Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

über einem im Wald verirrten Kind. -- Aber nur einen
Augenblick. Dann siegte ein andres Gefühl. Ihr Blick
lief an ihm hinab, und ihre Lippen wölbten sich in einem
unaussprechlich beredten Ausdruck des Ekels, -- der Ver¬
achtung --.

Seine Hand fuhr, ohne daß er es ihr im geringsten
anbefohlen hätte, in seine Tasche und zog, ohne sich um
den Lümmel zu kümmern, der dumm, rot und wie ein
Schulknabe dastand, den Schlüssel heraus. Als aber die
Hand Fenia den Schlüssel reichte, begleitete er diese un¬
freiwillige Gebärde mit einem Gemurmel:

"Ich -- vorhin, als ich die Thür zusperrte, da
mißverstanden Sie mich, -- ich wollte doch nicht etwa,
-- nein, überhaupt nichts, -- ich wollte ja nur, daß
Sie nicht in dieser Stimmung fortgehen sollten, -- nicht
aufgebracht und zornig gegen mich."

Die seltsame Logik dieser Worte schien ihr nicht
einzuleuchten. Ihr Gesicht trug noch immer denselben
Ausdruck, der es fast verzerrte, -- als säße ihr eine
Raupe am Halse und kröche langsam weiter.

Sie ergriff den Schlüssel und ging sehr schnell, ohne
ein Wort, aus der Thür.

Er hinterdrein. Hinter ihm der Spitz.

Einen Hut hatte er nicht aufgesetzt, sie wäre ihm
entwischt, während er ihn vom Tisch holte. Und er fühlte
sich gänzlich unfähig, sie so gehen zu lassen, -- auf im¬
mer, -- ohne ein Wort, -- lieber wollte er ihr nach¬
laufen, -- ja das wollte er, -- wie ein verliebter Pudel,
-- verliebt in diesem Augenblick zum Närrischwerden. --

Ganz nah am Hotel standen ein paar Droschken.

über einem im Wald verirrten Kind. — Aber nur einen
Augenblick. Dann ſiegte ein andres Gefühl. Ihr Blick
lief an ihm hinab, und ihre Lippen wölbten ſich in einem
unausſprechlich beredten Ausdruck des Ekels, — der Ver¬
achtung —.

Seine Hand fuhr, ohne daß er es ihr im geringſten
anbefohlen hätte, in ſeine Taſche und zog, ohne ſich um
den Lümmel zu kümmern, der dumm, rot und wie ein
Schulknabe daſtand, den Schlüſſel heraus. Als aber die
Hand Fenia den Schlüſſel reichte, begleitete er dieſe un¬
freiwillige Gebärde mit einem Gemurmel:

„Ich — vorhin, als ich die Thür zuſperrte, da
mißverſtanden Sie mich, — ich wollte doch nicht etwa,
— nein, überhaupt nichts, — ich wollte ja nur, daß
Sie nicht in dieſer Stimmung fortgehen ſollten, — nicht
aufgebracht und zornig gegen mich.“

Die ſeltſame Logik dieſer Worte ſchien ihr nicht
einzuleuchten. Ihr Geſicht trug noch immer denſelben
Ausdruck, der es faſt verzerrte, — als ſäße ihr eine
Raupe am Halſe und kröche langſam weiter.

Sie ergriff den Schlüſſel und ging ſehr ſchnell, ohne
ein Wort, aus der Thür.

Er hinterdrein. Hinter ihm der Spitz.

Einen Hut hatte er nicht aufgeſetzt, ſie wäre ihm
entwiſcht, während er ihn vom Tiſch holte. Und er fühlte
ſich gänzlich unfähig, ſie ſo gehen zu laſſen, — auf im¬
mer, — ohne ein Wort, — lieber wollte er ihr nach¬
laufen, — ja das wollte er, — wie ein verliebter Pudel,
— verliebt in dieſem Augenblick zum Närriſchwerden. —

Ganz nah am Hotel ſtanden ein paar Droſchken.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0028" n="24"/><fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 24 &#x2014;<lb/></fw>über einem im Wald verirrten Kind. &#x2014; Aber nur einen<lb/>
Augenblick. Dann &#x017F;iegte ein andres Gefühl. Ihr Blick<lb/>
lief an ihm hinab, und ihre Lippen wölbten &#x017F;ich in einem<lb/>
unaus&#x017F;prechlich beredten Ausdruck des Ekels, &#x2014; der Ver¬<lb/>
achtung &#x2014;.</p><lb/>
        <p>Seine Hand fuhr, ohne daß er es ihr im gering&#x017F;ten<lb/>
anbefohlen hätte, in &#x017F;eine Ta&#x017F;che und zog, ohne &#x017F;ich um<lb/>
den Lümmel zu kümmern, der dumm, rot und wie ein<lb/>
Schulknabe da&#x017F;tand, den Schlü&#x017F;&#x017F;el heraus. Als aber die<lb/>
Hand Fenia den Schlü&#x017F;&#x017F;el reichte, begleitete er die&#x017F;e un¬<lb/>
freiwillige Gebärde mit einem Gemurmel:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich &#x2014; vorhin, als ich die Thür zu&#x017F;perrte, da<lb/>
mißver&#x017F;tanden Sie mich, &#x2014; ich wollte doch nicht etwa,<lb/>
&#x2014; nein, überhaupt nichts, &#x2014; ich wollte ja nur, daß<lb/>
Sie nicht in die&#x017F;er Stimmung fortgehen &#x017F;ollten, &#x2014; nicht<lb/>
aufgebracht und zornig gegen mich.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die &#x017F;elt&#x017F;ame Logik die&#x017F;er Worte &#x017F;chien ihr nicht<lb/>
einzuleuchten. Ihr Ge&#x017F;icht trug noch immer den&#x017F;elben<lb/>
Ausdruck, der es fa&#x017F;t verzerrte, &#x2014; als &#x017F;äße ihr eine<lb/>
Raupe am Hal&#x017F;e und kröche lang&#x017F;am weiter.</p><lb/>
        <p>Sie ergriff den Schlü&#x017F;&#x017F;el und ging &#x017F;ehr &#x017F;chnell, ohne<lb/>
ein Wort, aus der Thür.</p><lb/>
        <p>Er hinterdrein. Hinter ihm der Spitz.</p><lb/>
        <p>Einen Hut hatte er nicht aufge&#x017F;etzt, &#x017F;ie wäre ihm<lb/>
entwi&#x017F;cht, während er ihn vom Ti&#x017F;ch holte. Und er fühlte<lb/>
&#x017F;ich gänzlich unfähig, &#x017F;ie &#x017F;o gehen zu la&#x017F;&#x017F;en, &#x2014; auf im¬<lb/>
mer, &#x2014; ohne ein Wort, &#x2014; lieber wollte er ihr nach¬<lb/>
laufen, &#x2014; ja das wollte er, &#x2014; wie ein verliebter Pudel,<lb/>
&#x2014; verliebt in die&#x017F;em Augenblick zum Närri&#x017F;chwerden. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Ganz nah am Hotel &#x017F;tanden ein paar Dro&#x017F;chken.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0028] — 24 — über einem im Wald verirrten Kind. — Aber nur einen Augenblick. Dann ſiegte ein andres Gefühl. Ihr Blick lief an ihm hinab, und ihre Lippen wölbten ſich in einem unausſprechlich beredten Ausdruck des Ekels, — der Ver¬ achtung —. Seine Hand fuhr, ohne daß er es ihr im geringſten anbefohlen hätte, in ſeine Taſche und zog, ohne ſich um den Lümmel zu kümmern, der dumm, rot und wie ein Schulknabe daſtand, den Schlüſſel heraus. Als aber die Hand Fenia den Schlüſſel reichte, begleitete er dieſe un¬ freiwillige Gebärde mit einem Gemurmel: „Ich — vorhin, als ich die Thür zuſperrte, da mißverſtanden Sie mich, — ich wollte doch nicht etwa, — nein, überhaupt nichts, — ich wollte ja nur, daß Sie nicht in dieſer Stimmung fortgehen ſollten, — nicht aufgebracht und zornig gegen mich.“ Die ſeltſame Logik dieſer Worte ſchien ihr nicht einzuleuchten. Ihr Geſicht trug noch immer denſelben Ausdruck, der es faſt verzerrte, — als ſäße ihr eine Raupe am Halſe und kröche langſam weiter. Sie ergriff den Schlüſſel und ging ſehr ſchnell, ohne ein Wort, aus der Thür. Er hinterdrein. Hinter ihm der Spitz. Einen Hut hatte er nicht aufgeſetzt, ſie wäre ihm entwiſcht, während er ihn vom Tiſch holte. Und er fühlte ſich gänzlich unfähig, ſie ſo gehen zu laſſen, — auf im¬ mer, — ohne ein Wort, — lieber wollte er ihr nach¬ laufen, — ja das wollte er, — wie ein verliebter Pudel, — verliebt in dieſem Augenblick zum Närriſchwerden. — Ganz nah am Hotel ſtanden ein paar Droſchken.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/28
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/28>, abgerufen am 25.11.2024.