Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.allein nach Haus kommt. Eine solche Läutkuh ist sich ihrer Wir hingegen wollen noch einen Blick auf das bezaubernde allein nach Haus kommt. Eine ſolche Läutkuh iſt ſich ihrer Wir hingegen wollen noch einen Blick auf das bezaubernde <TEI> <text> <body> <div type="chapter"> <p><pb facs="#f0014"/> allein nach Haus kommt. Eine ſolche Läutkuh iſt ſich ihrer<lb/> Würde nur zu gut bewußt, und wird ihr wegen irgend eines<lb/> Vergehens die Glocke abgenommen, ſo iſt ſie faſt durch keine<lb/> Gewalt in den Stall mehr zu bringen. Eben ſo genau weiß<lb/> auch die ganze Heerde den Termin des Auszuges, und findet<lb/> auch nur ein kurzer Aufſchub ſtatt, ſo ſcharren und ſchreien die<lb/> Thiere Tag und Nacht. — Die Bäuerin ſchärft heute der Sennerin<lb/> mit beſonderem Ernſt ein, wie ſie fleißig und achtſam ſein ſoll,<lb/> und daß ſie’s ja nicht überſehen darf, wenn ſich bei einem Kalb<lb/> der Rauſchbrand zeigt. Höre ſie Gutes von ihr, ſo werde ſie<lb/> ihr zu Jakobi, wenn ſie ſelbſt einmal <choice><sic>hinaufkomt</sic><corr>hinaufkommt</corr></choice>, zu den<lb/> weißen Semmeln einige Schmalzkücheln legen, alſo eine große<lb/> Gab’ bringen; und der Bauer vergißt nicht beizufügen: „und<lb/> hörſt Du, daß Du mir keinen Beſuch von einem Burſchen zu-<lb/> läßt, man kennt das ganz genau, ſie ſchwätzen den Mädeln die<lb/> Ohren voll und machen ſie verrückt. Aber das iſt leerer Wind:<lb/> wer ein braves Mädel freien will, der ſucht es daheim auf vor<lb/> aller Welt.“ — Bis nun alle Pflichten des Tages erfüllt, und<lb/> alle hergebrachten Gebräuche abgethan ſind, wird es Abend.<lb/> Nichts bleibt mehr zu thun übrig, als daß noch die Ketten der<lb/> Thiere auf den Wagen vor dem Aufbruch geworfen werden, da<lb/> aber dieſer ſchon um 1 Uhr in der Nacht ſtattfindet, ſo wird<lb/> heute die Abendſuppe früher als ſonſt gegeſſen, damit noch einige<lb/> Stunden zum Schlafen erübrigt werden, was wir denn auch<lb/> den Arbeitsmüden von Herzen gönnen.</p><lb/> <p>Wir hingegen wollen noch einen Blick auf das bezaubernde<lb/> Bild werfen, das ſich uns an einem ſo freundlichen Abend in<lb/> dieſem einſamen Bergthal zur Schau ſtellt. — Die Sonne iſt<lb/> im Sinken, im Thalgrund iſt es bereits finſter und auf den<lb/> Wäldern lagert nächtliches Dunkel; dagegen leuchtet auf den<lb/> Höhen noch die Sonne, und in ihrem Abendſchimmer erglänzt<lb/> eben hinter dem Dorfe auf ſteiler Bergſpitze ein koloſſales<lb/> Kreuz, das einſt zum Schutz gegen Wetterſchlag und Unglück<lb/> errichtet wurde. Das Auge folgt der ſchönen Bergkette, am<lb/> Hohlenſtein vorüber, bis zum gewaltigen Planberg, der vielleicht<lb/> deshalb vom Volk „Blauberg“ genannt wird, weil ihn oft ein<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
allein nach Haus kommt. Eine ſolche Läutkuh iſt ſich ihrer
Würde nur zu gut bewußt, und wird ihr wegen irgend eines
Vergehens die Glocke abgenommen, ſo iſt ſie faſt durch keine
Gewalt in den Stall mehr zu bringen. Eben ſo genau weiß
auch die ganze Heerde den Termin des Auszuges, und findet
auch nur ein kurzer Aufſchub ſtatt, ſo ſcharren und ſchreien die
Thiere Tag und Nacht. — Die Bäuerin ſchärft heute der Sennerin
mit beſonderem Ernſt ein, wie ſie fleißig und achtſam ſein ſoll,
und daß ſie’s ja nicht überſehen darf, wenn ſich bei einem Kalb
der Rauſchbrand zeigt. Höre ſie Gutes von ihr, ſo werde ſie
ihr zu Jakobi, wenn ſie ſelbſt einmal hinaufkommt, zu den
weißen Semmeln einige Schmalzkücheln legen, alſo eine große
Gab’ bringen; und der Bauer vergißt nicht beizufügen: „und
hörſt Du, daß Du mir keinen Beſuch von einem Burſchen zu-
läßt, man kennt das ganz genau, ſie ſchwätzen den Mädeln die
Ohren voll und machen ſie verrückt. Aber das iſt leerer Wind:
wer ein braves Mädel freien will, der ſucht es daheim auf vor
aller Welt.“ — Bis nun alle Pflichten des Tages erfüllt, und
alle hergebrachten Gebräuche abgethan ſind, wird es Abend.
Nichts bleibt mehr zu thun übrig, als daß noch die Ketten der
Thiere auf den Wagen vor dem Aufbruch geworfen werden, da
aber dieſer ſchon um 1 Uhr in der Nacht ſtattfindet, ſo wird
heute die Abendſuppe früher als ſonſt gegeſſen, damit noch einige
Stunden zum Schlafen erübrigt werden, was wir denn auch
den Arbeitsmüden von Herzen gönnen.
Wir hingegen wollen noch einen Blick auf das bezaubernde
Bild werfen, das ſich uns an einem ſo freundlichen Abend in
dieſem einſamen Bergthal zur Schau ſtellt. — Die Sonne iſt
im Sinken, im Thalgrund iſt es bereits finſter und auf den
Wäldern lagert nächtliches Dunkel; dagegen leuchtet auf den
Höhen noch die Sonne, und in ihrem Abendſchimmer erglänzt
eben hinter dem Dorfe auf ſteiler Bergſpitze ein koloſſales
Kreuz, das einſt zum Schutz gegen Wetterſchlag und Unglück
errichtet wurde. Das Auge folgt der ſchönen Bergkette, am
Hohlenſtein vorüber, bis zum gewaltigen Planberg, der vielleicht
deshalb vom Volk „Blauberg“ genannt wird, weil ihn oft ein
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