Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Gesang von wirklichen Sängern oder gar Sängerinnen wäre
viel zu gut zur Tafelmusik.

Die Sache hat aber immer noch ihr Bedenkliches. Lang-
same Tempi passen nicht. Nun bringt aber muntere, schnell
fortschreitende Musik in dem Hörer unwillkührliche entsprechen-
de rasche Bewegungen hervor und könnten also selbst einen sonst
taktfesten Esser aus der Mensur bringen und Anlaß zum zu
schnell Essen geben. Es ist also am gerathensten, mit Tafelmu-
sik zunächst die Zwischenpausen, in denen nicht gegessen wird,
die Zeit, wo ein Gericht abgetragen, und das andere noch nicht
aufgetragen ist, auszufüllen, auch wohl das Dessert damit
accompagniren zu lassen. Musik nach dem Essen ist eigentlich
keine Tafelmusik mehr.

Die Malerei und höhere Plastik kann und soll unmittel-
bar zum Essen nichts contribuiren. Hören und Essen zugleich
geht wohl noch. Jedes Sehen aber, außer dem auf die Speisen,
beeinträchtigt das Essen auf ungebührliche Weise. Höchstens
möchten gemalte Blumenvasen passiren. Fein gedacht ist der
Rath des Herrn von Rumohr: Alabastervasen mit meist ge-
ruchlosen Blumen auf die Tafel zu stellen. Uebrigens reichte
hier wohl die Plastik der Zuckerbäcker aus. Aber diese Kunst
verfehlt ganz ihren Zweck, wenn sie etwas bildet, was man
nicht essen kann. Eben so geht sie zu weit, wenn sie so schön
und zierlich bildet, daß es dem ästhetischen Gewissen des Essers
Ueberwindung kostet, so schöne Formen zu zerstören. Noch
verfehlter ist's, wenn sie Bildungen darstellt, die man aus Zorn
zerbeißen möchte. Ich habe einen spannlangen Straßburger
Münster von Zucker gesehen. Ein glänzender Beweis, in wel-
chem Maaße die Deutsche Kunst und der große Erwin von
Steinbach
immer lebendigere Anerkennung findet.

Mehr als die Bildhauerkunst hat die Baukunst zu leisten.
Im Sommer kühle, große, luftige Marmorsäle, im Winter
hinlänglich erheitzbare behagliche, nicht zu enge Räume, --

6

Geſang von wirklichen Saͤngern oder gar Saͤngerinnen waͤre
viel zu gut zur Tafelmuſik.

Die Sache hat aber immer noch ihr Bedenkliches. Lang-
ſame Tempi paſſen nicht. Nun bringt aber muntere, ſchnell
fortſchreitende Muſik in dem Hoͤrer unwillkuͤhrliche entſprechen-
de raſche Bewegungen hervor und koͤnnten alſo ſelbſt einen ſonſt
taktfeſten Eſſer aus der Menſur bringen und Anlaß zum zu
ſchnell Eſſen geben. Es iſt alſo am gerathenſten, mit Tafelmu-
ſik zunaͤchſt die Zwiſchenpauſen, in denen nicht gegeſſen wird,
die Zeit, wo ein Gericht abgetragen, und das andere noch nicht
aufgetragen iſt, auszufuͤllen, auch wohl das Deſſert damit
accompagniren zu laſſen. Muſik nach dem Eſſen iſt eigentlich
keine Tafelmuſik mehr.

Die Malerei und hoͤhere Plaſtik kann und ſoll unmittel-
bar zum Eſſen nichts contribuiren. Hoͤren und Eſſen zugleich
geht wohl noch. Jedes Sehen aber, außer dem auf die Speiſen,
beeintraͤchtigt das Eſſen auf ungebuͤhrliche Weiſe. Hoͤchſtens
moͤchten gemalte Blumenvaſen paſſiren. Fein gedacht iſt der
Rath des Herrn von Rumohr: Alabaſtervaſen mit meiſt ge-
ruchloſen Blumen auf die Tafel zu ſtellen. Uebrigens reichte
hier wohl die Plaſtik der Zuckerbaͤcker aus. Aber dieſe Kunſt
verfehlt ganz ihren Zweck, wenn ſie etwas bildet, was man
nicht eſſen kann. Eben ſo geht ſie zu weit, wenn ſie ſo ſchoͤn
und zierlich bildet, daß es dem aͤſthetiſchen Gewiſſen des Eſſers
Ueberwindung koſtet, ſo ſchoͤne Formen zu zerſtoͤren. Noch
verfehlter iſt’s, wenn ſie Bildungen darſtellt, die man aus Zorn
zerbeißen moͤchte. Ich habe einen ſpannlangen Straßburger
Muͤnſter von Zucker geſehen. Ein glaͤnzender Beweis, in wel-
chem Maaße die Deutſche Kunſt und der große Erwin von
Steinbach
immer lebendigere Anerkennung findet.

Mehr als die Bildhauerkunſt hat die Baukunſt zu leiſten.
Im Sommer kuͤhle, große, luftige Marmorſaͤle, im Winter
hinlaͤnglich erheitzbare behagliche, nicht zu enge Raͤume, —

6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0095" n="81"/>
Ge&#x017F;ang von wirklichen Sa&#x0364;ngern oder gar Sa&#x0364;ngerinnen wa&#x0364;re<lb/>
viel zu gut zur Tafelmu&#x017F;ik.</p><lb/>
        <p>Die Sache hat aber immer noch ihr Bedenkliches. Lang-<lb/>
&#x017F;ame <hi rendition="#aq">Tempi</hi> pa&#x017F;&#x017F;en nicht. Nun bringt aber muntere, &#x017F;chnell<lb/>
fort&#x017F;chreitende Mu&#x017F;ik in dem Ho&#x0364;rer unwillku&#x0364;hrliche ent&#x017F;prechen-<lb/>
de ra&#x017F;che Bewegungen hervor und ko&#x0364;nnten al&#x017F;o &#x017F;elb&#x017F;t einen &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
taktfe&#x017F;ten E&#x017F;&#x017F;er aus der Men&#x017F;ur bringen und Anlaß zum zu<lb/>
&#x017F;chnell E&#x017F;&#x017F;en geben. Es i&#x017F;t al&#x017F;o am gerathen&#x017F;ten, mit Tafelmu-<lb/>
&#x017F;ik zuna&#x0364;ch&#x017F;t die Zwi&#x017F;chenpau&#x017F;en, in denen nicht gege&#x017F;&#x017F;en wird,<lb/>
die Zeit, wo ein Gericht abgetragen, und das andere noch nicht<lb/>
aufgetragen i&#x017F;t, auszufu&#x0364;llen, auch wohl das De&#x017F;&#x017F;ert damit<lb/>
accompagniren zu la&#x017F;&#x017F;en. Mu&#x017F;ik nach dem E&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t eigentlich<lb/>
keine Tafelmu&#x017F;ik mehr.</p><lb/>
        <p>Die Malerei und ho&#x0364;here Pla&#x017F;tik kann und &#x017F;oll unmittel-<lb/>
bar zum E&#x017F;&#x017F;en nichts contribuiren. Ho&#x0364;ren und E&#x017F;&#x017F;en zugleich<lb/>
geht wohl noch. Jedes Sehen aber, außer dem auf die Spei&#x017F;en,<lb/>
beeintra&#x0364;chtigt das E&#x017F;&#x017F;en auf ungebu&#x0364;hrliche Wei&#x017F;e. Ho&#x0364;ch&#x017F;tens<lb/>
mo&#x0364;chten gemalte Blumenva&#x017F;en pa&#x017F;&#x017F;iren. Fein gedacht i&#x017F;t der<lb/>
Rath des Herrn <hi rendition="#g">von Rumohr:</hi> Alaba&#x017F;terva&#x017F;en mit mei&#x017F;t ge-<lb/>
ruchlo&#x017F;en Blumen auf die Tafel zu &#x017F;tellen. Uebrigens reichte<lb/>
hier wohl die Pla&#x017F;tik der Zuckerba&#x0364;cker aus. Aber die&#x017F;e Kun&#x017F;t<lb/>
verfehlt ganz ihren Zweck, wenn &#x017F;ie etwas bildet, was man<lb/>
nicht e&#x017F;&#x017F;en kann. Eben &#x017F;o geht &#x017F;ie zu weit, wenn &#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n<lb/>
und zierlich bildet, daß es dem a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Gewi&#x017F;&#x017F;en des E&#x017F;&#x017F;ers<lb/>
Ueberwindung ko&#x017F;tet, &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;ne Formen zu zer&#x017F;to&#x0364;ren. Noch<lb/>
verfehlter i&#x017F;t&#x2019;s, wenn &#x017F;ie Bildungen dar&#x017F;tellt, die man aus Zorn<lb/>
zerbeißen mo&#x0364;chte. Ich habe einen &#x017F;pannlangen Straßburger<lb/>
Mu&#x0364;n&#x017F;ter von Zucker ge&#x017F;ehen. Ein gla&#x0364;nzender Beweis, in wel-<lb/>
chem Maaße die Deut&#x017F;che Kun&#x017F;t und der große <hi rendition="#g">Erwin von<lb/>
Steinbach</hi> immer lebendigere Anerkennung findet.</p><lb/>
        <p>Mehr als die Bildhauerkun&#x017F;t hat die Baukun&#x017F;t zu lei&#x017F;ten.<lb/>
Im Sommer ku&#x0364;hle, große, luftige Marmor&#x017F;a&#x0364;le, im Winter<lb/>
hinla&#x0364;nglich erheitzbare behagliche, nicht zu enge Ra&#x0364;ume, &#x2014;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">6</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0095] Geſang von wirklichen Saͤngern oder gar Saͤngerinnen waͤre viel zu gut zur Tafelmuſik. Die Sache hat aber immer noch ihr Bedenkliches. Lang- ſame Tempi paſſen nicht. Nun bringt aber muntere, ſchnell fortſchreitende Muſik in dem Hoͤrer unwillkuͤhrliche entſprechen- de raſche Bewegungen hervor und koͤnnten alſo ſelbſt einen ſonſt taktfeſten Eſſer aus der Menſur bringen und Anlaß zum zu ſchnell Eſſen geben. Es iſt alſo am gerathenſten, mit Tafelmu- ſik zunaͤchſt die Zwiſchenpauſen, in denen nicht gegeſſen wird, die Zeit, wo ein Gericht abgetragen, und das andere noch nicht aufgetragen iſt, auszufuͤllen, auch wohl das Deſſert damit accompagniren zu laſſen. Muſik nach dem Eſſen iſt eigentlich keine Tafelmuſik mehr. Die Malerei und hoͤhere Plaſtik kann und ſoll unmittel- bar zum Eſſen nichts contribuiren. Hoͤren und Eſſen zugleich geht wohl noch. Jedes Sehen aber, außer dem auf die Speiſen, beeintraͤchtigt das Eſſen auf ungebuͤhrliche Weiſe. Hoͤchſtens moͤchten gemalte Blumenvaſen paſſiren. Fein gedacht iſt der Rath des Herrn von Rumohr: Alabaſtervaſen mit meiſt ge- ruchloſen Blumen auf die Tafel zu ſtellen. Uebrigens reichte hier wohl die Plaſtik der Zuckerbaͤcker aus. Aber dieſe Kunſt verfehlt ganz ihren Zweck, wenn ſie etwas bildet, was man nicht eſſen kann. Eben ſo geht ſie zu weit, wenn ſie ſo ſchoͤn und zierlich bildet, daß es dem aͤſthetiſchen Gewiſſen des Eſſers Ueberwindung koſtet, ſo ſchoͤne Formen zu zerſtoͤren. Noch verfehlter iſt’s, wenn ſie Bildungen darſtellt, die man aus Zorn zerbeißen moͤchte. Ich habe einen ſpannlangen Straßburger Muͤnſter von Zucker geſehen. Ein glaͤnzender Beweis, in wel- chem Maaße die Deutſche Kunſt und der große Erwin von Steinbach immer lebendigere Anerkennung findet. Mehr als die Bildhauerkunſt hat die Baukunſt zu leiſten. Im Sommer kuͤhle, große, luftige Marmorſaͤle, im Winter hinlaͤnglich erheitzbare behagliche, nicht zu enge Raͤume, — 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/95
Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/95>, abgerufen am 24.11.2024.