Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Proben ihrer Begeisterung und kriegerischen Tüchtigkeit abgelegt hatte, im Besitz der Oder- und Elbfestungen, hinter sich die ihm noch immer ergebenen Staaten des Rheinbundes -- kein Wunder, daß der Glaube an seine Unüberwindlichkeit in den Gemüthern der Menschen wieder auflebte! Für den Verlust meiner politischen Hoffnungen tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß es mir nach Wiederherstellung des Friedens gelingen werde, mit Gottes Hülfe einen eigenen Herd zu gründen. Ich malte mir in glücklichen Träumereien ein stilles, von Linden umschattetes Pfarrhäuschen, abseit von dem Lärm der Welt, ein Gärtchen am Ufer eines rauschenden Baches -- und in der Geisblattlaube drei selige Menschen. Daß zwei dieser Personen meine Mutter und ich sein würden, ist leicht zu errathen; wer die dritte, war mein Geheimniß. Gegen den Amtmann äußerte ich nichts von diesen Träumen; über die politischen ließ ich ihn nach Herzenslust spotten. Ja, ich begann mehr und mehr seine quietistische Weltansicht zu theilen. Wie wenig, sagte ich mir, gewinnt bei der politischen Größe und Macht eines Staates das Wohlsein der Individuen! Der Einzelne wird sein Glück immer für sich unabhängig von den öffentlichen Angelegenheiten suchen müssen; sein Königreich sind doch immer nur die vier Pfahle, innerhalb deren er hauset. Aus diesen Träumereien weckte mich die Kunde von dem Wiederausbruch des Krieges; das Gesicht meines Brodherrn verzog sich dabei in düstere Falten, und seine grauen Augen blickten mißtrauischer als je. Die Welt ist toll, murmelte er wiederholt mit einem tiefen Stoßseufzer: das einzige vernünftige Volk lebt in Amerika; könnt' ich mich doch mit meinem Grund und Boden dahin versetzen! Seine Stimmung wurde immer schwärzer; Niemand konnte es ihm recht machen; Kinder und Gesinde hatten viel zu leiden; ich nicht minder, so daß ich mehr Proben ihrer Begeisterung und kriegerischen Tüchtigkeit abgelegt hatte, im Besitz der Oder- und Elbfestungen, hinter sich die ihm noch immer ergebenen Staaten des Rheinbundes — kein Wunder, daß der Glaube an seine Unüberwindlichkeit in den Gemüthern der Menschen wieder auflebte! Für den Verlust meiner politischen Hoffnungen tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß es mir nach Wiederherstellung des Friedens gelingen werde, mit Gottes Hülfe einen eigenen Herd zu gründen. Ich malte mir in glücklichen Träumereien ein stilles, von Linden umschattetes Pfarrhäuschen, abseit von dem Lärm der Welt, ein Gärtchen am Ufer eines rauschenden Baches — und in der Geisblattlaube drei selige Menschen. Daß zwei dieser Personen meine Mutter und ich sein würden, ist leicht zu errathen; wer die dritte, war mein Geheimniß. Gegen den Amtmann äußerte ich nichts von diesen Träumen; über die politischen ließ ich ihn nach Herzenslust spotten. Ja, ich begann mehr und mehr seine quietistische Weltansicht zu theilen. Wie wenig, sagte ich mir, gewinnt bei der politischen Größe und Macht eines Staates das Wohlsein der Individuen! Der Einzelne wird sein Glück immer für sich unabhängig von den öffentlichen Angelegenheiten suchen müssen; sein Königreich sind doch immer nur die vier Pfahle, innerhalb deren er hauset. Aus diesen Träumereien weckte mich die Kunde von dem Wiederausbruch des Krieges; das Gesicht meines Brodherrn verzog sich dabei in düstere Falten, und seine grauen Augen blickten mißtrauischer als je. Die Welt ist toll, murmelte er wiederholt mit einem tiefen Stoßseufzer: das einzige vernünftige Volk lebt in Amerika; könnt' ich mich doch mit meinem Grund und Boden dahin versetzen! Seine Stimmung wurde immer schwärzer; Niemand konnte es ihm recht machen; Kinder und Gesinde hatten viel zu leiden; ich nicht minder, so daß ich mehr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0051"/> Proben ihrer Begeisterung und kriegerischen Tüchtigkeit abgelegt hatte, im Besitz der Oder- und Elbfestungen, hinter sich die ihm noch immer ergebenen Staaten des Rheinbundes — kein Wunder, daß der Glaube an seine Unüberwindlichkeit in den Gemüthern der Menschen wieder auflebte! </p><lb/> <p>Für den Verlust meiner politischen Hoffnungen tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß es mir nach Wiederherstellung des Friedens gelingen werde, mit Gottes Hülfe einen eigenen Herd zu gründen. Ich malte mir in glücklichen Träumereien ein stilles, von Linden umschattetes Pfarrhäuschen, abseit von dem Lärm der Welt, ein Gärtchen am Ufer eines rauschenden Baches — und in der Geisblattlaube drei selige Menschen. 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Proben ihrer Begeisterung und kriegerischen Tüchtigkeit abgelegt hatte, im Besitz der Oder- und Elbfestungen, hinter sich die ihm noch immer ergebenen Staaten des Rheinbundes — kein Wunder, daß der Glaube an seine Unüberwindlichkeit in den Gemüthern der Menschen wieder auflebte!
Für den Verlust meiner politischen Hoffnungen tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß es mir nach Wiederherstellung des Friedens gelingen werde, mit Gottes Hülfe einen eigenen Herd zu gründen. Ich malte mir in glücklichen Träumereien ein stilles, von Linden umschattetes Pfarrhäuschen, abseit von dem Lärm der Welt, ein Gärtchen am Ufer eines rauschenden Baches — und in der Geisblattlaube drei selige Menschen. Daß zwei dieser Personen meine Mutter und ich sein würden, ist leicht zu errathen; wer die dritte, war mein Geheimniß. Gegen den Amtmann äußerte ich nichts von diesen Träumen; über die politischen ließ ich ihn nach Herzenslust spotten. Ja, ich begann mehr und mehr seine quietistische Weltansicht zu theilen. Wie wenig, sagte ich mir, gewinnt bei der politischen Größe und Macht eines Staates das Wohlsein der Individuen! Der Einzelne wird sein Glück immer für sich unabhängig von den öffentlichen Angelegenheiten suchen müssen; sein Königreich sind doch immer nur die vier Pfahle, innerhalb deren er hauset.
Aus diesen Träumereien weckte mich die Kunde von dem Wiederausbruch des Krieges; das Gesicht meines Brodherrn verzog sich dabei in düstere Falten, und seine grauen Augen blickten mißtrauischer als je. Die Welt ist toll, murmelte er wiederholt mit einem tiefen Stoßseufzer: das einzige vernünftige Volk lebt in Amerika; könnt' ich mich doch mit meinem Grund und Boden dahin versetzen!
Seine Stimmung wurde immer schwärzer; Niemand konnte es ihm recht machen; Kinder und Gesinde hatten viel zu leiden; ich nicht minder, so daß ich mehr
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Zitationshilfe: | Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/51>, abgerufen am 16.07.2024. |