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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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der Minister nach gallichten Ergüssen seiner Heftig¬
keit selbst die Gescholtenen zur Widerrede aufforderte.
Zur Ruhe zurückgekehrt, hörte er sie auch ruhig an.
Walter glaubte, daß er in mehreren Punkten die
Wirklichkeit schwärzer gemalt, als sie sei.

"Das ist nur der Fluch jeder Parteistellung. Im
Eifer fliegen wir über das Maaß hinaus, in der An¬
schuldigung wie in der Vertheidigung. Es läßt sich
nicht anders thun, der redlichste Wille wird unter¬
than dem Zwecke. Götter sind wir nicht, und der
Allmächtige wird wissen, warum er uns nicht Engels¬
seelen gab. -- Uebrigens solcher Liederlichkeit ist auch
Gift ein Heilmittel. Heim braucht jetzt Arsenik, wenn
das kalte Fieber absolut nicht weichen will."

Walter legte aufstehend die Papiere zusammen.
Die Sitzung war geschlossen.

"Warum schaudern Sie? -- Ich bin jetzt heiter."

"Ich fragte mich nur, noch ergriffen von Ihrer
Darstellung, ob denn noch schlimmere Zustände möglich
sind!"

"Wenn -- Gottes Zornruthe nicht drein fährt!
Ja. Er allein kann helfen, das bekenne ich hier vor
Ihnen in Demuth. Wenn keine Blitze niederzücken,
kein Gewitter diese faule Luft reinigt, so helfen alle
unsere Vorschläge nichts. Dies in liederlicher Hu¬
manität aufgepeppelte Lottergeschlecht ist zu nichts
Urkräftigem mehr tüchtig. Im glücklichsten Fall wür¬
den sie unsere Pläne wie ein neues Spielzeug hin¬
nehmen, das so lange amüsirt, als es neu ist. Die

der Miniſter nach gallichten Ergüſſen ſeiner Heftig¬
keit ſelbſt die Geſcholtenen zur Widerrede aufforderte.
Zur Ruhe zurückgekehrt, hörte er ſie auch ruhig an.
Walter glaubte, daß er in mehreren Punkten die
Wirklichkeit ſchwärzer gemalt, als ſie ſei.

„Das iſt nur der Fluch jeder Parteiſtellung. Im
Eifer fliegen wir über das Maaß hinaus, in der An¬
ſchuldigung wie in der Vertheidigung. Es läßt ſich
nicht anders thun, der redlichſte Wille wird unter¬
than dem Zwecke. Götter ſind wir nicht, und der
Allmächtige wird wiſſen, warum er uns nicht Engels¬
ſeelen gab. — Uebrigens ſolcher Liederlichkeit iſt auch
Gift ein Heilmittel. Heim braucht jetzt Arſenik, wenn
das kalte Fieber abſolut nicht weichen will.“

Walter legte aufſtehend die Papiere zuſammen.
Die Sitzung war geſchloſſen.

„Warum ſchaudern Sie? — Ich bin jetzt heiter.“

„Ich fragte mich nur, noch ergriffen von Ihrer
Darſtellung, ob denn noch ſchlimmere Zuſtände möglich
ſind!“

„Wenn — Gottes Zornruthe nicht drein fährt!
Ja. Er allein kann helfen, das bekenne ich hier vor
Ihnen in Demuth. Wenn keine Blitze niederzücken,
kein Gewitter dieſe faule Luft reinigt, ſo helfen alle
unſere Vorſchläge nichts. Dies in liederlicher Hu¬
manität aufgepeppelte Lottergeſchlecht iſt zu nichts
Urkräftigem mehr tüchtig. Im glücklichſten Fall wür¬
den ſie unſere Pläne wie ein neues Spielzeug hin¬
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[82/0092] der Miniſter nach gallichten Ergüſſen ſeiner Heftig¬ keit ſelbſt die Geſcholtenen zur Widerrede aufforderte. Zur Ruhe zurückgekehrt, hörte er ſie auch ruhig an. Walter glaubte, daß er in mehreren Punkten die Wirklichkeit ſchwärzer gemalt, als ſie ſei. „Das iſt nur der Fluch jeder Parteiſtellung. Im Eifer fliegen wir über das Maaß hinaus, in der An¬ ſchuldigung wie in der Vertheidigung. Es läßt ſich nicht anders thun, der redlichſte Wille wird unter¬ than dem Zwecke. Götter ſind wir nicht, und der Allmächtige wird wiſſen, warum er uns nicht Engels¬ ſeelen gab. — Uebrigens ſolcher Liederlichkeit iſt auch Gift ein Heilmittel. Heim braucht jetzt Arſenik, wenn das kalte Fieber abſolut nicht weichen will.“ Walter legte aufſtehend die Papiere zuſammen. Die Sitzung war geſchloſſen. „Warum ſchaudern Sie? — Ich bin jetzt heiter.“ „Ich fragte mich nur, noch ergriffen von Ihrer Darſtellung, ob denn noch ſchlimmere Zuſtände möglich ſind!“ „Wenn — Gottes Zornruthe nicht drein fährt! Ja. Er allein kann helfen, das bekenne ich hier vor Ihnen in Demuth. Wenn keine Blitze niederzücken, kein Gewitter dieſe faule Luft reinigt, ſo helfen alle unſere Vorſchläge nichts. Dies in liederlicher Hu¬ manität aufgepeppelte Lottergeſchlecht iſt zu nichts Urkräftigem mehr tüchtig. Im glücklichſten Fall wür¬ den ſie unſere Pläne wie ein neues Spielzeug hin¬ nehmen, das ſo lange amüſirt, als es neu iſt. Die

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/92>, abgerufen am 30.04.2024.