Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

der gleich wieder dem stillen Kummer wich, welcher ihr Antlitz trübte. Was war die Ursache dieser schweigenden Klage?

Meine Blicke fielen auf das Gemälde: es war das Porträt eines Mannes; ich trat näher -- ein schönes, ausdrucksvolles Gesicht mit großen blauen Augen und einem braunen Backenbart -- aber ein Gesicht in der Reife des Alters -- ich athmete freier.

Es ist das Bild meines armen Vaters, sagte das Fräulein mit einer Thräne im Auge. Ich konnte es leider nur nach der Erinnerung entwerfen.

Er ist wohl fern von Ihnen? fragte ich theilnehmend.

Recht fern -- und vielleicht recht nahe, flüsterte sie und deutete mit der weißen Hand nach oben.

Todt! -- rief ich erschüttert.

Das Fräulein rang nach Fassung.

Ach! er ist Ihnen nahe, sprach ich bewegt, indem mir selbst Thränen in die Augen traten. Er blickt liebend auf Sie herab, entsagen Sie nie diesem Glauben.

Es entstand eine Pause; ich wollte reden, aber die Stimme versagte mir; mein Herz war so voll.

Plötzlich hört' ich Schritte; der Amtmann trat in die Kapelle. Nie war mir seine Erscheinung so widerlich, als in jenem Moment.

Wo bleiben Sie nur, Herr Candidat? rief er mit feiner näselnden Stimme; seit einer halben Stunde suchte ich Sie im ganzen Garten. Haben derweil die Bekanntschaft meiner Nichte gemacht. Fräulein von Halden -- Candidat Friedmann -- sagte er, uns gegenseitig vorstellend.

Wie gefällt Ihnen der Kasten? fuhr er fort, auf die Wände deutend. Ein Denkmal meiner Schwäche für die Wunsche dieser jungen Dame. Die Baracke war total verfallen, mit Spinnweben und Gestrüpp überzogen, als ich das Gut übernahm. Ich hatte zehn Jahre lang, die ich hier wirthschafte, kein Geld für

der gleich wieder dem stillen Kummer wich, welcher ihr Antlitz trübte. Was war die Ursache dieser schweigenden Klage?

Meine Blicke fielen auf das Gemälde: es war das Porträt eines Mannes; ich trat näher — ein schönes, ausdrucksvolles Gesicht mit großen blauen Augen und einem braunen Backenbart — aber ein Gesicht in der Reife des Alters — ich athmete freier.

Es ist das Bild meines armen Vaters, sagte das Fräulein mit einer Thräne im Auge. Ich konnte es leider nur nach der Erinnerung entwerfen.

Er ist wohl fern von Ihnen? fragte ich theilnehmend.

Recht fern — und vielleicht recht nahe, flüsterte sie und deutete mit der weißen Hand nach oben.

Todt! — rief ich erschüttert.

Das Fräulein rang nach Fassung.

Ach! er ist Ihnen nahe, sprach ich bewegt, indem mir selbst Thränen in die Augen traten. Er blickt liebend auf Sie herab, entsagen Sie nie diesem Glauben.

Es entstand eine Pause; ich wollte reden, aber die Stimme versagte mir; mein Herz war so voll.

Plötzlich hört' ich Schritte; der Amtmann trat in die Kapelle. Nie war mir seine Erscheinung so widerlich, als in jenem Moment.

Wo bleiben Sie nur, Herr Candidat? rief er mit feiner näselnden Stimme; seit einer halben Stunde suchte ich Sie im ganzen Garten. Haben derweil die Bekanntschaft meiner Nichte gemacht. Fräulein von Halden — Candidat Friedmann — sagte er, uns gegenseitig vorstellend.

Wie gefällt Ihnen der Kasten? fuhr er fort, auf die Wände deutend. Ein Denkmal meiner Schwäche für die Wunsche dieser jungen Dame. Die Baracke war total verfallen, mit Spinnweben und Gestrüpp überzogen, als ich das Gut übernahm. Ich hatte zehn Jahre lang, die ich hier wirthschafte, kein Geld für

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0045"/>
der gleich wieder dem stillen Kummer wich,      welcher ihr Antlitz trübte. Was war die Ursache dieser schweigenden Klage? </p><lb/>
        <p>Meine Blicke fielen auf das Gemälde: es war das Porträt eines Mannes; ich trat näher &#x2014;  ein      schönes, ausdrucksvolles Gesicht mit großen blauen Augen und einem braunen Backenbart &#x2014; aber      ein Gesicht in der Reife des Alters &#x2014; ich athmete freier. </p><lb/>
        <p>Es ist das Bild meines armen Vaters, sagte das Fräulein mit einer Thräne im Auge. Ich konnte      es leider nur nach der Erinnerung entwerfen. </p><lb/>
        <p>Er ist wohl fern von Ihnen? fragte ich theilnehmend. </p><lb/>
        <p>Recht fern &#x2014; und vielleicht recht nahe, flüsterte sie und deutete mit der weißen Hand nach      oben. </p><lb/>
        <p>Todt! &#x2014; rief ich erschüttert. </p><lb/>
        <p>Das Fräulein rang nach Fassung. </p><lb/>
        <p>Ach! er ist Ihnen nahe, sprach ich bewegt, indem mir selbst Thränen in die Augen traten. Er      blickt liebend auf Sie herab, entsagen Sie nie diesem Glauben. </p><lb/>
        <p>Es entstand eine Pause; ich wollte reden, aber die Stimme versagte mir; mein Herz war so      voll. </p><lb/>
        <p>Plötzlich hört' ich Schritte; der Amtmann trat in die Kapelle. Nie war mir seine Erscheinung      so widerlich, als in jenem Moment. </p><lb/>
        <p>Wo bleiben Sie nur, Herr Candidat? rief er mit feiner näselnden Stimme; seit einer halben      Stunde suchte ich Sie im ganzen Garten. Haben derweil die Bekanntschaft meiner Nichte gemacht.      Fräulein von Halden &#x2014; Candidat Friedmann &#x2014; sagte er, uns gegenseitig vorstellend. </p><lb/>
        <p>Wie gefällt Ihnen der Kasten? fuhr er fort, auf die Wände deutend. Ein Denkmal meiner      Schwäche für die Wunsche dieser jungen Dame. Die Baracke war total verfallen, mit Spinnweben      und Gestrüpp überzogen, als ich das Gut übernahm. Ich hatte zehn Jahre lang, die ich hier      wirthschafte, kein Geld für<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] der gleich wieder dem stillen Kummer wich, welcher ihr Antlitz trübte. Was war die Ursache dieser schweigenden Klage? Meine Blicke fielen auf das Gemälde: es war das Porträt eines Mannes; ich trat näher — ein schönes, ausdrucksvolles Gesicht mit großen blauen Augen und einem braunen Backenbart — aber ein Gesicht in der Reife des Alters — ich athmete freier. Es ist das Bild meines armen Vaters, sagte das Fräulein mit einer Thräne im Auge. Ich konnte es leider nur nach der Erinnerung entwerfen. Er ist wohl fern von Ihnen? fragte ich theilnehmend. Recht fern — und vielleicht recht nahe, flüsterte sie und deutete mit der weißen Hand nach oben. Todt! — rief ich erschüttert. Das Fräulein rang nach Fassung. Ach! er ist Ihnen nahe, sprach ich bewegt, indem mir selbst Thränen in die Augen traten. Er blickt liebend auf Sie herab, entsagen Sie nie diesem Glauben. Es entstand eine Pause; ich wollte reden, aber die Stimme versagte mir; mein Herz war so voll. Plötzlich hört' ich Schritte; der Amtmann trat in die Kapelle. Nie war mir seine Erscheinung so widerlich, als in jenem Moment. Wo bleiben Sie nur, Herr Candidat? rief er mit feiner näselnden Stimme; seit einer halben Stunde suchte ich Sie im ganzen Garten. Haben derweil die Bekanntschaft meiner Nichte gemacht. Fräulein von Halden — Candidat Friedmann — sagte er, uns gegenseitig vorstellend. Wie gefällt Ihnen der Kasten? fuhr er fort, auf die Wände deutend. Ein Denkmal meiner Schwäche für die Wunsche dieser jungen Dame. Die Baracke war total verfallen, mit Spinnweben und Gestrüpp überzogen, als ich das Gut übernahm. Ich hatte zehn Jahre lang, die ich hier wirthschafte, kein Geld für

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:28:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/45
Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/45>, abgerufen am 25.11.2024.