Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ah vraiment! le voila! -- Die Laterne verschwand wieder. Gleichzeitig hörte ich in der Nahe eine gedämpfte Stimme:Verrathen Sie mich nicht! Der Zusammenhang wurde mir auf ein Mal klar. Mochte man bei dem am Abend arretirten Hauptmann compromittirende an den Baron gerichtete Briefe gefunden, oder sonst Verdachtsgründe gegen ihn haben: eine Patrouille war nach der damals bei wichtigen Fällen beliebten Praxis zur Nachtzeit ausgesandt, um den Baron zu verhaften und sich seiner Papiere zu bemächtigen. Der Letztere hat sich wahrscheinlich durch mein Schlafzimmer auf den dahinter liegenden Boden geflüchtet und war durch jene mir so verhängnißvoll gewordene offene Fallthür in den Speicher hinabgesprungen. Ehe ich Zeit hatte, diese Möglichkeiten weiter zu erwägen, öffnete sich die Thür, und ein Mann in Uniform, eine Laterne haltend, gefolgt von zwei Soldaten, trat ein. Mein Herr, Sie sind Arrestant! sagte er zu mir. Hier sehen Sie den Verhaftsbefehl! Er hielt mir ein Blatt Papier vor, auf welchem ich bei dem flackernden Scheine der Laterne nur ein großes Siegel und die Namen meines Wirthes und des Referendars bemerkte. Kommen Sie schnell, sich anzukleiden! rief der Beamte. Ich folgte ihm in den Hof, von da rasch in der Mitte zweier Soldaten auf die Hausflur, wo bei hellem Lichterschein noch verschiedene Polizeileute und die erschrockene Dienerschaft umherstanden. Auch den langen Referendar fand ich daselbst, von zwei Männern bewacht; er putzte seine Brille mit dem Taschentuche, und hatte die gleichmüthigste Miene von der Welt. Man führte mich hinauf in die Zimmer des Barons, wo ich an dem offenen Schreibtisch desselben einen kleinen schwärzlichen Mann in Uniform beschäftigt fand, die darin befindlichen Papiere in Bündel zusammenzuschnüren. Derselbe fixirte mich mit einem stechenden Blick und fragte den neben mir gehenden Ah vraiment! le voilà! — Die Laterne verschwand wieder. Gleichzeitig hörte ich in der Nahe eine gedämpfte Stimme:Verrathen Sie mich nicht! Der Zusammenhang wurde mir auf ein Mal klar. Mochte man bei dem am Abend arretirten Hauptmann compromittirende an den Baron gerichtete Briefe gefunden, oder sonst Verdachtsgründe gegen ihn haben: eine Patrouille war nach der damals bei wichtigen Fällen beliebten Praxis zur Nachtzeit ausgesandt, um den Baron zu verhaften und sich seiner Papiere zu bemächtigen. Der Letztere hat sich wahrscheinlich durch mein Schlafzimmer auf den dahinter liegenden Boden geflüchtet und war durch jene mir so verhängnißvoll gewordene offene Fallthür in den Speicher hinabgesprungen. Ehe ich Zeit hatte, diese Möglichkeiten weiter zu erwägen, öffnete sich die Thür, und ein Mann in Uniform, eine Laterne haltend, gefolgt von zwei Soldaten, trat ein. Mein Herr, Sie sind Arrestant! sagte er zu mir. Hier sehen Sie den Verhaftsbefehl! Er hielt mir ein Blatt Papier vor, auf welchem ich bei dem flackernden Scheine der Laterne nur ein großes Siegel und die Namen meines Wirthes und des Referendars bemerkte. Kommen Sie schnell, sich anzukleiden! rief der Beamte. Ich folgte ihm in den Hof, von da rasch in der Mitte zweier Soldaten auf die Hausflur, wo bei hellem Lichterschein noch verschiedene Polizeileute und die erschrockene Dienerschaft umherstanden. Auch den langen Referendar fand ich daselbst, von zwei Männern bewacht; er putzte seine Brille mit dem Taschentuche, und hatte die gleichmüthigste Miene von der Welt. Man führte mich hinauf in die Zimmer des Barons, wo ich an dem offenen Schreibtisch desselben einen kleinen schwärzlichen Mann in Uniform beschäftigt fand, die darin befindlichen Papiere in Bündel zusammenzuschnüren. Derselbe fixirte mich mit einem stechenden Blick und fragte den neben mir gehenden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0035"/><hi rendition="#aq">Ah vraiment! le voilà!</hi> — Die Laterne verschwand wieder. Gleichzeitig hörte ich in der Nahe eine gedämpfte Stimme:Verrathen Sie mich nicht! </p><lb/> <p>Der Zusammenhang wurde mir auf ein Mal klar. 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Kommen Sie schnell, sich anzukleiden! rief der Beamte. Ich folgte ihm in den Hof, von da rasch in der Mitte zweier Soldaten auf die Hausflur, wo bei hellem Lichterschein noch verschiedene Polizeileute und die erschrockene Dienerschaft umherstanden. Auch den langen Referendar fand ich daselbst, von zwei Männern bewacht; er putzte seine Brille mit dem Taschentuche, und hatte die gleichmüthigste Miene von der Welt.</p><lb/> <p>Man führte mich hinauf in die Zimmer des Barons, wo ich an dem offenen Schreibtisch desselben einen kleinen schwärzlichen Mann in Uniform beschäftigt fand, die darin befindlichen Papiere in Bündel zusammenzuschnüren. Derselbe fixirte mich mit einem stechenden Blick und fragte den neben mir gehenden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
Ah vraiment! le voilà! — Die Laterne verschwand wieder. Gleichzeitig hörte ich in der Nahe eine gedämpfte Stimme:Verrathen Sie mich nicht!
Der Zusammenhang wurde mir auf ein Mal klar. Mochte man bei dem am Abend arretirten Hauptmann compromittirende an den Baron gerichtete Briefe gefunden, oder sonst Verdachtsgründe gegen ihn haben: eine Patrouille war nach der damals bei wichtigen Fällen beliebten Praxis zur Nachtzeit ausgesandt, um den Baron zu verhaften und sich seiner Papiere zu bemächtigen. Der Letztere hat sich wahrscheinlich durch mein Schlafzimmer auf den dahinter liegenden Boden geflüchtet und war durch jene mir so verhängnißvoll gewordene offene Fallthür in den Speicher hinabgesprungen.
Ehe ich Zeit hatte, diese Möglichkeiten weiter zu erwägen, öffnete sich die Thür, und ein Mann in Uniform, eine Laterne haltend, gefolgt von zwei Soldaten, trat ein. Mein Herr, Sie sind Arrestant! sagte er zu mir. Hier sehen Sie den Verhaftsbefehl! Er hielt mir ein Blatt Papier vor, auf welchem ich bei dem flackernden Scheine der Laterne nur ein großes Siegel und die Namen meines Wirthes und des Referendars bemerkte. Kommen Sie schnell, sich anzukleiden! rief der Beamte. Ich folgte ihm in den Hof, von da rasch in der Mitte zweier Soldaten auf die Hausflur, wo bei hellem Lichterschein noch verschiedene Polizeileute und die erschrockene Dienerschaft umherstanden. Auch den langen Referendar fand ich daselbst, von zwei Männern bewacht; er putzte seine Brille mit dem Taschentuche, und hatte die gleichmüthigste Miene von der Welt.
Man führte mich hinauf in die Zimmer des Barons, wo ich an dem offenen Schreibtisch desselben einen kleinen schwärzlichen Mann in Uniform beschäftigt fand, die darin befindlichen Papiere in Bündel zusammenzuschnüren. Derselbe fixirte mich mit einem stechenden Blick und fragte den neben mir gehenden
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Zitationshilfe: | Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/35>, abgerufen am 16.07.2024. |