Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Mann, welcher mich verhaftet hatte, in gebrochenem Deutsch, ob er sicher sei, daß ich die rechte Person. -- Zu Befehl, Herr Commissär, versetzte dieser, Sie haben selbst gesehen, wie er in statu quo aus seinem Schlafzimmer entsprang, das Pistol auf uns abfeuerte und hernach durch eine Fallthüre verschwand. -- Aber, fragte Jener, Sie ihn nich kenn von Person? -- Nein, ich habe ihn früher nie gesehen.

In diesem Augenblick trat der gigantische Diener ins Zimmer; er trug Kleidungsstücke über dem Arm und fragte mich in ehrfurchtsvoller Haltung und mit einem eigenthümlichen Zwinkern der Augenwinkel: Befehlen der Herr Baron, daß ich Sie ankleide?

Ja, versetzte ich mit fester Stimme, entschlossen, die mir vom Schicksal übertragene Heldenrolle mit Würde zu spielen, und legte mit Hülfe des Bedienten die dargebotenen Kleidungsstucke rasch an, während der kleine Commissär, sich vergnügt die Hände reibend, in den Bart murmelte: Ah, c'est lui; maintenant plus de doute.

Eine Stunde später saß ich neben dem guten Referendar mit dem freundlichen vis-a-vis zweier Gendarmen, deren Karabiner beständig auf uns gerichtet blieben, in einem Wagen, welcher rasch durch die Morgennebel dahinflog.

Es ist nur ein Glück, sagte der Jurist, mit der den wahren Philosophen charakterisirenden Gemüthsruhe, es ist nur ein Glück, daß ich in der Eile noch einen Band von Fichte eingesteckt habe; da hat man doch auf der Reise eine vernünftige Lecture. Wohin mögen wir fahren?

Vermuthlich nach der Hauptstadt, sagt' ich beklommen.

Was ist nur aus dem Baron geworden? fragte er wieder.

Lassen Sie das, Freund, sagt' ich, ihm einen sanften Fußtritt versetzend, die Leute kennen mich und

Mann, welcher mich verhaftet hatte, in gebrochenem Deutsch, ob er sicher sei, daß ich die rechte Person. — Zu Befehl, Herr Commissär, versetzte dieser, Sie haben selbst gesehen, wie er in statu quo aus seinem Schlafzimmer entsprang, das Pistol auf uns abfeuerte und hernach durch eine Fallthüre verschwand. — Aber, fragte Jener, Sie ihn nich kenn von Person? — Nein, ich habe ihn früher nie gesehen.

In diesem Augenblick trat der gigantische Diener ins Zimmer; er trug Kleidungsstücke über dem Arm und fragte mich in ehrfurchtsvoller Haltung und mit einem eigenthümlichen Zwinkern der Augenwinkel: Befehlen der Herr Baron, daß ich Sie ankleide?

Ja, versetzte ich mit fester Stimme, entschlossen, die mir vom Schicksal übertragene Heldenrolle mit Würde zu spielen, und legte mit Hülfe des Bedienten die dargebotenen Kleidungsstucke rasch an, während der kleine Commissär, sich vergnügt die Hände reibend, in den Bart murmelte: Ah, c’est lui; maintenant plus de doute.

Eine Stunde später saß ich neben dem guten Referendar mit dem freundlichen vis-à-vis zweier Gendarmen, deren Karabiner beständig auf uns gerichtet blieben, in einem Wagen, welcher rasch durch die Morgennebel dahinflog.

Es ist nur ein Glück, sagte der Jurist, mit der den wahren Philosophen charakterisirenden Gemüthsruhe, es ist nur ein Glück, daß ich in der Eile noch einen Band von Fichte eingesteckt habe; da hat man doch auf der Reise eine vernünftige Lecture. Wohin mögen wir fahren?

Vermuthlich nach der Hauptstadt, sagt' ich beklommen.

Was ist nur aus dem Baron geworden? fragte er wieder.

Lassen Sie das, Freund, sagt' ich, ihm einen sanften Fußtritt versetzend, die Leute kennen mich und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036"/>
Mann, welcher mich verhaftet hatte, in gebrochenem Deutsch, ob er sicher      sei, daß ich die rechte Person. &#x2014; Zu Befehl, Herr Commissär, versetzte dieser, Sie haben selbst      gesehen, wie er <hi rendition="#aq">in statu quo</hi> aus seinem Schlafzimmer entsprang, das Pistol auf uns abfeuerte      und hernach durch eine Fallthüre verschwand. &#x2014; Aber, fragte Jener, Sie ihn nich kenn von      Person? &#x2014; Nein, ich habe ihn früher nie gesehen. </p><lb/>
        <p>In diesem Augenblick trat der gigantische Diener ins Zimmer; er trug Kleidungsstücke über dem      Arm und fragte mich in ehrfurchtsvoller Haltung und mit einem eigenthümlichen Zwinkern der      Augenwinkel: Befehlen der Herr Baron, daß ich Sie ankleide? </p><lb/>
        <p>Ja, versetzte ich mit fester Stimme, entschlossen, die mir vom Schicksal übertragene      Heldenrolle mit Würde zu spielen, und legte mit Hülfe des Bedienten die dargebotenen      Kleidungsstucke rasch an, während der kleine Commissär, sich vergnügt die Hände reibend, in den      Bart murmelte: <hi rendition="#aq">Ah, c&#x2019;est lui; maintenant plus de doute</hi>. </p><lb/>
        <p>Eine Stunde später saß ich neben dem guten Referendar mit dem freundlichen <hi rendition="#aq">vis-à-vis</hi> zweier      Gendarmen, deren Karabiner beständig auf uns gerichtet blieben, in einem Wagen, welcher rasch      durch die Morgennebel dahinflog. </p><lb/>
        <p>Es ist nur ein Glück, sagte der Jurist, mit der den wahren Philosophen charakterisirenden      Gemüthsruhe, es ist nur ein Glück, daß ich in der Eile noch einen Band von Fichte eingesteckt      habe; da hat man doch auf der Reise eine vernünftige Lecture. Wohin mögen wir fahren? </p><lb/>
        <p>Vermuthlich nach der Hauptstadt, sagt' ich beklommen. </p><lb/>
        <p>Was ist nur aus dem Baron geworden? fragte er wieder. </p><lb/>
        <p>Lassen Sie das, Freund, sagt' ich, ihm einen sanften Fußtritt versetzend, die Leute kennen      mich und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0036] Mann, welcher mich verhaftet hatte, in gebrochenem Deutsch, ob er sicher sei, daß ich die rechte Person. — Zu Befehl, Herr Commissär, versetzte dieser, Sie haben selbst gesehen, wie er in statu quo aus seinem Schlafzimmer entsprang, das Pistol auf uns abfeuerte und hernach durch eine Fallthüre verschwand. — Aber, fragte Jener, Sie ihn nich kenn von Person? — Nein, ich habe ihn früher nie gesehen. In diesem Augenblick trat der gigantische Diener ins Zimmer; er trug Kleidungsstücke über dem Arm und fragte mich in ehrfurchtsvoller Haltung und mit einem eigenthümlichen Zwinkern der Augenwinkel: Befehlen der Herr Baron, daß ich Sie ankleide? Ja, versetzte ich mit fester Stimme, entschlossen, die mir vom Schicksal übertragene Heldenrolle mit Würde zu spielen, und legte mit Hülfe des Bedienten die dargebotenen Kleidungsstucke rasch an, während der kleine Commissär, sich vergnügt die Hände reibend, in den Bart murmelte: Ah, c’est lui; maintenant plus de doute. Eine Stunde später saß ich neben dem guten Referendar mit dem freundlichen vis-à-vis zweier Gendarmen, deren Karabiner beständig auf uns gerichtet blieben, in einem Wagen, welcher rasch durch die Morgennebel dahinflog. Es ist nur ein Glück, sagte der Jurist, mit der den wahren Philosophen charakterisirenden Gemüthsruhe, es ist nur ein Glück, daß ich in der Eile noch einen Band von Fichte eingesteckt habe; da hat man doch auf der Reise eine vernünftige Lecture. Wohin mögen wir fahren? Vermuthlich nach der Hauptstadt, sagt' ich beklommen. Was ist nur aus dem Baron geworden? fragte er wieder. Lassen Sie das, Freund, sagt' ich, ihm einen sanften Fußtritt versetzend, die Leute kennen mich und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:28:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/36
Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/36>, abgerufen am 22.11.2024.