Rechnung finden, als ohne dieß zulässig schiene. Auf diese Art würde zugleich am leichtesten zu erfüllen sein, wozu Sirach ermahnt: Irre die Spielleute nicht, und wenn man Lieder sin- get, so wasche nicht darein, und spare Deine Weisheit bis zur andern Zeit.
Ob ich mich gleich meines Sommeraufenthaltes in Wien, wo ich kaum ein paarmal ohne Musik dinirte, mit Lust erin- nere, darf ich doch die da gemachte Erfahrung nicht verschwei- gen, daß gerade, die bei Musik das Wenigste denken und gar nicht wissen, was sie damit wollen, am meisten dafür enthusias- mirt sind.
Mozart wählte zur Tafelmusik im Don Juan sehr glück- lich gar liebliche Piecen aus Martini's Cosa rara, und es ist das wohl das Beste, welches in dieser Art nur gefunden wer- den mag. Der eben so große Eß- als Tonkünstler Rossini hat in diesem Genre Vortreffliches geleistet. Sein Barbier bie- tet die schönste Auswahl; viel zu rührend wäre dagegen sein Tancred, und wollte man gar eine Weigel'sche Schweizerfa- milie wählen, so könnten Empfindsamere vor lauter Weinen gar nicht zum Essen kommen. Spontinische Musik würde wenigstens nicht durch zu großen Melodieen-Reichthum die Aufmerksamkeit vom Essen abziehen, könnte aber durch ihren Herz und Nieren erschütternden Ambos- und Hammer-, Trom- mel- und Trompetenlärm einen, dem Appetit sehr ungünstigen, Schrecken einflößen.
Ach, wie viele Musiken sind nichts, als mehr oder weniger auffallende Paraphrasen anderer Besserer!
Die Meisten der ganz neuen Componisten aber sind rein unappetitlich. Da beginnt eine Ouverture mit einigen geheim- nißvollen kurzen Baßarten im Adagio, ahnungserweckende be- denkliche Pausen folgen, düstre Triolen und Sextolen würgen, wühlen und arbeiten in der Tiefe; einiges hohes Gänsegeschnatter
Rechnung finden, als ohne dieß zulaͤſſig ſchiene. Auf dieſe Art wuͤrde zugleich am leichteſten zu erfuͤllen ſein, wozu Sirach ermahnt: Irre die Spielleute nicht, und wenn man Lieder ſin- get, ſo waſche nicht darein, und ſpare Deine Weisheit bis zur andern Zeit.
Ob ich mich gleich meines Sommeraufenthaltes in Wien, wo ich kaum ein paarmal ohne Muſik dinirte, mit Luſt erin- nere, darf ich doch die da gemachte Erfahrung nicht verſchwei- gen, daß gerade, die bei Muſik das Wenigſte denken und gar nicht wiſſen, was ſie damit wollen, am meiſten dafuͤr enthuſias- mirt ſind.
Mozart waͤhlte zur Tafelmuſik im Don Juan ſehr gluͤck- lich gar liebliche Piecen aus Martini’s Coſa rara, und es iſt das wohl das Beſte, welches in dieſer Art nur gefunden wer- den mag. Der eben ſo große Eß- als Tonkuͤnſtler Roſſini hat in dieſem Genre Vortreffliches geleiſtet. Sein Barbier bie- tet die ſchoͤnſte Auswahl; viel zu ruͤhrend waͤre dagegen ſein Tancred, und wollte man gar eine Weigel’ſche Schweizerfa- milie waͤhlen, ſo koͤnnten Empfindſamere vor lauter Weinen gar nicht zum Eſſen kommen. Spontiniſche Muſik wuͤrde wenigſtens nicht durch zu großen Melodieen-Reichthum die Aufmerkſamkeit vom Eſſen abziehen, koͤnnte aber durch ihren Herz und Nieren erſchuͤtternden Ambos- und Hammer-, Trom- mel- und Trompetenlaͤrm einen, dem Appetit ſehr unguͤnſtigen, Schrecken einfloͤßen.
Ach, wie viele Muſiken ſind nichts, als mehr oder weniger auffallende Paraphraſen anderer Beſſerer!
Die Meiſten der ganz neuen Componiſten aber ſind rein unappetitlich. Da beginnt eine Ouverture mit einigen geheim- nißvollen kurzen Baßarten im Adagio, ahnungserweckende be- denkliche Pauſen folgen, duͤſtre Triolen und Sextolen wuͤrgen, wuͤhlen und arbeiten in der Tiefe; einiges hohes Gaͤnſegeſchnatter
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[79/0093]
Rechnung finden, als ohne dieß zulaͤſſig ſchiene. Auf dieſe
Art wuͤrde zugleich am leichteſten zu erfuͤllen ſein, wozu Sirach
ermahnt: Irre die Spielleute nicht, und wenn man Lieder ſin-
get, ſo waſche nicht darein, und ſpare Deine Weisheit bis zur
andern Zeit.
Ob ich mich gleich meines Sommeraufenthaltes in Wien,
wo ich kaum ein paarmal ohne Muſik dinirte, mit Luſt erin-
nere, darf ich doch die da gemachte Erfahrung nicht verſchwei-
gen, daß gerade, die bei Muſik das Wenigſte denken und gar
nicht wiſſen, was ſie damit wollen, am meiſten dafuͤr enthuſias-
mirt ſind.
Mozart waͤhlte zur Tafelmuſik im Don Juan ſehr gluͤck-
lich gar liebliche Piecen aus Martini’s Coſa rara, und es
iſt das wohl das Beſte, welches in dieſer Art nur gefunden wer-
den mag. Der eben ſo große Eß- als Tonkuͤnſtler Roſſini
hat in dieſem Genre Vortreffliches geleiſtet. Sein Barbier bie-
tet die ſchoͤnſte Auswahl; viel zu ruͤhrend waͤre dagegen ſein
Tancred, und wollte man gar eine Weigel’ſche Schweizerfa-
milie waͤhlen, ſo koͤnnten Empfindſamere vor lauter Weinen
gar nicht zum Eſſen kommen. Spontiniſche Muſik wuͤrde
wenigſtens nicht durch zu großen Melodieen-Reichthum die
Aufmerkſamkeit vom Eſſen abziehen, koͤnnte aber durch ihren
Herz und Nieren erſchuͤtternden Ambos- und Hammer-, Trom-
mel- und Trompetenlaͤrm einen, dem Appetit ſehr unguͤnſtigen,
Schrecken einfloͤßen.
Ach, wie viele Muſiken ſind nichts, als mehr oder weniger
auffallende Paraphraſen anderer Beſſerer!
Die Meiſten der ganz neuen Componiſten aber ſind rein
unappetitlich. Da beginnt eine Ouverture mit einigen geheim-
nißvollen kurzen Baßarten im Adagio, ahnungserweckende be-
denkliche Pauſen folgen, duͤſtre Triolen und Sextolen wuͤrgen,
wuͤhlen und arbeiten in der Tiefe; einiges hohes Gaͤnſegeſchnatter
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/93>, abgerufen am 23.07.2024.
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