Wasser unter den Wein zu gießen. Casaubonus behauptet dasselbe von Amphitryon, König von Theben. Es ist recht Schade, daß man nicht im Reinen darüber ist. Man könnte dem Erfinder ein Denkmal errichten. So viel ist gewiß, daß jeder denkende gesunde Eßkünstler dieses Mischen, Verdünnen, Entstellen, Schwächen, Verderben und Vernichten der spezifi- schen Kraft des Weines gerade über Tisch, nicht anstehen wird, für ganz und gar ungeignet zu erklären.
Eben so überziert, versüßlicht, verkünstelt und entstellend ist das Römische Verfahren, wovon Apicius handelt, Wein vor dem Genuß über Veilchen oder Rosen zu gießen. Es ist Schade, daß wir noch keine Suppe von Zuckerwasser, Milch und Vergißmeinnicht haben.
Das Chinesische warme Weintrinken nenne ich blos, um kurz bemerklich zu machen, wie widerlich alle Ueberkünstlung, alles Unnatürliche ist.
Das heißt weder männlich, noch schön getrunken.
Der mächtige Perserkönig Darius ließ auf seiner Grab- schrift bemerken, daß er hätte viel Wein trinken, und denselben schön vertragen können (edunamen kai oinon pinein polun, kai touton pherein kalos). Bayle rühmt dieß als une bonne qua- lite, une force, une puissance, l'effet d'un temperament robuste. -- Man kann damit auch Goethe's Rochusfest ver- gleichen. -- Was aber in der fünften Vorlesung über das Quantum der Speisen gesagt wurde, mag auch von dem der Getränke gelten.
Es ist nicht gut und nicht schön, mehr zu trinken, als man verträgt, wer also wenig verträgt, trinke nicht viel; woraus aber nicht nothwendig folgt, daß der, welcher viel verträgt, gerade auch viel trinken solle. Doch ist dieses Viel und Wenig sehr relativ. So charakterisirt sich der in Frankreich reisende Eßkünstler unverkennbar als Deutscher oder Engländer, wenn er die zu seinem Couvert für ihn hingestellte Flasche Wein austrinkt, welches der Franzose nicht thut.
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Waſſer unter den Wein zu gießen. Caſaubonus behauptet daſſelbe von Amphitryon, Koͤnig von Theben. Es iſt recht Schade, daß man nicht im Reinen daruͤber iſt. Man koͤnnte dem Erfinder ein Denkmal errichten. So viel iſt gewiß, daß jeder denkende geſunde Eßkuͤnſtler dieſes Miſchen, Verduͤnnen, Entſtellen, Schwaͤchen, Verderben und Vernichten der ſpezifi- ſchen Kraft des Weines gerade uͤber Tiſch, nicht anſtehen wird, fuͤr ganz und gar ungeignet zu erklaͤren.
Eben ſo uͤberziert, verſuͤßlicht, verkuͤnſtelt und entſtellend iſt das Roͤmiſche Verfahren, wovon Apicius handelt, Wein vor dem Genuß uͤber Veilchen oder Roſen zu gießen. Es iſt Schade, daß wir noch keine Suppe von Zuckerwaſſer, Milch und Vergißmeinnicht haben.
Das Chineſiſche warme Weintrinken nenne ich blos, um kurz bemerklich zu machen, wie widerlich alle Ueberkuͤnſtlung, alles Unnatuͤrliche iſt.
Das heißt weder maͤnnlich, noch ſchoͤn getrunken.
Der maͤchtige Perſerkoͤnig Darius ließ auf ſeiner Grab- ſchrift bemerken, daß er haͤtte viel Wein trinken, und denſelben ſchoͤn vertragen koͤnnen (ἠδυναμην και ὀινον πινειν πολυν, και τουτον φερειν καλως). Bayle ruͤhmt dieß als une bonne qua- lité, une force, une puissance, l’effet d’un tempérament robuste. — Man kann damit auch Goethe’s Rochusfeſt ver- gleichen. — Was aber in der fuͤnften Vorleſung uͤber das Quantum der Speiſen geſagt wurde, mag auch von dem der Getraͤnke gelten.
Es iſt nicht gut und nicht ſchoͤn, mehr zu trinken, als man vertraͤgt, wer alſo wenig vertraͤgt, trinke nicht viel; woraus aber nicht nothwendig folgt, daß der, welcher viel vertraͤgt, gerade auch viel trinken ſolle. Doch iſt dieſes Viel und Wenig ſehr relativ. So charakteriſirt ſich der in Frankreich reiſende Eßkuͤnſtler unverkennbar als Deutſcher oder Englaͤnder, wenn er die zu ſeinem Couvert fuͤr ihn hingeſtellte Flaſche Wein austrinkt, welches der Franzoſe nicht thut.
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Waſſer unter den Wein zu gießen. Caſaubonus behauptet
daſſelbe von Amphitryon, Koͤnig von Theben. Es iſt recht
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dem Erfinder ein Denkmal errichten. So viel iſt gewiß, daß
jeder denkende geſunde Eßkuͤnſtler dieſes Miſchen, Verduͤnnen,
Entſtellen, Schwaͤchen, Verderben und Vernichten der ſpezifi-
ſchen Kraft des Weines gerade uͤber Tiſch, nicht anſtehen wird,
fuͤr ganz und gar ungeignet zu erklaͤren.
Eben ſo uͤberziert, verſuͤßlicht, verkuͤnſtelt und entſtellend
iſt das Roͤmiſche Verfahren, wovon Apicius handelt, Wein
vor dem Genuß uͤber Veilchen oder Roſen zu gießen. Es iſt
Schade, daß wir noch keine Suppe von Zuckerwaſſer, Milch
und Vergißmeinnicht haben.
Das Chineſiſche warme Weintrinken nenne ich blos, um
kurz bemerklich zu machen, wie widerlich alle Ueberkuͤnſtlung,
alles Unnatuͤrliche iſt.
Das heißt weder maͤnnlich, noch ſchoͤn getrunken.
Der maͤchtige Perſerkoͤnig Darius ließ auf ſeiner Grab-
ſchrift bemerken, daß er haͤtte viel Wein trinken, und denſelben
ſchoͤn vertragen koͤnnen (ἠδυναμην και ὀινον πινειν πολυν, και
τουτον φερειν καλως). Bayle ruͤhmt dieß als une bonne qua-
lité, une force, une puissance, l’effet d’un tempérament
robuste. — Man kann damit auch Goethe’s Rochusfeſt ver-
gleichen. — Was aber in der fuͤnften Vorleſung uͤber das Quantum
der Speiſen geſagt wurde, mag auch von dem der Getraͤnke gelten.
Es iſt nicht gut und nicht ſchoͤn, mehr zu trinken, als
man vertraͤgt, wer alſo wenig vertraͤgt, trinke nicht viel; woraus
aber nicht nothwendig folgt, daß der, welcher viel vertraͤgt,
gerade auch viel trinken ſolle. Doch iſt dieſes Viel und
Wenig ſehr relativ. So charakteriſirt ſich der in Frankreich
reiſende Eßkuͤnſtler unverkennbar als Deutſcher oder Englaͤnder,
wenn er die zu ſeinem Couvert fuͤr ihn hingeſtellte Flaſche
Wein austrinkt, welches der Franzoſe nicht thut.
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/271>, abgerufen am 16.02.2025.
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