Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.das Unangenehmste sich berührt fühlen, wenn er Leuten zu essen Der höhere Genuß eines Kunstwerkes besteht denn doch Ladet man zum Essen ein, so lasse man ferner nicht außer Ueberhaupt lade man nicht zu früh, sondern fange gleich Der Wirth und Koch erwäge wohl, daß irgend etwas Der Bewirthende bedenke ferner, daß der Eingeladene sich 14
das Unangenehmſte ſich beruͤhrt fuͤhlen, wenn er Leuten zu eſſen Der hoͤhere Genuß eines Kunſtwerkes beſteht denn doch Ladet man zum Eſſen ein, ſo laſſe man ferner nicht außer Ueberhaupt lade man nicht zu fruͤh, ſondern fange gleich Der Wirth und Koch erwaͤge wohl, daß irgend etwas Der Bewirthende bedenke ferner, daß der Eingeladene ſich 14
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0223" n="209"/> das Unangenehmſte ſich beruͤhrt fuͤhlen, wenn er Leuten zu eſſen<lb/> giebt, die gar nicht wiſſen, was ſie eſſen, die blos ſchlucken,<lb/> und von den Ideen gar keine Idee haben, die der Wirth mit<lb/> auftragen ließ.</p><lb/> <p>Der hoͤhere Genuß eines Kunſtwerkes beſteht denn doch<lb/> wohl darin, daß der Genießende den Koch und Wirth verſteht,<lb/> wie auch der befriedigendſte Lohn des Bewirthenden der iſt, von<lb/> ſeinen Gaͤſten begriffen zu werden.</p><lb/> <p>Ladet man zum Eſſen ein, ſo laſſe man ferner nicht außer<lb/> Acht, daß man zum Eſſen eingeladen hat, und vermeide ſtoͤrende<lb/> Allotria. Man beabſichtige z. B. vor oder nach dem Eſſen<lb/> kein Kartenſpiel. Abgeſehen davon, daß man dadurch fuͤr ſich<lb/> ſelbſt und die Gaͤſte die nicht ſehr ſchmeichelhaften ſtillſchweigen-<lb/> den Geſtaͤndniſſe ablegt, man wiſſe nichts zu reden, oder duͤrfe<lb/> nicht reden, oder man wolle Geld gewinnen, ſo iſt nichts ge-<lb/> eigneter, vor Tiſch den Appetit und nach Tiſch die Verdauung<lb/> zu ſtoͤren, als das ungluͤckſelige Kartenſpiel.</p><lb/> <p>Ueberhaupt lade man nicht zu fruͤh, ſondern fange gleich<lb/> mit der Hauptſache an, und laſſe das Eſſen zur, in der Ein-<lb/> ladung beſtimmten, Zeit auftragen; denn die Augenblicke des<lb/> Wartens ſind die peinlichſten im Menſchenleben.</p><lb/> <p>Der Wirth und Koch erwaͤge wohl, daß irgend etwas<lb/> Verfehltes, etwas Tadelnswerthes gern von den Gaͤſten ver-<lb/> groͤßert und als noch tadelnswerther genommen wird, wie ja<lb/> auch die ſchiefen Thuͤrme zu Piſa und Bologna von den<lb/> Zeichnern gewoͤhnlich noch viel ſchiefer abgebildet werden, als ſie<lb/> wirklich ſind, und nehme ſich in Acht.</p><lb/> <p>Der Bewirthende bedenke ferner, daß der Eingeladene ſich<lb/> aller Dankbarkeit uͤberhoben haͤlt, wenn er fuͤr das Genoſſene<lb/> zu ſchwere Verpflichtungen zu erfuͤllen hat, als z. B. wenn er<lb/> nach, oder gar vor dem Eſſen ein Liebhaberkonzert, Klavier-<lb/> ſpielen, von der Tochter des Hauſes hergekraͤhte Arien u. a.<lb/> zu verwinden bekommt.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">14</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [209/0223]
das Unangenehmſte ſich beruͤhrt fuͤhlen, wenn er Leuten zu eſſen
giebt, die gar nicht wiſſen, was ſie eſſen, die blos ſchlucken,
und von den Ideen gar keine Idee haben, die der Wirth mit
auftragen ließ.
Der hoͤhere Genuß eines Kunſtwerkes beſteht denn doch
wohl darin, daß der Genießende den Koch und Wirth verſteht,
wie auch der befriedigendſte Lohn des Bewirthenden der iſt, von
ſeinen Gaͤſten begriffen zu werden.
Ladet man zum Eſſen ein, ſo laſſe man ferner nicht außer
Acht, daß man zum Eſſen eingeladen hat, und vermeide ſtoͤrende
Allotria. Man beabſichtige z. B. vor oder nach dem Eſſen
kein Kartenſpiel. Abgeſehen davon, daß man dadurch fuͤr ſich
ſelbſt und die Gaͤſte die nicht ſehr ſchmeichelhaften ſtillſchweigen-
den Geſtaͤndniſſe ablegt, man wiſſe nichts zu reden, oder duͤrfe
nicht reden, oder man wolle Geld gewinnen, ſo iſt nichts ge-
eigneter, vor Tiſch den Appetit und nach Tiſch die Verdauung
zu ſtoͤren, als das ungluͤckſelige Kartenſpiel.
Ueberhaupt lade man nicht zu fruͤh, ſondern fange gleich
mit der Hauptſache an, und laſſe das Eſſen zur, in der Ein-
ladung beſtimmten, Zeit auftragen; denn die Augenblicke des
Wartens ſind die peinlichſten im Menſchenleben.
Der Wirth und Koch erwaͤge wohl, daß irgend etwas
Verfehltes, etwas Tadelnswerthes gern von den Gaͤſten ver-
groͤßert und als noch tadelnswerther genommen wird, wie ja
auch die ſchiefen Thuͤrme zu Piſa und Bologna von den
Zeichnern gewoͤhnlich noch viel ſchiefer abgebildet werden, als ſie
wirklich ſind, und nehme ſich in Acht.
Der Bewirthende bedenke ferner, daß der Eingeladene ſich
aller Dankbarkeit uͤberhoben haͤlt, wenn er fuͤr das Genoſſene
zu ſchwere Verpflichtungen zu erfuͤllen hat, als z. B. wenn er
nach, oder gar vor dem Eſſen ein Liebhaberkonzert, Klavier-
ſpielen, von der Tochter des Hauſes hergekraͤhte Arien u. a.
zu verwinden bekommt.
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