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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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Form zu wechseln schienen; nur wie ein promovierter
Doktor sah sie niemals aus, eher wie alles andre.

"Ich wäre wirklich neugierig," bemerkte er, "wie
Sie sich die Liebe denken würden, wenn Sie daraufhin
examiniert werden sollten, anstatt auf Philologie, Ge¬
schichte etc."

"Wie ich sie mir denken würde? O ganz einfach.
So ganz einfach und gesund. Ich würde sie dann sicher
mit den Dingen vergleichen, die am allerwenigsten dä¬
monisch und romantisch sind. Mit dem guten gesegneten
Brot, womit wir täglich unsern Hunger stillen, mit dem
frischen erhaltenden Luftstrom, dem wir jeden Tag unsre
Stube öffnen. Mit einem Wort: mit dem Wichtigsten,
Schönsten und Selbstverständlichsten, dem wir alles ver¬
danken, und wovon wir am wenigsten Phrasen machen."

"Das ist gar nicht übel gesagt! -- Aber doch wohl
noch etwas andres erwartet ihr davon: die große Sen¬
sation des Lebens, -- glauben Sie nicht? -- vor allem
die Sensation."

Sie schüttelte den Kopf.

"Ich nicht. Dann ginge ja das Kostbarste, was
man damit empfängt, verloren, denk ich mir."

"Was ist denn nach Ihrer Meinung das Kostbarste,
was die Liebe Euch geben kann?" fragte er lächelnd.

Sie bog in die Admiralität ein und entzog ihm
damit den Blick auf ihr Gesicht.

"Frieden!" sagte sie leise.

"Frieden!" dachte er zweifelnd und folgte ihr in
das goldstrotzende, weitläufige Gebäude, wo der Ad¬
miral Baron Michael Ravenius einen Seitenflügel be¬

Form zu wechſeln ſchienen; nur wie ein promovierter
Doktor ſah ſie niemals aus, eher wie alles andre.

„Ich wäre wirklich neugierig,“ bemerkte er, „wie
Sie ſich die Liebe denken würden, wenn Sie daraufhin
examiniert werden ſollten, anſtatt auf Philologie, Ge¬
ſchichte ꝛc.“

„Wie ich ſie mir denken würde? O ganz einfach.
So ganz einfach und geſund. Ich würde ſie dann ſicher
mit den Dingen vergleichen, die am allerwenigſten dä¬
moniſch und romantiſch ſind. Mit dem guten geſegneten
Brot, womit wir täglich unſern Hunger ſtillen, mit dem
friſchen erhaltenden Luftſtrom, dem wir jeden Tag unſre
Stube öffnen. Mit einem Wort: mit dem Wichtigſten,
Schönſten und Selbſtverſtändlichſten, dem wir alles ver¬
danken, und wovon wir am wenigſten Phraſen machen.“

„Das iſt gar nicht übel geſagt! — Aber doch wohl
noch etwas andres erwartet ihr davon: die große Sen¬
ſation des Lebens, — glauben Sie nicht? — vor allem
die Senſation.“

Sie ſchüttelte den Kopf.

„Ich nicht. Dann ginge ja das Koſtbarſte, was
man damit empfängt, verloren, denk ich mir.“

„Was iſt denn nach Ihrer Meinung das Koſtbarſte,
was die Liebe Euch geben kann?“ fragte er lächelnd.

Sie bog in die Admiralität ein und entzog ihm
damit den Blick auf ihr Geſicht.

„Frieden!“ ſagte ſie leiſe.

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[40/0044] — 40 — Form zu wechſeln ſchienen; nur wie ein promovierter Doktor ſah ſie niemals aus, eher wie alles andre. „Ich wäre wirklich neugierig,“ bemerkte er, „wie Sie ſich die Liebe denken würden, wenn Sie daraufhin examiniert werden ſollten, anſtatt auf Philologie, Ge¬ ſchichte ꝛc.“ „Wie ich ſie mir denken würde? O ganz einfach. So ganz einfach und geſund. Ich würde ſie dann ſicher mit den Dingen vergleichen, die am allerwenigſten dä¬ moniſch und romantiſch ſind. Mit dem guten geſegneten Brot, womit wir täglich unſern Hunger ſtillen, mit dem friſchen erhaltenden Luftſtrom, dem wir jeden Tag unſre Stube öffnen. Mit einem Wort: mit dem Wichtigſten, Schönſten und Selbſtverſtändlichſten, dem wir alles ver¬ danken, und wovon wir am wenigſten Phraſen machen.“ „Das iſt gar nicht übel geſagt! — Aber doch wohl noch etwas andres erwartet ihr davon: die große Sen¬ ſation des Lebens, — glauben Sie nicht? — vor allem die Senſation.“ Sie ſchüttelte den Kopf. „Ich nicht. Dann ginge ja das Koſtbarſte, was man damit empfängt, verloren, denk ich mir.“ „Was iſt denn nach Ihrer Meinung das Koſtbarſte, was die Liebe Euch geben kann?“ fragte er lächelnd. Sie bog in die Admiralität ein und entzog ihm damit den Blick auf ihr Geſicht. „Frieden!“ ſagte ſie leiſe. „Frieden!“ dachte er zweifelnd und folgte ihr in das goldſtrotzende, weitläufige Gebäude, wo der Ad¬ miral Baron Michael Ravenius einen Seitenflügel be¬

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/44>, abgerufen am 27.11.2024.