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Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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trauen ist in diesen Zeiten eher eine Tugend, als ein Laster; und was schadet es nachher, wenn es unbegründet sein sollte! -- Untersuchen wir vor Allem die Natur dieses Bodens!

Ich ging fröstelnd, mit dem Lichte umher leuchtend, vorwärts. Doch ach!

Des Menschen Vorsicht selbst zeugt oft Gefahr!

Indem ich nach allen Seiten umherspähte, blies ein durch eine Dachluke einfallender Windstoß mein Licht aus; erschrocken tappte ich umher, den Rückweg zu finden; ich fühlte eine unbeschreibliche Angst und Verwirrung in der Finsterniß; ich tappte immer weiter, ohne die ersehnte Pforte zu finden -- -- da plötzlich trete ich mit dem vorgestreckten Fuße statt auf solide Bretter in die leere Luft und stürze mit einem Schrei des Entsetzens in einen dunkeln Abgrund.

Ich fiel weicher, als ich hoffen durfte -- in einen Heuhaufen, dessen duftige, prickelnde Wogen über mir zusammenschlugen. Tiefes Dunkel rings umher.

Schmachvolles Schicksal! rief ich, unwürdiges Loos eines Candidaten der Gottesgelehrtheit, eines künftigen Feld- und Siegespredigers! -- Da lieg' ich hülflos -- bei drei Grad Kälte -- in einer Scheune, in einem schnöden Heuhaufen, um morgen von dem Kuhhirten oder dem Hausknecht erlös't und allgemein ausgelacht zu werden! -- Hab' ich deßhalb der bleiernen Drohung eines ergrimmten Ritters getrotzt -- hab' ich deßhalb durch die Kühnheit meiner Tischreden die Hochachtung zweier Ehrenmänner erworben -- um morgen als zähneklapperndes Gespenst aus dem Abgrund eines Futterbodens aufgefischt zu werden? -- Friedmann! wie tief bist du gesunken! Aber dir ist recht geschehen; wozu diese übertriebene Vorsicht, diese überall umherspähende Furchtsamkeit! Ohne sie könntest du jetzt in einem warmen Bette hinter rothen Vorhängen liegen und von Ruhm und Feldpredigten träumen.

trauen ist in diesen Zeiten eher eine Tugend, als ein Laster; und was schadet es nachher, wenn es unbegründet sein sollte! — Untersuchen wir vor Allem die Natur dieses Bodens!

Ich ging fröstelnd, mit dem Lichte umher leuchtend, vorwärts. Doch ach!

Des Menschen Vorsicht selbst zeugt oft Gefahr!

Indem ich nach allen Seiten umherspähte, blies ein durch eine Dachluke einfallender Windstoß mein Licht aus; erschrocken tappte ich umher, den Rückweg zu finden; ich fühlte eine unbeschreibliche Angst und Verwirrung in der Finsterniß; ich tappte immer weiter, ohne die ersehnte Pforte zu finden — — da plötzlich trete ich mit dem vorgestreckten Fuße statt auf solide Bretter in die leere Luft und stürze mit einem Schrei des Entsetzens in einen dunkeln Abgrund.

Ich fiel weicher, als ich hoffen durfte — in einen Heuhaufen, dessen duftige, prickelnde Wogen über mir zusammenschlugen. Tiefes Dunkel rings umher.

Schmachvolles Schicksal! rief ich, unwürdiges Loos eines Candidaten der Gottesgelehrtheit, eines künftigen Feld- und Siegespredigers! — Da lieg' ich hülflos — bei drei Grad Kälte — in einer Scheune, in einem schnöden Heuhaufen, um morgen von dem Kuhhirten oder dem Hausknecht erlös't und allgemein ausgelacht zu werden! — Hab' ich deßhalb der bleiernen Drohung eines ergrimmten Ritters getrotzt — hab' ich deßhalb durch die Kühnheit meiner Tischreden die Hochachtung zweier Ehrenmänner erworben — um morgen als zähneklapperndes Gespenst aus dem Abgrund eines Futterbodens aufgefischt zu werden? — Friedmann! wie tief bist du gesunken! Aber dir ist recht geschehen; wozu diese übertriebene Vorsicht, diese überall umherspähende Furchtsamkeit! Ohne sie könntest du jetzt in einem warmen Bette hinter rothen Vorhängen liegen und von Ruhm und Feldpredigten träumen.

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          <note type="editorial">Vgl. zu diesem Zitat z. B. <bibl>Eduard Young's Nachtgedanken. Im Versmaas der Urschrift übersetzt von Ch. E. Gr. v. Bentzel Sternau.  Band 1. Frankfurt am Main: Brönner, 1825, S. 15.</bibl></note>
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[0033] trauen ist in diesen Zeiten eher eine Tugend, als ein Laster; und was schadet es nachher, wenn es unbegründet sein sollte! — Untersuchen wir vor Allem die Natur dieses Bodens! Ich ging fröstelnd, mit dem Lichte umher leuchtend, vorwärts. Doch ach! Des Menschen Vorsicht selbst zeugt oft Gefahr! Indem ich nach allen Seiten umherspähte, blies ein durch eine Dachluke einfallender Windstoß mein Licht aus; erschrocken tappte ich umher, den Rückweg zu finden; ich fühlte eine unbeschreibliche Angst und Verwirrung in der Finsterniß; ich tappte immer weiter, ohne die ersehnte Pforte zu finden — — da plötzlich trete ich mit dem vorgestreckten Fuße statt auf solide Bretter in die leere Luft und stürze mit einem Schrei des Entsetzens in einen dunkeln Abgrund. Ich fiel weicher, als ich hoffen durfte — in einen Heuhaufen, dessen duftige, prickelnde Wogen über mir zusammenschlugen. Tiefes Dunkel rings umher. Schmachvolles Schicksal! rief ich, unwürdiges Loos eines Candidaten der Gottesgelehrtheit, eines künftigen Feld- und Siegespredigers! — Da lieg' ich hülflos — bei drei Grad Kälte — in einer Scheune, in einem schnöden Heuhaufen, um morgen von dem Kuhhirten oder dem Hausknecht erlös't und allgemein ausgelacht zu werden! — Hab' ich deßhalb der bleiernen Drohung eines ergrimmten Ritters getrotzt — hab' ich deßhalb durch die Kühnheit meiner Tischreden die Hochachtung zweier Ehrenmänner erworben — um morgen als zähneklapperndes Gespenst aus dem Abgrund eines Futterbodens aufgefischt zu werden? — Friedmann! wie tief bist du gesunken! Aber dir ist recht geschehen; wozu diese übertriebene Vorsicht, diese überall umherspähende Furchtsamkeit! Ohne sie könntest du jetzt in einem warmen Bette hinter rothen Vorhängen liegen und von Ruhm und Feldpredigten träumen.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:28:07Z)

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Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/33>, abgerufen am 28.03.2024.