Ein Dichterdilettant schickte Piron einen Fasan. Am andern Tag kam er und zog ein Trauerspiel aus der Tasche. "Ich merke den Pfiff, rief Piron, da nehmen Sie Ihren Fasan wieder!"
Was nun die Ordnung, Wahl, Quantität und Qualität der aufzutragenden Speisen betrifft, so möchte Folgendes hierher gehören.
Im sechszehnten Jahrhundert fing man in Deutschland die Mahlzeit bald mit dem Braten an und hörte mit der Suppe und dem Gemüse auf, bald war es umgekehrt. Aber die liebe Suppe durfte und darf außer England nirgends fehlen. Dem ist nun einmal so. Daß man die Suppe, die schon Hippo- krates für Gesunde unstatthaft findet, die prosaische Suppe, -- eine Supp' aus Brüh, ein Ding, das selten vorkommt in der Poesie, wie Byron sagt, -- daß man die Suppe aber zuerst und nicht zuletzt aufzutragen habe, bedarf für einen einfach gesunden Sinn gar keiner weiteren Auseinandersetzung. -- "Suppe nach Fleischspeisen!" läßt Shakespeare in Troilus und Kressida den Pandarus verächtlich sagen, als nach Hektor allerlei schlechtes Volk vorüberzieht, und auch der be- kannte Ausdruck "Löffeln" bezeichnet sehr treffend einen mehr präludirenden, an sich ungenügenden Genuß.
Man lege aber den Gästen nicht zu viel Suppe vor; denn die Suppe ist und soll für den Esser nichts weiter sein, als das Klopfen des Kapellmeisters als Zeichen, daß nun die Ouver- ture beginne, für das Orchester. Es ist noch kein Accord, nicht der Anfang selbst, sondern lediglich eine Ankündigung des bevorstehenden Anfangs.
Der lieben Suppe folgt nun in der Regel das liebe ge- sottene Rindfleisch, welchem jene ihre Existenz verdankt, ohne welche sie gar nicht auf der Welt wäre. Und dieses ab- und ausgekochte, saft- und kraftlose Fasergewebe, welches schon als Mittel zu einem andern Zweck gedient, dieses Caput mortuum,
Ein Dichterdilettant ſchickte Piron einen Faſan. Am andern Tag kam er und zog ein Trauerſpiel aus der Taſche. „Ich merke den Pfiff, rief Piron, da nehmen Sie Ihren Faſan wieder!“
Was nun die Ordnung, Wahl, Quantitaͤt und Qualitaͤt der aufzutragenden Speiſen betrifft, ſo moͤchte Folgendes hierher gehoͤren.
Im ſechszehnten Jahrhundert fing man in Deutſchland die Mahlzeit bald mit dem Braten an und hoͤrte mit der Suppe und dem Gemuͤſe auf, bald war es umgekehrt. Aber die liebe Suppe durfte und darf außer England nirgends fehlen. Dem iſt nun einmal ſo. Daß man die Suppe, die ſchon Hippo- krates fuͤr Geſunde unſtatthaft findet, die proſaiſche Suppe, — eine Supp’ aus Bruͤh, ein Ding, das ſelten vorkommt in der Poeſie, wie Byron ſagt, — daß man die Suppe aber zuerſt und nicht zuletzt aufzutragen habe, bedarf fuͤr einen einfach geſunden Sinn gar keiner weiteren Auseinanderſetzung. — „Suppe nach Fleiſchſpeiſen!“ laͤßt Shakeſpeare in Troilus und Kreſſida den Pandarus veraͤchtlich ſagen, als nach Hektor allerlei ſchlechtes Volk voruͤberzieht, und auch der be- kannte Ausdruck „Loͤffeln“ bezeichnet ſehr treffend einen mehr praͤludirenden, an ſich ungenuͤgenden Genuß.
Man lege aber den Gaͤſten nicht zu viel Suppe vor; denn die Suppe iſt und ſoll fuͤr den Eſſer nichts weiter ſein, als das Klopfen des Kapellmeiſters als Zeichen, daß nun die Ouver- ture beginne, fuͤr das Orcheſter. Es iſt noch kein Accord, nicht der Anfang ſelbſt, ſondern lediglich eine Ankuͤndigung des bevorſtehenden Anfangs.
Der lieben Suppe folgt nun in der Regel das liebe ge- ſottene Rindfleiſch, welchem jene ihre Exiſtenz verdankt, ohne welche ſie gar nicht auf der Welt waͤre. Und dieſes ab- und ausgekochte, ſaft- und kraftloſe Faſergewebe, welches ſchon als Mittel zu einem andern Zweck gedient, dieſes Caput mortuum,
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Ein Dichterdilettant ſchickte Piron einen Faſan. Am
andern Tag kam er und zog ein Trauerſpiel aus der Taſche.
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Faſan wieder!“
Was nun die Ordnung, Wahl, Quantitaͤt und Qualitaͤt
der aufzutragenden Speiſen betrifft, ſo moͤchte Folgendes hierher
gehoͤren.
Im ſechszehnten Jahrhundert fing man in Deutſchland die
Mahlzeit bald mit dem Braten an und hoͤrte mit der Suppe
und dem Gemuͤſe auf, bald war es umgekehrt. Aber die liebe
Suppe durfte und darf außer England nirgends fehlen. Dem
iſt nun einmal ſo. Daß man die Suppe, die ſchon Hippo-
krates fuͤr Geſunde unſtatthaft findet, die proſaiſche Suppe, —
eine Supp’ aus Bruͤh, ein Ding, das ſelten vorkommt in der
Poeſie, wie Byron ſagt, — daß man die Suppe aber zuerſt
und nicht zuletzt aufzutragen habe, bedarf fuͤr einen einfach
geſunden Sinn gar keiner weiteren Auseinanderſetzung. —
„Suppe nach Fleiſchſpeiſen!“ laͤßt Shakeſpeare in Troilus
und Kreſſida den Pandarus veraͤchtlich ſagen, als nach
Hektor allerlei ſchlechtes Volk voruͤberzieht, und auch der be-
kannte Ausdruck „Loͤffeln“ bezeichnet ſehr treffend einen mehr
praͤludirenden, an ſich ungenuͤgenden Genuß.
Man lege aber den Gaͤſten nicht zu viel Suppe vor; denn
die Suppe iſt und ſoll fuͤr den Eſſer nichts weiter ſein, als das
Klopfen des Kapellmeiſters als Zeichen, daß nun die Ouver-
ture beginne, fuͤr das Orcheſter. Es iſt noch kein Accord,
nicht der Anfang ſelbſt, ſondern lediglich eine Ankuͤndigung des
bevorſtehenden Anfangs.
Der lieben Suppe folgt nun in der Regel das liebe ge-
ſottene Rindfleiſch, welchem jene ihre Exiſtenz verdankt, ohne
welche ſie gar nicht auf der Welt waͤre. Und dieſes ab- und
ausgekochte, ſaft- und kraftloſe Faſergewebe, welches ſchon als
Mittel zu einem andern Zweck gedient, dieſes Caput mortuum,
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/224>, abgerufen am 16.02.2025.
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