Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.widerte er fast gereizt, denn es mißfiel ihm heftig, "ich, "Warum soll denn das ein Frondienst sein?" sie "Sie ist imstande und benutzt diesen Heimweg, -- "Aber, mein Fräulein! da irren Sie sich nun wirk¬ Während er redete, überlegte er sich zugleich, daß widerte er faſt gereizt, denn es mißfiel ihm heftig, „ich, „Warum ſoll denn das ein Frondienſt ſein?“ ſie „Sie iſt imſtande und benutzt dieſen Heimweg, — „Aber, mein Fräulein! da irren Sie ſich nun wirk¬ Während er redete, überlegte er ſich zugleich, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0022" n="18"/><fw type="pageNum" place="top">— 18 —<lb/></fw>widerte er faſt gereizt, denn es mißfiel ihm heftig, „ich,<lb/> ſo wie ich hier ſtehe, bin eben erſt der Bücherſtudiererei<lb/> entlaufen wie dem ärgſten aller Frondienſte. Und Sie<lb/> — ein Weib — ſpannen ſich freiwillig hinein.“</p><lb/> <p>„Warum ſoll denn das ein Frondienſt ſein?“ ſie<lb/> blickte erſtaunt auf — „das, was unſern Geſichtskreis<lb/> erweitert, uns das Leben aufſchließt, uns ſelbſtändig<lb/> macht —? Nein, wenn irgend was in der Welt einer<lb/> Befreiung gleicht, ſo iſt es das Geiſtesſtudium.“</p><lb/> <p>„Sie iſt imſtande und benutzt dieſen Heimweg, —<lb/> mitten auf der Straße, im Morgennebel, — zu einem<lb/> philoſophiſchen Disput über den Wert des Geiſtes¬<lb/> ſtudiums für das Leben!“ dachte er faſt erbittert, und<lb/> entgegnete im Bruſtton ſeiner feſteſten Ueberzeugung:</p><lb/> <p>„Aber, mein Fräulein! da irren Sie ſich nun wirk¬<lb/> lich! Es iſt im Gegenteil das Beſchränkendſte, Ein¬<lb/> ſchränkendſte, was es auf der Welt giebt! Und eigent¬<lb/> lich verſteht ſich das ja von ſelbſt. Die Wiſſenſchaft<lb/> führt an der Wirklichkeit des Lebens, mit all ſeinen<lb/> Farben, all ſeiner Fülle, ſeiner widerſpruchsvollen Man¬<lb/> nigfaltigkeit, völlig vorbei, — ſie erhaſcht von alledem<lb/> nur eine ganz blaſſe, dünne Silhouette. Je reiner, je<lb/> ſtrenger und ſicherer ihre Erkenntnismethoden ſind, deſto<lb/> bewußter und größer dann auch ihr Verzicht auf das<lb/> volle, das wirkliche Erfaſſen ſelbſt des kleinſten Lebens¬<lb/> ſtückchens. — — Deshalb iſt der Wiſſenſchafter, der ihr<lb/> dient, an ſo viel Selbſtkaſteiung gebunden, an ſo viel<lb/> bloße Schreibtiſchexiſtenz und geiſtige Bleichſucht.“</p><lb/> <p>Während er redete, überlegte er ſich zugleich, daß<lb/> der Weg bis zu Fenias Hotel ſehr kurz ſei, und machte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [18/0022]
— 18 —
widerte er faſt gereizt, denn es mißfiel ihm heftig, „ich,
ſo wie ich hier ſtehe, bin eben erſt der Bücherſtudiererei
entlaufen wie dem ärgſten aller Frondienſte. Und Sie
— ein Weib — ſpannen ſich freiwillig hinein.“
„Warum ſoll denn das ein Frondienſt ſein?“ ſie
blickte erſtaunt auf — „das, was unſern Geſichtskreis
erweitert, uns das Leben aufſchließt, uns ſelbſtändig
macht —? Nein, wenn irgend was in der Welt einer
Befreiung gleicht, ſo iſt es das Geiſtesſtudium.“
„Sie iſt imſtande und benutzt dieſen Heimweg, —
mitten auf der Straße, im Morgennebel, — zu einem
philoſophiſchen Disput über den Wert des Geiſtes¬
ſtudiums für das Leben!“ dachte er faſt erbittert, und
entgegnete im Bruſtton ſeiner feſteſten Ueberzeugung:
„Aber, mein Fräulein! da irren Sie ſich nun wirk¬
lich! Es iſt im Gegenteil das Beſchränkendſte, Ein¬
ſchränkendſte, was es auf der Welt giebt! Und eigent¬
lich verſteht ſich das ja von ſelbſt. Die Wiſſenſchaft
führt an der Wirklichkeit des Lebens, mit all ſeinen
Farben, all ſeiner Fülle, ſeiner widerſpruchsvollen Man¬
nigfaltigkeit, völlig vorbei, — ſie erhaſcht von alledem
nur eine ganz blaſſe, dünne Silhouette. Je reiner, je
ſtrenger und ſicherer ihre Erkenntnismethoden ſind, deſto
bewußter und größer dann auch ihr Verzicht auf das
volle, das wirkliche Erfaſſen ſelbſt des kleinſten Lebens¬
ſtückchens. — — Deshalb iſt der Wiſſenſchafter, der ihr
dient, an ſo viel Selbſtkaſteiung gebunden, an ſo viel
bloße Schreibtiſchexiſtenz und geiſtige Bleichſucht.“
Während er redete, überlegte er ſich zugleich, daß
der Weg bis zu Fenias Hotel ſehr kurz ſei, und machte
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |