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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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Nach einer Weile schien in einer Droschke Besuch
vorzufahren. Meine Mutter trat in den Flur hinaus
und kam bald darauf mit einer kleingewachsenen jungen
Dame zurück, die an einem Krückstock ging.

"Die Baronesse Daniela hatte gehofft, Benno an¬
zutreffen," bemerkte die Mutter, indem sie uns mitein¬
ander bekannt machte, "ich habe sie gebeten, bei uns ein
wenig zu warten, weil Benno nur vorübergehend in
Anspruch genommen ist."

"Ich wollte Herrn Doktor Frensdorff nur einen Augen¬
blick sprechen," sagte die Baronesse mit einer höchst wohl¬
lautenden sanften Stimme zu mir, "nur um zu hören,
ob ich morgen kommen darf. Denn ich kann nicht immer
von Hause fortkommen. -- Aber vielleicht wissen Sie
überhaupt gar nicht, daß ich seine Schülerin bin?"

"Nein! Davon wußte ich allerdings nichts," ver¬
setzte ich, sie ins Wohnzimmer geleitend, wobei ich sehen
konnte, wie stark sie in den Schultern und Hüften ver¬
wachsen war, "-- aber unmöglich studieren Sie Medizin?"

Die Baronesse Daniela mußte bei dieser Zumutung
lachen, und ihr blasses, schmales, merkwürdig altblickendes
Gesicht verjüngte und verschönte sich dabei. "Nein, nein!"
wehrte sie ab, und setzte sich mühselig hin, "richtig stu¬
dieren kann ich ja überhaupt nicht. Aber Herr Doktor
Frensdorff treibt viel Schönes mit mir, Litteratur, Ge¬
schichte, sogar etwas Philosophie."

"Was Tausend! Benno thut das?" unterbrach ich
sie überrascht, "aber wann kommt er denn dazu?"

"Ja, er thut es aus Güte für mich. Ich bin näm¬
lich
seine Patientin gewesen. Eh ich zu ihm kam, war

Nach einer Weile ſchien in einer Droſchke Beſuch
vorzufahren. Meine Mutter trat in den Flur hinaus
und kam bald darauf mit einer kleingewachſenen jungen
Dame zurück, die an einem Krückſtock ging.

„Die Baroneſſe Daniela hatte gehofft, Benno an¬
zutreffen,“ bemerkte die Mutter, indem ſie uns mitein¬
ander bekannt machte, „ich habe ſie gebeten, bei uns ein
wenig zu warten, weil Benno nur vorübergehend in
Anſpruch genommen iſt.“

„Ich wollte Herrn Doktor Frensdorff nur einen Augen¬
blick ſprechen,“ ſagte die Baroneſſe mit einer höchſt wohl¬
lautenden ſanften Stimme zu mir, „nur um zu hören,
ob ich morgen kommen darf. Denn ich kann nicht immer
von Hauſe fortkommen. — Aber vielleicht wiſſen Sie
überhaupt gar nicht, daß ich ſeine Schülerin bin?“

„Nein! Davon wußte ich allerdings nichts,“ ver¬
ſetzte ich, ſie ins Wohnzimmer geleitend, wobei ich ſehen
konnte, wie ſtark ſie in den Schultern und Hüften ver¬
wachſen war, „— aber unmöglich ſtudieren Sie Medizin?“

Die Baroneſſe Daniela mußte bei dieſer Zumutung
lachen, und ihr blaſſes, ſchmales, merkwürdig altblickendes
Geſicht verjüngte und verſchönte ſich dabei. „Nein, nein!“
wehrte ſie ab, und ſetzte ſich mühſelig hin, „richtig ſtu¬
dieren kann ich ja überhaupt nicht. Aber Herr Doktor
Frensdorff treibt viel Schönes mit mir, Litteratur, Ge¬
ſchichte, ſogar etwas Philoſophie.“

„Was Tauſend! Benno thut das?“ unterbrach ich
ſie überraſcht, „aber wann kommt er denn dazu?“

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ſeine Patientin geweſen. Eh ich zu ihm kam, war

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[144/0148] — 144 — Nach einer Weile ſchien in einer Droſchke Beſuch vorzufahren. Meine Mutter trat in den Flur hinaus und kam bald darauf mit einer kleingewachſenen jungen Dame zurück, die an einem Krückſtock ging. „Die Baroneſſe Daniela hatte gehofft, Benno an¬ zutreffen,“ bemerkte die Mutter, indem ſie uns mitein¬ ander bekannt machte, „ich habe ſie gebeten, bei uns ein wenig zu warten, weil Benno nur vorübergehend in Anſpruch genommen iſt.“ „Ich wollte Herrn Doktor Frensdorff nur einen Augen¬ blick ſprechen,“ ſagte die Baroneſſe mit einer höchſt wohl¬ lautenden ſanften Stimme zu mir, „nur um zu hören, ob ich morgen kommen darf. Denn ich kann nicht immer von Hauſe fortkommen. — Aber vielleicht wiſſen Sie überhaupt gar nicht, daß ich ſeine Schülerin bin?“ „Nein! Davon wußte ich allerdings nichts,“ ver¬ ſetzte ich, ſie ins Wohnzimmer geleitend, wobei ich ſehen konnte, wie ſtark ſie in den Schultern und Hüften ver¬ wachſen war, „— aber unmöglich ſtudieren Sie Medizin?“ Die Baroneſſe Daniela mußte bei dieſer Zumutung lachen, und ihr blaſſes, ſchmales, merkwürdig altblickendes Geſicht verjüngte und verſchönte ſich dabei. „Nein, nein!“ wehrte ſie ab, und ſetzte ſich mühſelig hin, „richtig ſtu¬ dieren kann ich ja überhaupt nicht. Aber Herr Doktor Frensdorff treibt viel Schönes mit mir, Litteratur, Ge¬ ſchichte, ſogar etwas Philoſophie.“ „Was Tauſend! Benno thut das?“ unterbrach ich ſie überraſcht, „aber wann kommt er denn dazu?“ „Ja, er thut es aus Güte für mich. Ich bin näm¬ lich ſeine Patientin geweſen. Eh ich zu ihm kam, war

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/148>, abgerufen am 27.11.2024.