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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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ihm damals jede studierende oder gelehrte Frau ein¬
zuflößen pflegte. Ja, er nahm's fast als Beweis, daß
Fenia nur zum Schein eine solche sei --.

Beim Verlassen des Restaurants wurde noch der Vor¬
schlag laut, die lange Nachtschwärmerei mit einer Fahrt
ins Bois de Boulogne abzuschließen, aber ein vielstim¬
miges Gähnen protestierte dagegen. Uebrigens ließ
sich auch an keiner Straßenecke ein Fiaker blicken. End¬
lich entschloß man sich, zu Fuß den Heimweg anzutreten,
jeder Herr begleitete eine der Damen nach Hause, und
Max Werner gelang es, Fenia auf seinen Anteil zu be¬
kommen.

Schon drang die Sonne durch den Morgennebel
und übergoß Paris mit jenem köstlichen Frührotschein,
den die feuchte Luft über den Ufern der Seine erzeugt.

"Das ist ganz herrlich!" rief Fenia und blieb mitten
auf der Straße stehn, setzte aber sogleich sehr prosaisch
hinzu:

"Wenn ich jetzt eine Tasse starken Kaffee bekommen
könnte! Dann brauchte ich mich zu Hause nicht erst
niederzulegen, und der Tag wäre nicht verloren."

"Sie sehen nicht müde aus, sondern ganz wunder¬
bar klaräugig," bemerkte er und sah sie an, "es wird
Ihnen offenbar leicht, eine Nacht nicht auszuruhen."

Sie nickte.

"Ich bin's gewöhnt," sagte sie, "ich habe vorzugs¬
weise nachts bei den Büchern gesessen. Wenn's um einen
her so still ist --"

"Das klingt doch wirklich rein wahnsinnig, wenn
man ein junges Mädchen so etwas sagen hört," er¬

Lou Andreas-Salome, Fenitschka. 2

ihm damals jede ſtudierende oder gelehrte Frau ein¬
zuflößen pflegte. Ja, er nahm's faſt als Beweis, daß
Fenia nur zum Schein eine ſolche ſei —.

Beim Verlaſſen des Reſtaurants wurde noch der Vor¬
ſchlag laut, die lange Nachtſchwärmerei mit einer Fahrt
ins Bois de Boulogne abzuſchließen, aber ein vielſtim¬
miges Gähnen proteſtierte dagegen. Uebrigens ließ
ſich auch an keiner Straßenecke ein Fiaker blicken. End¬
lich entſchloß man ſich, zu Fuß den Heimweg anzutreten,
jeder Herr begleitete eine der Damen nach Hauſe, und
Max Werner gelang es, Fenia auf ſeinen Anteil zu be¬
kommen.

Schon drang die Sonne durch den Morgennebel
und übergoß Paris mit jenem köſtlichen Frührotſchein,
den die feuchte Luft über den Ufern der Seine erzeugt.

„Das iſt ganz herrlich!“ rief Fenia und blieb mitten
auf der Straße ſtehn, ſetzte aber ſogleich ſehr proſaiſch
hinzu:

„Wenn ich jetzt eine Taſſe ſtarken Kaffee bekommen
könnte! Dann brauchte ich mich zu Hauſe nicht erſt
niederzulegen, und der Tag wäre nicht verloren.“

„Sie ſehen nicht müde aus, ſondern ganz wunder¬
bar klaräugig,“ bemerkte er und ſah ſie an, „es wird
Ihnen offenbar leicht, eine Nacht nicht auszuruhen.“

Sie nickte.

„Ich bin's gewöhnt,“ ſagte ſie, „ich habe vorzugs¬
weiſe nachts bei den Büchern geſeſſen. Wenn's um einen
her ſo ſtill iſt —“

„Das klingt doch wirklich rein wahnſinnig, wenn
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Lou Andreas-Salomé, Fenitſchka. 2
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[17/0021] — 17 — ihm damals jede ſtudierende oder gelehrte Frau ein¬ zuflößen pflegte. Ja, er nahm's faſt als Beweis, daß Fenia nur zum Schein eine ſolche ſei —. Beim Verlaſſen des Reſtaurants wurde noch der Vor¬ ſchlag laut, die lange Nachtſchwärmerei mit einer Fahrt ins Bois de Boulogne abzuſchließen, aber ein vielſtim¬ miges Gähnen proteſtierte dagegen. Uebrigens ließ ſich auch an keiner Straßenecke ein Fiaker blicken. End¬ lich entſchloß man ſich, zu Fuß den Heimweg anzutreten, jeder Herr begleitete eine der Damen nach Hauſe, und Max Werner gelang es, Fenia auf ſeinen Anteil zu be¬ kommen. Schon drang die Sonne durch den Morgennebel und übergoß Paris mit jenem köſtlichen Frührotſchein, den die feuchte Luft über den Ufern der Seine erzeugt. „Das iſt ganz herrlich!“ rief Fenia und blieb mitten auf der Straße ſtehn, ſetzte aber ſogleich ſehr proſaiſch hinzu: „Wenn ich jetzt eine Taſſe ſtarken Kaffee bekommen könnte! Dann brauchte ich mich zu Hauſe nicht erſt niederzulegen, und der Tag wäre nicht verloren.“ „Sie ſehen nicht müde aus, ſondern ganz wunder¬ bar klaräugig,“ bemerkte er und ſah ſie an, „es wird Ihnen offenbar leicht, eine Nacht nicht auszuruhen.“ Sie nickte. „Ich bin's gewöhnt,“ ſagte ſie, „ich habe vorzugs¬ weiſe nachts bei den Büchern geſeſſen. Wenn's um einen her ſo ſtill iſt —“ „Das klingt doch wirklich rein wahnſinnig, wenn man ein junges Mädchen ſo etwas ſagen hört,“ er¬ Lou Andreas-Salomé, Fenitſchka. 2

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/21>, abgerufen am 22.11.2024.