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Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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unbedeutenden Gefahren jene physische Festigkeit fehlte, welche den Herzschlag ruhig, den Kopf kalt erhält, jene Geistesgegenwart, welche sogleich das rechte Mittel und den raschen Entschluß giebt. Aber ein Muth hat mir nie gefehlt: der moralische. Wo es sich um sittliche Güter, um meine Menschenwürde handelte, habe ich nie Furcht gekannt. Ich gehöre zu den Menschen, welche ein bissiger Hund mehr erschreckt, als ein wüthender Mensch.

Ich nahm schweigend eine der dargereichten Pistolen, feuerte sie in das Kamin ab und sagte:

Ich erlaube Ihnen, mich zu erschießen; aber Sie werden mich nie zwingen, etwas wider meine Ehre zu thun. Der Eid, welchen Sie von mir fordern, verträgt sich nicht damit; denn was bedeutet Ihre Zumuthung anders, als daß Sie mich durch eine moralische Handschelle, durch ein religiöses Zwangsmittel verhindern wollen, einen Schurkenstreich zu begehen, den jeder Ehrenmann von selbst nicht begeht, bei dessen bloßer Erwähnung mein ganzes Inneres von Unwillen zittert. Halten Sie mich für fähig, die Köpfe meiner Landsleute der fränkischen Polizei zu verrathen, so thun Sie, was Sie vor Ihrem Gewissen verantworten zu können glauben. Aber nichts soll mich bewegen, einen Eid zu schwören, über den ich erröthen müßte.

Der Baron warf die Pistole auf den Tisch und ging finster auf und ab. Ich setzte mich in einen dastehenden Sessel und stellte Betrachtungen über den Tod und die Unsterblichkeitslehre an; ich dachte an meine arme, verwittwete Mutter daheim, die auf mich, ihren einzigen Sohn, ihre lebensherbstlichen Hoffnungen gesetzt hatte; mein Herz wurde weich und wehmüthig, aber mein Entschluß blieb fest; ich besann mich zur Stärkung auf die erhabensten Stellen aus Seneca und Plato und war eben im Begriff, eine der schönsten Sentenzen aus der Apologie des Sokrates zusammenzubringen, als sich in dem Gange schwere Tritte hören

unbedeutenden Gefahren jene physische Festigkeit fehlte, welche den Herzschlag ruhig, den Kopf kalt erhält, jene Geistesgegenwart, welche sogleich das rechte Mittel und den raschen Entschluß giebt. Aber ein Muth hat mir nie gefehlt: der moralische. Wo es sich um sittliche Güter, um meine Menschenwürde handelte, habe ich nie Furcht gekannt. Ich gehöre zu den Menschen, welche ein bissiger Hund mehr erschreckt, als ein wüthender Mensch.

Ich nahm schweigend eine der dargereichten Pistolen, feuerte sie in das Kamin ab und sagte:

Ich erlaube Ihnen, mich zu erschießen; aber Sie werden mich nie zwingen, etwas wider meine Ehre zu thun. Der Eid, welchen Sie von mir fordern, verträgt sich nicht damit; denn was bedeutet Ihre Zumuthung anders, als daß Sie mich durch eine moralische Handschelle, durch ein religiöses Zwangsmittel verhindern wollen, einen Schurkenstreich zu begehen, den jeder Ehrenmann von selbst nicht begeht, bei dessen bloßer Erwähnung mein ganzes Inneres von Unwillen zittert. Halten Sie mich für fähig, die Köpfe meiner Landsleute der fränkischen Polizei zu verrathen, so thun Sie, was Sie vor Ihrem Gewissen verantworten zu können glauben. Aber nichts soll mich bewegen, einen Eid zu schwören, über den ich erröthen müßte.

Der Baron warf die Pistole auf den Tisch und ging finster auf und ab. Ich setzte mich in einen dastehenden Sessel und stellte Betrachtungen über den Tod und die Unsterblichkeitslehre an; ich dachte an meine arme, verwittwete Mutter daheim, die auf mich, ihren einzigen Sohn, ihre lebensherbstlichen Hoffnungen gesetzt hatte; mein Herz wurde weich und wehmüthig, aber mein Entschluß blieb fest; ich besann mich zur Stärkung auf die erhabensten Stellen aus Seneca und Plato und war eben im Begriff, eine der schönsten Sentenzen aus der Apologie des Sokrates zusammenzubringen, als sich in dem Gange schwere Tritte hören

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[0026] unbedeutenden Gefahren jene physische Festigkeit fehlte, welche den Herzschlag ruhig, den Kopf kalt erhält, jene Geistesgegenwart, welche sogleich das rechte Mittel und den raschen Entschluß giebt. Aber ein Muth hat mir nie gefehlt: der moralische. Wo es sich um sittliche Güter, um meine Menschenwürde handelte, habe ich nie Furcht gekannt. Ich gehöre zu den Menschen, welche ein bissiger Hund mehr erschreckt, als ein wüthender Mensch. Ich nahm schweigend eine der dargereichten Pistolen, feuerte sie in das Kamin ab und sagte: Ich erlaube Ihnen, mich zu erschießen; aber Sie werden mich nie zwingen, etwas wider meine Ehre zu thun. Der Eid, welchen Sie von mir fordern, verträgt sich nicht damit; denn was bedeutet Ihre Zumuthung anders, als daß Sie mich durch eine moralische Handschelle, durch ein religiöses Zwangsmittel verhindern wollen, einen Schurkenstreich zu begehen, den jeder Ehrenmann von selbst nicht begeht, bei dessen bloßer Erwähnung mein ganzes Inneres von Unwillen zittert. Halten Sie mich für fähig, die Köpfe meiner Landsleute der fränkischen Polizei zu verrathen, so thun Sie, was Sie vor Ihrem Gewissen verantworten zu können glauben. Aber nichts soll mich bewegen, einen Eid zu schwören, über den ich erröthen müßte. Der Baron warf die Pistole auf den Tisch und ging finster auf und ab. Ich setzte mich in einen dastehenden Sessel und stellte Betrachtungen über den Tod und die Unsterblichkeitslehre an; ich dachte an meine arme, verwittwete Mutter daheim, die auf mich, ihren einzigen Sohn, ihre lebensherbstlichen Hoffnungen gesetzt hatte; mein Herz wurde weich und wehmüthig, aber mein Entschluß blieb fest; ich besann mich zur Stärkung auf die erhabensten Stellen aus Seneca und Plato und war eben im Begriff, eine der schönsten Sentenzen aus der Apologie des Sokrates zusammenzubringen, als sich in dem Gange schwere Tritte hören

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Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/26>, abgerufen am 25.11.2024.