steigert die unheimliche Erwartung. Pause. -- Wieder ein- zelne pizzicato Baß-Achtel, dem Hörer in Absätzen, wie bei der Hinrichtung durch's Rad, beigebracht, machen die Sache immer peinlicher. Neue Pause. -- Nun meint man kommt was. Auf einmal, man weiß gar nicht warum, werden sämmt- liche Instrumente von plötzlich ausbrechender heftigster Tobsucht ergriffen, ein wahnsinniges Furioso prestissimo fortissimo raset los, und es vergeht einem vernünftigen Menschen Hören und Sehen. Man hofft immer auf's Ende. Der Componist neckt aber mit den immer scheinbar genäherten und wieder ent- zogenen, immer wiederkehrenden Schlußsätzen den unglücklichen Hörer, wie ein barbarischer Krieger den Wehrlosen mit dem letzten Todesstoß, oder ein naseweiser Junge seinen Pudel mit der vorgehaltenen, bald nahe bald ferne gerückten heißersehnten Bratwurst.
Mit dergleichen sollte man zum Tode verurtheilte arme Sünder martern und sie, wenn sie die Musik überstanden ha- ben, begnadigen; aber jeden unschuldigen Menschen, oder wenig- stens wer nichts recht Schweres verbrochen, billig verschonen.
In Summa: Will man anders Tafelmusik, so wähle man, um des Himmels willen, keine Zahnschmerz erregende Blechmusik im Zimmer, keine ernsten Posaunen, keinen Trom- mel- und Paucken-Donner, kein Trompetenschmettern, keinen Janitscharenlärm; eben so wenig aber Herz- und Schmerz- stücke, Sehnsuchtswalzer und Molltonarten, keine Largo und Adagio, sondern leichte tändelnde Allegro, kleinere Andante- Symphonieen, Rondo, Pastorale etc. einfach aus C- oder D- dur. Oboen, Klarinetten, Flöten, Hörner, Fagotts, mit Dis- cretion geblasen, genügen, und sind wohl am schicklichsten. Das Verfahren des wackeren Portraitmalers Joshua Rey- nolds gilt als Grundregel. Er wandte allen Fleiß auf den Hauptgegenstand und vernachlässigte absichtlich die Neben- und Beiwerke, um die Aufmerksamkeit nicht von jenem abzulenken.
ſteigert die unheimliche Erwartung. Pauſe. — Wieder ein- zelne pizzicato Baß-Achtel, dem Hoͤrer in Abſaͤtzen, wie bei der Hinrichtung durch’s Rad, beigebracht, machen die Sache immer peinlicher. Neue Pauſe. — Nun meint man kommt was. Auf einmal, man weiß gar nicht warum, werden ſaͤmmt- liche Inſtrumente von ploͤtzlich ausbrechender heftigſter Tobſucht ergriffen, ein wahnſinniges Furioso prestissimo fortissimo raſet los, und es vergeht einem vernuͤnftigen Menſchen Hoͤren und Sehen. Man hofft immer auf’s Ende. Der Componiſt neckt aber mit den immer ſcheinbar genaͤherten und wieder ent- zogenen, immer wiederkehrenden Schlußſaͤtzen den ungluͤcklichen Hoͤrer, wie ein barbariſcher Krieger den Wehrloſen mit dem letzten Todesſtoß, oder ein naſeweiſer Junge ſeinen Pudel mit der vorgehaltenen, bald nahe bald ferne geruͤckten heißerſehnten Bratwurſt.
Mit dergleichen ſollte man zum Tode verurtheilte arme Suͤnder martern und ſie, wenn ſie die Muſik uͤberſtanden ha- ben, begnadigen; aber jeden unſchuldigen Menſchen, oder wenig- ſtens wer nichts recht Schweres verbrochen, billig verſchonen.
In Summa: Will man anders Tafelmuſik, ſo waͤhle man, um des Himmels willen, keine Zahnſchmerz erregende Blechmuſik im Zimmer, keine ernſten Poſaunen, keinen Trom- mel- und Paucken-Donner, kein Trompetenſchmettern, keinen Janitſcharenlaͤrm; eben ſo wenig aber Herz- und Schmerz- ſtuͤcke, Sehnſuchtswalzer und Molltonarten, keine Largo und Adagio, ſondern leichte taͤndelnde Allegro, kleinere Andante- Symphonieen, Rondo, Pastorale etc. einfach aus C- oder D- dur. Oboen, Klarinetten, Floͤten, Hoͤrner, Fagotts, mit Dis- cretion geblaſen, genuͤgen, und ſind wohl am ſchicklichſten. Das Verfahren des wackeren Portraitmalers Joshua Rey- nolds gilt als Grundregel. Er wandte allen Fleiß auf den Hauptgegenſtand und vernachlaͤſſigte abſichtlich die Neben- und Beiwerke, um die Aufmerkſamkeit nicht von jenem abzulenken.
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ſteigert die unheimliche Erwartung. Pauſe. — Wieder ein-
zelne pizzicato Baß-Achtel, dem Hoͤrer in Abſaͤtzen, wie bei
der Hinrichtung durch’s Rad, beigebracht, machen die Sache
immer peinlicher. Neue Pauſe. — Nun meint man kommt
was. Auf einmal, man weiß gar nicht warum, werden ſaͤmmt-
liche Inſtrumente von ploͤtzlich ausbrechender heftigſter Tobſucht
ergriffen, ein wahnſinniges Furioso prestissimo fortissimo
raſet los, und es vergeht einem vernuͤnftigen Menſchen Hoͤren
und Sehen. Man hofft immer auf’s Ende. Der Componiſt
neckt aber mit den immer ſcheinbar genaͤherten und wieder ent-
zogenen, immer wiederkehrenden Schlußſaͤtzen den ungluͤcklichen
Hoͤrer, wie ein barbariſcher Krieger den Wehrloſen mit dem
letzten Todesſtoß, oder ein naſeweiſer Junge ſeinen Pudel mit
der vorgehaltenen, bald nahe bald ferne geruͤckten heißerſehnten
Bratwurſt.
Mit dergleichen ſollte man zum Tode verurtheilte arme
Suͤnder martern und ſie, wenn ſie die Muſik uͤberſtanden ha-
ben, begnadigen; aber jeden unſchuldigen Menſchen, oder wenig-
ſtens wer nichts recht Schweres verbrochen, billig verſchonen.
In Summa: Will man anders Tafelmuſik, ſo waͤhle
man, um des Himmels willen, keine Zahnſchmerz erregende
Blechmuſik im Zimmer, keine ernſten Poſaunen, keinen Trom-
mel- und Paucken-Donner, kein Trompetenſchmettern, keinen
Janitſcharenlaͤrm; eben ſo wenig aber Herz- und Schmerz-
ſtuͤcke, Sehnſuchtswalzer und Molltonarten, keine Largo und
Adagio, ſondern leichte taͤndelnde Allegro, kleinere Andante-
Symphonieen, Rondo, Pastorale etc. einfach aus C- oder D-
dur. Oboen, Klarinetten, Floͤten, Hoͤrner, Fagotts, mit Dis-
cretion geblaſen, genuͤgen, und ſind wohl am ſchicklichſten.
Das Verfahren des wackeren Portraitmalers Joshua Rey-
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/94>, abgerufen am 23.07.2024.
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