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Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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als einmal im Begriff war, das Haus zu verlassen. Nur mit Fräulein von Halden machte er eine Ausnahme, gegen sie hatte er nur selten ein rauhes Wort, dem dann auch immer bald ein versöhnendes folgte.

Er suchte ihr den Aufenthalt auf dem Gute so angenehm als möglich zu machen, und ihre Gegenwart schien seine schlimmsten Launen zu verscheuchen, wenigstens unterdrückte er die Ausbrüche derselben. Dieser Zug versöhnte mich fast mit, seinen übrigen Fehlern.

Das Unglück wenigstens, dacht' ich, ist dem sonst so selbstsüchtigen Manne heilig; er ehrt den Schmerz der Waise. Vielleicht auch, daß er nicht unempfänglich für ihre Vorzüge, ihren Seelenadel ist, daß er wenigstens an Andern die sittliche Schönheit empfindet, welche ihm selbst fehlt. Wie hatt' ich mich getäuscht!

Ich bemerkte häufig, daß es dem Amtmann unangenehm war, wenn ich mich mit seiner Nichte lebhaft unterhielt, besonders wenn das Gespräch religiöse oder literarische Gegenstände betraf; er suchte uns darin auf alle mögliche Weise zu stören. Es mißfiel ihm, daß wir geistige Berührungspunkte hatten, welche ihm fremd waren. Noch ärgerlicher war es ihm, wenn wir gelegentlich im Garten oder auf einem Spaziergang uns absonderten. Die "Mamsell," welche die Wirthschaft führte und in diesem Amte viele schätzbare Eigenschaften bewies, nahm dagegen unsere Partei und warnte uns, wenn wir uns allein trafen, vor seinen Ueberfällen. Sie ihrerseits schien es ungern zu sehen, wenn sich Onkel und Nichte mit einander allein befanden, und störte nicht selten ein solches Zusammensein durch wirthschaftliche Mittheilungen oder Anfragen. Mit der unermüdlichsten Thätigkeit, wegen deren sie der Amtmann schätzte, verband sie einen gewissen Widerspruchsgeist und wünschte in dem ihr zugewiesenen Kreise uneingeschränkt zu herrschen.

Ich ahnte die geheimen Motive aller dieser Vorgänge nicht, als mich eines Tages der Amtmann in

als einmal im Begriff war, das Haus zu verlassen. Nur mit Fräulein von Halden machte er eine Ausnahme, gegen sie hatte er nur selten ein rauhes Wort, dem dann auch immer bald ein versöhnendes folgte.

Er suchte ihr den Aufenthalt auf dem Gute so angenehm als möglich zu machen, und ihre Gegenwart schien seine schlimmsten Launen zu verscheuchen, wenigstens unterdrückte er die Ausbrüche derselben. Dieser Zug versöhnte mich fast mit, seinen übrigen Fehlern.

Das Unglück wenigstens, dacht' ich, ist dem sonst so selbstsüchtigen Manne heilig; er ehrt den Schmerz der Waise. Vielleicht auch, daß er nicht unempfänglich für ihre Vorzüge, ihren Seelenadel ist, daß er wenigstens an Andern die sittliche Schönheit empfindet, welche ihm selbst fehlt. Wie hatt' ich mich getäuscht!

Ich bemerkte häufig, daß es dem Amtmann unangenehm war, wenn ich mich mit seiner Nichte lebhaft unterhielt, besonders wenn das Gespräch religiöse oder literarische Gegenstände betraf; er suchte uns darin auf alle mögliche Weise zu stören. Es mißfiel ihm, daß wir geistige Berührungspunkte hatten, welche ihm fremd waren. Noch ärgerlicher war es ihm, wenn wir gelegentlich im Garten oder auf einem Spaziergang uns absonderten. Die „Mamsell,“ welche die Wirthschaft führte und in diesem Amte viele schätzbare Eigenschaften bewies, nahm dagegen unsere Partei und warnte uns, wenn wir uns allein trafen, vor seinen Ueberfällen. Sie ihrerseits schien es ungern zu sehen, wenn sich Onkel und Nichte mit einander allein befanden, und störte nicht selten ein solches Zusammensein durch wirthschaftliche Mittheilungen oder Anfragen. Mit der unermüdlichsten Thätigkeit, wegen deren sie der Amtmann schätzte, verband sie einen gewissen Widerspruchsgeist und wünschte in dem ihr zugewiesenen Kreise uneingeschränkt zu herrschen.

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[0052] als einmal im Begriff war, das Haus zu verlassen. Nur mit Fräulein von Halden machte er eine Ausnahme, gegen sie hatte er nur selten ein rauhes Wort, dem dann auch immer bald ein versöhnendes folgte. Er suchte ihr den Aufenthalt auf dem Gute so angenehm als möglich zu machen, und ihre Gegenwart schien seine schlimmsten Launen zu verscheuchen, wenigstens unterdrückte er die Ausbrüche derselben. Dieser Zug versöhnte mich fast mit, seinen übrigen Fehlern. Das Unglück wenigstens, dacht' ich, ist dem sonst so selbstsüchtigen Manne heilig; er ehrt den Schmerz der Waise. Vielleicht auch, daß er nicht unempfänglich für ihre Vorzüge, ihren Seelenadel ist, daß er wenigstens an Andern die sittliche Schönheit empfindet, welche ihm selbst fehlt. Wie hatt' ich mich getäuscht! Ich bemerkte häufig, daß es dem Amtmann unangenehm war, wenn ich mich mit seiner Nichte lebhaft unterhielt, besonders wenn das Gespräch religiöse oder literarische Gegenstände betraf; er suchte uns darin auf alle mögliche Weise zu stören. Es mißfiel ihm, daß wir geistige Berührungspunkte hatten, welche ihm fremd waren. Noch ärgerlicher war es ihm, wenn wir gelegentlich im Garten oder auf einem Spaziergang uns absonderten. Die „Mamsell,“ welche die Wirthschaft führte und in diesem Amte viele schätzbare Eigenschaften bewies, nahm dagegen unsere Partei und warnte uns, wenn wir uns allein trafen, vor seinen Ueberfällen. Sie ihrerseits schien es ungern zu sehen, wenn sich Onkel und Nichte mit einander allein befanden, und störte nicht selten ein solches Zusammensein durch wirthschaftliche Mittheilungen oder Anfragen. Mit der unermüdlichsten Thätigkeit, wegen deren sie der Amtmann schätzte, verband sie einen gewissen Widerspruchsgeist und wünschte in dem ihr zugewiesenen Kreise uneingeschränkt zu herrschen. Ich ahnte die geheimen Motive aller dieser Vorgänge nicht, als mich eines Tages der Amtmann in

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:28:07Z)

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Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/52>, abgerufen am 25.04.2024.