanfter Regenſchauer über ſein glühendes Haupt, und nun legt ſich ein hell leuchtender Regen- bogen, gleich einem königlichen Ordensband, auf die graue Felſen- bruſt, und ſchimmert lange, lange in ſeinen herrlichſten Farben. Mit welchem Entzücken betrachten wir das impoſante Schau- ſpiel! aber ach! alles Schöne auf dieſer Erde dünkt uns nur einen Augenblick zu dauern. Der Regenſchleier zerreiſt, der Friedensbogen wird blaſſer und verſchwindet, die Purpurgluth erliſcht, und bald iſt der Planberg gleich ſeinen mächtigen Brü- dern in Nacht und Dunkel gehüllt. Der Vorhang rollt vor dem wunderbaren Bilde nieder. — Da ertönt in der ſtillen Dorfkirche der Glockenruf zum engliſchen Gruß und lenkt unſere Sinne dorthin, wo allein unvergängliche Herrlichkeit zu finden iſt. 4. Die Alpennachbarn. Jn der Bauernſtube läuft der Wecker an der großen Schwarzwälder Uhr mit Geraſſel ab, und gleich darauf ſchlägt es Mitternacht. Beim Adler-, Kugler-, Letner- und Luxbauer wird es licht. Wer mitreiſt oder dabei zu thun hat, ſteht eiligſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Andreas Hungeling / https://www.stimm-los.de/: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-06-17T10:39:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-06-17T10:39:18Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875/15
Zitationshilfe: Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875/15>, abgerufen am 24.11.2024.