weitere Zwecke, welche rein dadurch erreicht werden und von selber sich erfüllen, daß er gute und angemessene Produkte der Natur und Kunst in gehöriger Menge und Verbindung, mit Heiterkeit, Ruhe, Sinn und Bewußtsein auf subjektiv und ob- jektiv angenehme und geschmackvolle Weise sich schmecken läßt. -- Dieß lernt der Eßkünstler so wenig aus der Diätetik, als der Bildhauer seine Kunst aus der Mineralogie; indem er die aus- gesprochenen Aufgaben erfüllt, setzt und giebt er vielmehr selbst die höchsten Regeln der Diätetik, ja es läßt sich wissenschaftlich aus dem festgesetzten Grundsatz die ganze bezügliche Diätetik construiren und so könnte man die Eßkunst die auf's Höchste verklärte Diätetik selber nennen.
Zum Beleg nur ein paar Beispiele. Im Winter schmeckt dem Eßkünstler theils mehr, theils anderes als im Sommer. Er läßt sich also ganz natürlich im Winter auch mehr und an- deres schmecken, als im Sommer. Die Diätetik räth genau dasselbe. -- Es wird einem Eßkünstler nicht einfallen, Salat zu essen und Milch dazu zu trinken. Die Diätetik verbietet dergleichen eifrigst. Wie aber der reine Kunstsinn des Eßkünst- lers richtiger wählt als der Verstand der Verständigen, eweiset z. B. Heinrich Rantzovius, der in seinem 1604 zu Frankfurt gedruckten Buche de conservanda valetudine Mandelmilch als Tischgetränk empfiehlt, -- eine Idee, welche den Eßkünstler mit tiefem Schauder erfüllt. -- Dem feinschmeckenden sinnigen Eßkünstler wird nichts fataler sein, als ein überhäufter unna- türlicher süßsaurer Mischmasch des Verschiedenartigsten, welcher jeden spezifischen Geschmack des Einzelnen verwirrt, ja aufhebt. Die Diätetik glaubt vor nichts eindringlicher warnen zu müssen, als gerade vor diesem, was dem Eßkünstler von selbst wider- steht.
Die Diätetik eifert gegen das Ueberwürzen der Speisen; der Eßkünstler ist ohne alle Diätetik entrüstet, wenn die Suppe versalzen wurde. Dem Eßkünstler ist dünne Kost verhaßt ohne
weitere Zwecke, welche rein dadurch erreicht werden und von ſelber ſich erfuͤllen, daß er gute und angemeſſene Produkte der Natur und Kunſt in gehoͤriger Menge und Verbindung, mit Heiterkeit, Ruhe, Sinn und Bewußtſein auf ſubjektiv und ob- jektiv angenehme und geſchmackvolle Weiſe ſich ſchmecken laͤßt. — Dieß lernt der Eßkuͤnſtler ſo wenig aus der Diaͤtetik, als der Bildhauer ſeine Kunſt aus der Mineralogie; indem er die aus- geſprochenen Aufgaben erfuͤllt, ſetzt und giebt er vielmehr ſelbſt die hoͤchſten Regeln der Diaͤtetik, ja es laͤßt ſich wiſſenſchaftlich aus dem feſtgeſetzten Grundſatz die ganze bezuͤgliche Diaͤtetik conſtruiren und ſo koͤnnte man die Eßkunſt die auf’s Hoͤchſte verklaͤrte Diaͤtetik ſelber nennen.
Zum Beleg nur ein paar Beiſpiele. Im Winter ſchmeckt dem Eßkuͤnſtler theils mehr, theils anderes als im Sommer. Er laͤßt ſich alſo ganz natuͤrlich im Winter auch mehr und an- deres ſchmecken, als im Sommer. Die Diaͤtetik raͤth genau daſſelbe. — Es wird einem Eßkuͤnſtler nicht einfallen, Salat zu eſſen und Milch dazu zu trinken. Die Diaͤtetik verbietet dergleichen eifrigſt. Wie aber der reine Kunſtſinn des Eßkuͤnſt- lers richtiger waͤhlt als der Verſtand der Verſtaͤndigen, eweiſet z. B. Heinrich Rantzovius, der in ſeinem 1604 zu Frankfurt gedruckten Buche de conservanda valetudine Mandelmilch als Tiſchgetraͤnk empfiehlt, — eine Idee, welche den Eßkuͤnſtler mit tiefem Schauder erfuͤllt. — Dem feinſchmeckenden ſinnigen Eßkuͤnſtler wird nichts fataler ſein, als ein uͤberhaͤufter unna- tuͤrlicher ſuͤßſaurer Miſchmaſch des Verſchiedenartigſten, welcher jeden ſpezifiſchen Geſchmack des Einzelnen verwirrt, ja aufhebt. Die Diaͤtetik glaubt vor nichts eindringlicher warnen zu muͤſſen, als gerade vor dieſem, was dem Eßkuͤnſtler von ſelbſt wider- ſteht.
Die Diaͤtetik eifert gegen das Ueberwuͤrzen der Speiſen; der Eßkuͤnſtler iſt ohne alle Diaͤtetik entruͤſtet, wenn die Suppe verſalzen wurde. Dem Eßkuͤnſtler iſt duͤnne Koſt verhaßt ohne
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weitere Zwecke, welche rein dadurch erreicht werden und von
ſelber ſich erfuͤllen, daß er gute und angemeſſene Produkte der
Natur und Kunſt in gehoͤriger Menge und Verbindung, mit
Heiterkeit, Ruhe, Sinn und Bewußtſein auf ſubjektiv und ob-
jektiv angenehme und geſchmackvolle Weiſe ſich ſchmecken laͤßt. —
Dieß lernt der Eßkuͤnſtler ſo wenig aus der Diaͤtetik, als der
Bildhauer ſeine Kunſt aus der Mineralogie; indem er die aus-
geſprochenen Aufgaben erfuͤllt, ſetzt und giebt er vielmehr ſelbſt
die hoͤchſten Regeln der Diaͤtetik, ja es laͤßt ſich wiſſenſchaftlich
aus dem feſtgeſetzten Grundſatz die ganze bezuͤgliche Diaͤtetik
conſtruiren und ſo koͤnnte man die Eßkunſt die auf’s Hoͤchſte
verklaͤrte Diaͤtetik ſelber nennen.
Zum Beleg nur ein paar Beiſpiele. Im Winter ſchmeckt
dem Eßkuͤnſtler theils mehr, theils anderes als im Sommer.
Er laͤßt ſich alſo ganz natuͤrlich im Winter auch mehr und an-
deres ſchmecken, als im Sommer. Die Diaͤtetik raͤth genau
daſſelbe. — Es wird einem Eßkuͤnſtler nicht einfallen, Salat
zu eſſen und Milch dazu zu trinken. Die Diaͤtetik verbietet
dergleichen eifrigſt. Wie aber der reine Kunſtſinn des Eßkuͤnſt-
lers richtiger waͤhlt als der Verſtand der Verſtaͤndigen, eweiſet
z. B. Heinrich Rantzovius, der in ſeinem 1604 zu Frankfurt
gedruckten Buche de conservanda valetudine Mandelmilch als
Tiſchgetraͤnk empfiehlt, — eine Idee, welche den Eßkuͤnſtler mit
tiefem Schauder erfuͤllt. — Dem feinſchmeckenden ſinnigen
Eßkuͤnſtler wird nichts fataler ſein, als ein uͤberhaͤufter unna-
tuͤrlicher ſuͤßſaurer Miſchmaſch des Verſchiedenartigſten, welcher
jeden ſpezifiſchen Geſchmack des Einzelnen verwirrt, ja aufhebt.
Die Diaͤtetik glaubt vor nichts eindringlicher warnen zu muͤſſen,
als gerade vor dieſem, was dem Eßkuͤnſtler von ſelbſt wider-
ſteht.
Die Diaͤtetik eifert gegen das Ueberwuͤrzen der Speiſen;
der Eßkuͤnſtler iſt ohne alle Diaͤtetik entruͤſtet, wenn die Suppe
verſalzen wurde. Dem Eßkuͤnſtler iſt duͤnne Koſt verhaßt ohne
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/132>, abgerufen am 16.02.2025.
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