Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Oscar Linke. Schlaftrunken und nimmer erfrischt vom Schlaf Erwacht der Held in der Frühe; Wach steht schon vor ihm das reizende Weib Und spricht, doch sie lächelt mit Mühe: "Ergreife die Keule, das Löwengewand, Ich schenke dir einen der Tage, Und befreie das Land von dem Räuber im Wald, Schon ward er dem Lande zur Plage!" Und blitzschnell springt vom Lager der Held, Er fühlt in den Gliedern ein Schwellen: Es ist ihm, als säh' er zu sonnigstem Glanz Die dunkele Nacht sich erhellen. Umhängt sie ihm selber das glänzende Fell, Es däucht ihm wie kosendes Streicheln; Sie giebt ihm die Keule -- so fest er sie drückt, Als wollt' er sie kosend umschmeicheln. Wie leicht doch die schmähliche Kette zerbrach! Er sieht nur im Geist den Gesellen; Er gedenkt ihn am Saume des schattigen Wald's Gleichwie eine Tanne zu fällen. Kaum achtet er weiter des Weibes Geschwätz, Kaum fühlt er die Wonne des letzten Der Küsse -- der Küsse, die einst ihm das Blut In siedende Wogen versetzten! Er wandelt dahin und es ist ihm, was war, Wie Nacht und wie Nebel versunken; Er wandelt im sonnigen Lichte dahin, Vom Lichte, dem sonnigen, trunken. Da tönt es von fernher an sein Ohr Mit rauhem und heiserem Schalle: "Komm, zappelndes Mäuschen, dich hab' ich geseh'n, Und nimmer entrinnst du der Falle!" Oscar Linke. Schlaftrunken und nimmer erfriſcht vom Schlaf Erwacht der Held in der Frühe; Wach ſteht ſchon vor ihm das reizende Weib Und ſpricht, doch ſie lächelt mit Mühe: „Ergreife die Keule, das Löwengewand, Ich ſchenke dir einen der Tage, Und befreie das Land von dem Räuber im Wald, Schon ward er dem Lande zur Plage!“ Und blitzſchnell ſpringt vom Lager der Held, Er fühlt in den Gliedern ein Schwellen: Es iſt ihm, als ſäh’ er zu ſonnigſtem Glanz Die dunkele Nacht ſich erhellen. Umhängt ſie ihm ſelber das glänzende Fell, Es däucht ihm wie koſendes Streicheln; Sie giebt ihm die Keule — ſo feſt er ſie drückt, Als wollt’ er ſie koſend umſchmeicheln. Wie leicht doch die ſchmähliche Kette zerbrach! Er ſieht nur im Geiſt den Geſellen; Er gedenkt ihn am Saume des ſchattigen Wald’s Gleichwie eine Tanne zu fällen. Kaum achtet er weiter des Weibes Geſchwätz, Kaum fühlt er die Wonne des letzten Der Küſſe — der Küſſe, die einſt ihm das Blut In ſiedende Wogen verſetzten! Er wandelt dahin und es iſt ihm, was war, Wie Nacht und wie Nebel verſunken; Er wandelt im ſonnigen Lichte dahin, Vom Lichte, dem ſonnigen, trunken. Da tönt es von fernher an ſein Ohr Mit rauhem und heiſerem Schalle: „Komm, zappelndes Mäuschen, dich hab’ ich geſeh’n, Und nimmer entrinnſt du der Falle!“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0057" n="39"/> <fw place="top" type="header">Oscar Linke.</fw><lb/> <lg n="17"> <l>Schlaftrunken und nimmer erfriſcht vom Schlaf</l><lb/> <l>Erwacht der Held in der Frühe;</l><lb/> <l>Wach ſteht ſchon vor ihm das reizende Weib</l><lb/> <l>Und ſpricht, doch ſie lächelt mit Mühe:</l> </lg><lb/> <lg n="18"> <l>„Ergreife die Keule, das Löwengewand,</l><lb/> <l>Ich ſchenke dir <hi rendition="#g">einen</hi> der Tage,</l><lb/> <l>Und befreie das Land von dem Räuber im Wald,</l><lb/> <l>Schon ward er dem Lande zur Plage!“</l> </lg><lb/> <lg n="19"> <l>Und blitzſchnell ſpringt vom Lager der Held,</l><lb/> <l>Er fühlt in den Gliedern ein Schwellen:</l><lb/> <l>Es iſt ihm, als ſäh’ er zu ſonnigſtem Glanz</l><lb/> <l>Die dunkele Nacht ſich erhellen.</l> </lg><lb/> <lg n="20"> <l>Umhängt ſie ihm ſelber das glänzende Fell,</l><lb/> <l>Es däucht ihm wie koſendes Streicheln;</l><lb/> <l>Sie giebt ihm die Keule — ſo feſt er ſie drückt,</l><lb/> <l>Als wollt’ er ſie koſend umſchmeicheln.</l> </lg><lb/> <lg n="21"> <l>Wie <hi rendition="#g">leicht</hi> doch die ſchmähliche Kette zerbrach!</l><lb/> <l>Er ſieht nur im Geiſt den Geſellen;</l><lb/> <l>Er gedenkt ihn am Saume des ſchattigen Wald’s</l><lb/> <l>Gleichwie eine Tanne zu fällen.</l> </lg><lb/> <lg n="22"> <l>Kaum achtet er weiter des Weibes Geſchwätz,</l><lb/> <l>Kaum fühlt er die Wonne des letzten</l><lb/> <l>Der Küſſe — der Küſſe, die einſt ihm das Blut</l><lb/> <l>In ſiedende Wogen verſetzten!</l> </lg><lb/> <lg n="23"> <l>Er wandelt dahin und es iſt ihm, was <hi rendition="#g">war</hi>,</l><lb/> <l>Wie Nacht und wie Nebel verſunken;</l><lb/> <l>Er wandelt im ſonnigen Lichte dahin,</l><lb/> <l>Vom Lichte, dem ſonnigen, trunken.</l> </lg><lb/> <lg n="24"> <l>Da tönt es von fernher an ſein Ohr</l><lb/> <l>Mit rauhem und heiſerem Schalle:</l><lb/> <l>„Komm, zappelndes Mäuschen, dich hab’ ich geſeh’n,</l><lb/> <l>Und nimmer entrinnſt du der Falle!“</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [39/0057]
Oscar Linke.
Schlaftrunken und nimmer erfriſcht vom Schlaf
Erwacht der Held in der Frühe;
Wach ſteht ſchon vor ihm das reizende Weib
Und ſpricht, doch ſie lächelt mit Mühe:
„Ergreife die Keule, das Löwengewand,
Ich ſchenke dir einen der Tage,
Und befreie das Land von dem Räuber im Wald,
Schon ward er dem Lande zur Plage!“
Und blitzſchnell ſpringt vom Lager der Held,
Er fühlt in den Gliedern ein Schwellen:
Es iſt ihm, als ſäh’ er zu ſonnigſtem Glanz
Die dunkele Nacht ſich erhellen.
Umhängt ſie ihm ſelber das glänzende Fell,
Es däucht ihm wie koſendes Streicheln;
Sie giebt ihm die Keule — ſo feſt er ſie drückt,
Als wollt’ er ſie koſend umſchmeicheln.
Wie leicht doch die ſchmähliche Kette zerbrach!
Er ſieht nur im Geiſt den Geſellen;
Er gedenkt ihn am Saume des ſchattigen Wald’s
Gleichwie eine Tanne zu fällen.
Kaum achtet er weiter des Weibes Geſchwätz,
Kaum fühlt er die Wonne des letzten
Der Küſſe — der Küſſe, die einſt ihm das Blut
In ſiedende Wogen verſetzten!
Er wandelt dahin und es iſt ihm, was war,
Wie Nacht und wie Nebel verſunken;
Er wandelt im ſonnigen Lichte dahin,
Vom Lichte, dem ſonnigen, trunken.
Da tönt es von fernher an ſein Ohr
Mit rauhem und heiſerem Schalle:
„Komm, zappelndes Mäuschen, dich hab’ ich geſeh’n,
Und nimmer entrinnſt du der Falle!“
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