Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Die Frage war mit einer herzlichen Höflichkeit betont. Es war der specielle Wunsch Ihres Herrn Vaters, setzte er leise hinzu, daß Sie, sobald es die Umstände erlaubten, dieses Haus mit dem meinigen vertauschen möchten. Die Gründe später! Der Baron hatte in dem Blick seines Auges etwas so Festes und Ehrliches, daß man ihm unwillkürlich folgen mußte. Der edle Mann! rief jetzt Herr O., welcher inzwischen das Testament gelesen, mit pathetischer Stimme. Ja, so war er immer -- sanft ruhe seine Asche! Ich könnte weinen, wenn es nicht gegen meine Grundsätze wäre. Sich dann an den Baron wendend, fuhr er fort, Sie werden mir gestatten, von diesem Actenstück eine Abschrift zu nehmen! -- Bitte, behalten Sie Platz. Auch Sie, Herr Friedmann. Vor Abend dürfen Sie mich nicht verlassen. Verzeihen Sie, sagte der Baron, wir müssen sofort reisen, um noch bis Abend in Halberstadt zu sein, wo meine Frau das Fräulein voll Sehnsucht erwartet. Meine Frau -- herrlicher Ausspruch! mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich will es nur gestehen: je mehr ich während der vorhergehenden Scene den Baron in seiner stattlichen Erscheinung, seinem gewandten und ritterlichen Anstand bewundern mußte: je bedenklicher erschien mir die neue über Anna von Halden verhängte Vormundschaft. Bei dem sichtlichen Eifer, welchen er zeigte, das Fräulein so rasch als möglich von dannen zu führen, schien es mir kaum noch zweifelhaft, daß er mit größerer Berechtigung als sein Vorgänger die Heirathsgedanken desselben adoptiren dürfte, und das alte Incidit in Scyllam etc. trat drohend vor meine Seele, als mir jene zwei Worte lieblich ins Ohr tönten und mich von dieser neuen Sorge befreiten. Von nun an erschien mir der Baron erst in seiner wahren Glorie. Die Frage war mit einer herzlichen Höflichkeit betont. Es war der specielle Wunsch Ihres Herrn Vaters, setzte er leise hinzu, daß Sie, sobald es die Umstände erlaubten, dieses Haus mit dem meinigen vertauschen möchten. Die Gründe später! Der Baron hatte in dem Blick seines Auges etwas so Festes und Ehrliches, daß man ihm unwillkürlich folgen mußte. Der edle Mann! rief jetzt Herr O., welcher inzwischen das Testament gelesen, mit pathetischer Stimme. Ja, so war er immer — sanft ruhe seine Asche! Ich könnte weinen, wenn es nicht gegen meine Grundsätze wäre. Sich dann an den Baron wendend, fuhr er fort, Sie werden mir gestatten, von diesem Actenstück eine Abschrift zu nehmen! — Bitte, behalten Sie Platz. Auch Sie, Herr Friedmann. Vor Abend dürfen Sie mich nicht verlassen. Verzeihen Sie, sagte der Baron, wir müssen sofort reisen, um noch bis Abend in Halberstadt zu sein, wo meine Frau das Fräulein voll Sehnsucht erwartet. Meine Frau — herrlicher Ausspruch! mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich will es nur gestehen: je mehr ich während der vorhergehenden Scene den Baron in seiner stattlichen Erscheinung, seinem gewandten und ritterlichen Anstand bewundern mußte: je bedenklicher erschien mir die neue über Anna von Halden verhängte Vormundschaft. Bei dem sichtlichen Eifer, welchen er zeigte, das Fräulein so rasch als möglich von dannen zu führen, schien es mir kaum noch zweifelhaft, daß er mit größerer Berechtigung als sein Vorgänger die Heirathsgedanken desselben adoptiren dürfte, und das alte Incidit in Scyllam etc. trat drohend vor meine Seele, als mir jene zwei Worte lieblich ins Ohr tönten und mich von dieser neuen Sorge befreiten. 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Die Frage war mit einer herzlichen Höflichkeit betont.
Es war der specielle Wunsch Ihres Herrn Vaters, setzte er leise hinzu, daß Sie, sobald es die Umstände erlaubten, dieses Haus mit dem meinigen vertauschen möchten. Die Gründe später!
Der Baron hatte in dem Blick seines Auges etwas so Festes und Ehrliches, daß man ihm unwillkürlich folgen mußte.
Der edle Mann! rief jetzt Herr O., welcher inzwischen das Testament gelesen, mit pathetischer Stimme. Ja, so war er immer — sanft ruhe seine Asche! Ich könnte weinen, wenn es nicht gegen meine Grundsätze wäre. Sich dann an den Baron wendend, fuhr er fort, Sie werden mir gestatten, von diesem Actenstück eine Abschrift zu nehmen! — Bitte, behalten Sie Platz. Auch Sie, Herr Friedmann. Vor Abend dürfen Sie mich nicht verlassen.
Verzeihen Sie, sagte der Baron, wir müssen sofort reisen, um noch bis Abend in Halberstadt zu sein, wo meine Frau das Fräulein voll Sehnsucht erwartet.
Meine Frau — herrlicher Ausspruch! mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich will es nur gestehen: je mehr ich während der vorhergehenden Scene den Baron in seiner stattlichen Erscheinung, seinem gewandten und ritterlichen Anstand bewundern mußte: je bedenklicher erschien mir die neue über Anna von Halden verhängte Vormundschaft. Bei dem sichtlichen Eifer, welchen er zeigte, das Fräulein so rasch als möglich von dannen zu führen, schien es mir kaum noch zweifelhaft, daß er mit größerer Berechtigung als sein Vorgänger die Heirathsgedanken desselben adoptiren dürfte, und das alte Incidit in Scyllam etc. trat drohend vor meine Seele, als mir jene zwei Worte lieblich ins Ohr tönten und mich von dieser neuen Sorge befreiten. Von nun an erschien mir der Baron erst in seiner wahren Glorie.
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Zitationshilfe: | Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/72>, abgerufen am 16.07.2024. |