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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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Fenster, über eine Näharbeit gebeugt, saß Fenia, als
Max Werner eintrat.

Sie blickte auf und streckte ihm mit Herzlichkeit die
Hand entgegen.

"Das ist schön, daß Sie kommen. Setzen Sie sich
dorthin. Ich meinte gestern abend, ich würde Sie bei
meinem Onkel treffen. -- Setzen Sie sich. Wollen Sie
rauchen?"

"Sie waren gestern abend bei Ihrem On¬
kel? Waren Sie lange da?" fragte er mit schlecht ver¬
hehltem Interesse, und fügte deshalb schnell hinzu: "Nun,
hat er sich über die Klatschgeschichte beruhigt?"

"Bis zum Thee blieb ich. -- Diese alberne Geschichte
hab ich ihm ziemlich ausgeredet," sagte Fenia ruhig,
und stichelte an ihrer Arbeit. Sie hatte heute eine weiße
Morgenbluse an, worin sie weit jünger aussah, kindlicher.
Ihre beiden Flechten hingen ihr den Rücken hinunter.

"Dann wird die arme Dame, die da gesehen wor¬
den ist, also wohl nicht weiter durch Nachforschungen
behelligt werden. Sonst hätte dabei noch das Drollige
herauskommen können, daß sie plötzlich irgend eine eigne,
vielleicht recht delikate Angelegenheit an die große Glocke
gehängt sieht, -- um Ihretwillen, Fenia. Thäte Ihnen
das nicht leid?" bemerkte er halb scherzend, halb ironisch.

Fenia hörte nicht auf den ironischen Ton hin. Sie
stützte das Kinn auf die Hand, sah ihn an und sagte
unwillig:

"Ja, wissen Sie, das ist doch wirklich etwas Ab¬
scheuliches! Ich meine, daß den Frauen in manchen Be¬
ziehungen die Heimlichkeit einfach aufgezwungen wird!

Fenſter, über eine Näharbeit gebeugt, ſaß Fenia, als
Max Werner eintrat.

Sie blickte auf und ſtreckte ihm mit Herzlichkeit die
Hand entgegen.

„Das iſt ſchön, daß Sie kommen. Setzen Sie ſich
dorthin. Ich meinte geſtern abend, ich würde Sie bei
meinem Onkel treffen. — Setzen Sie ſich. Wollen Sie
rauchen?“

„Sie waren geſtern abend bei Ihrem On¬
kel? Waren Sie lange da?“ fragte er mit ſchlecht ver¬
hehltem Intereſſe, und fügte deshalb ſchnell hinzu: „Nun,
hat er ſich über die Klatſchgeſchichte beruhigt?“

„Bis zum Thee blieb ich. — Dieſe alberne Geſchichte
hab ich ihm ziemlich ausgeredet,“ ſagte Fenia ruhig,
und ſtichelte an ihrer Arbeit. Sie hatte heute eine weiße
Morgenbluſe an, worin ſie weit jünger ausſah, kindlicher.
Ihre beiden Flechten hingen ihr den Rücken hinunter.

„Dann wird die arme Dame, die da geſehen wor¬
den iſt, alſo wohl nicht weiter durch Nachforſchungen
behelligt werden. Sonſt hätte dabei noch das Drollige
herauskommen können, daß ſie plötzlich irgend eine eigne,
vielleicht recht delikate Angelegenheit an die große Glocke
gehängt ſieht, — um Ihretwillen, Fenia. Thäte Ihnen
das nicht leid?“ bemerkte er halb ſcherzend, halb ironiſch.

Fenia hörte nicht auf den ironiſchen Ton hin. Sie
ſtützte das Kinn auf die Hand, ſah ihn an und ſagte
unwillig:

„Ja, wiſſen Sie, das iſt doch wirklich etwas Ab¬
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ziehungen die Heimlichkeit einfach aufgezwungen wird!

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[53/0057] — 53 — Fenſter, über eine Näharbeit gebeugt, ſaß Fenia, als Max Werner eintrat. Sie blickte auf und ſtreckte ihm mit Herzlichkeit die Hand entgegen. „Das iſt ſchön, daß Sie kommen. Setzen Sie ſich dorthin. Ich meinte geſtern abend, ich würde Sie bei meinem Onkel treffen. — Setzen Sie ſich. Wollen Sie rauchen?“ „Sie waren geſtern abend bei Ihrem On¬ kel? Waren Sie lange da?“ fragte er mit ſchlecht ver¬ hehltem Intereſſe, und fügte deshalb ſchnell hinzu: „Nun, hat er ſich über die Klatſchgeſchichte beruhigt?“ „Bis zum Thee blieb ich. — Dieſe alberne Geſchichte hab ich ihm ziemlich ausgeredet,“ ſagte Fenia ruhig, und ſtichelte an ihrer Arbeit. Sie hatte heute eine weiße Morgenbluſe an, worin ſie weit jünger ausſah, kindlicher. Ihre beiden Flechten hingen ihr den Rücken hinunter. „Dann wird die arme Dame, die da geſehen wor¬ den iſt, alſo wohl nicht weiter durch Nachforſchungen behelligt werden. Sonſt hätte dabei noch das Drollige herauskommen können, daß ſie plötzlich irgend eine eigne, vielleicht recht delikate Angelegenheit an die große Glocke gehängt ſieht, — um Ihretwillen, Fenia. Thäte Ihnen das nicht leid?“ bemerkte er halb ſcherzend, halb ironiſch. Fenia hörte nicht auf den ironiſchen Ton hin. Sie ſtützte das Kinn auf die Hand, ſah ihn an und ſagte unwillig: „Ja, wiſſen Sie, das iſt doch wirklich etwas Ab¬ ſcheuliches! Ich meine, daß den Frauen in manchen Be¬ ziehungen die Heimlichkeit einfach aufgezwungen wird!

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/57>, abgerufen am 27.11.2024.