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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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wird scheitern! Zu einem Titus in Tagen des Frie¬
dens war er geboren. Die Zeit forderte einen Sulla.
Dieser bürgerliche Gerechtigkeitssinn reicht nicht aus in
Zeiten, wo das Recht aufhört. Daß es da ein höheres
giebt, was der geweihte Priester aus den Wolken
greifen muß, wer darf ihn tadeln, daß ihn Gott zu
diesem Glauben nicht geweiht. Er hat eine Scheu
vor außerordentlichen Schritten -- es wird ad acta
gelegt werden wie das andre. Sollen wir darum
nicht unsre Pflicht thun? -- Wir werden Napoleon
unterliegen."

"Seiner Uebermacht?"

"Nein, unsrer Unmacht! Unserm Dünkel, der
den in Sturm und Donner neu schaffenden Gott
nicht sieht. -- Schreiben Sie weiter --"

"Und mit dieser Vorahnung --"

"Vorbewußtsein, corrigirte der Minister, will ich
ihnen einen Spiegel hinhalten. Desto besser, wenn
sie ihn im Zorn zerschlagen, weil sie so häßlich drin
aussehn. Wenn die Zuchtruthe des Herrn über
sie kommt, lernen die Völker beten. Mit Gebet
allein aber, mit dem Insichgehn ist's nicht gethan,
sie sollen aus sich herausgehn. An Verstand hat's
nicht gefehlt, aber an Muth, ihn auszuprägen. Wir
werden nicht erndten, aber säen wollen wir. Der
Krieg wird die Saat zerstampfen, aber ein Körnlein
geht doch auf."

Es war lange nach Mitternacht, als Walter die
Feder niederlegte. Es war nicht ungewöhnlich, daß

V. 6

wird ſcheitern! Zu einem Titus in Tagen des Frie¬
dens war er geboren. Die Zeit forderte einen Sulla.
Dieſer bürgerliche Gerechtigkeitsſinn reicht nicht aus in
Zeiten, wo das Recht aufhört. Daß es da ein höheres
giebt, was der geweihte Prieſter aus den Wolken
greifen muß, wer darf ihn tadeln, daß ihn Gott zu
dieſem Glauben nicht geweiht. Er hat eine Scheu
vor außerordentlichen Schritten — es wird ad acta
gelegt werden wie das andre. Sollen wir darum
nicht unſre Pflicht thun? — Wir werden Napoleon
unterliegen.“

„Seiner Uebermacht?“

„Nein, unſrer Unmacht! Unſerm Dünkel, der
den in Sturm und Donner neu ſchaffenden Gott
nicht ſieht. — Schreiben Sie weiter —“

„Und mit dieſer Vorahnung —“

„Vorbewußtſein, corrigirte der Miniſter, will ich
ihnen einen Spiegel hinhalten. Deſto beſſer, wenn
ſie ihn im Zorn zerſchlagen, weil ſie ſo häßlich drin
ausſehn. Wenn die Zuchtruthe des Herrn über
ſie kommt, lernen die Völker beten. Mit Gebet
allein aber, mit dem Inſichgehn iſt's nicht gethan,
ſie ſollen aus ſich herausgehn. An Verſtand hat's
nicht gefehlt, aber an Muth, ihn auszuprägen. Wir
werden nicht erndten, aber ſäen wollen wir. Der
Krieg wird die Saat zerſtampfen, aber ein Körnlein
geht doch auf.“

Es war lange nach Mitternacht, als Walter die
Feder niederlegte. Es war nicht ungewöhnlich, daß

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[81/0091] wird ſcheitern! Zu einem Titus in Tagen des Frie¬ dens war er geboren. Die Zeit forderte einen Sulla. Dieſer bürgerliche Gerechtigkeitsſinn reicht nicht aus in Zeiten, wo das Recht aufhört. Daß es da ein höheres giebt, was der geweihte Prieſter aus den Wolken greifen muß, wer darf ihn tadeln, daß ihn Gott zu dieſem Glauben nicht geweiht. Er hat eine Scheu vor außerordentlichen Schritten — es wird ad acta gelegt werden wie das andre. Sollen wir darum nicht unſre Pflicht thun? — Wir werden Napoleon unterliegen.“ „Seiner Uebermacht?“ „Nein, unſrer Unmacht! Unſerm Dünkel, der den in Sturm und Donner neu ſchaffenden Gott nicht ſieht. — Schreiben Sie weiter —“ „Und mit dieſer Vorahnung —“ „Vorbewußtſein, corrigirte der Miniſter, will ich ihnen einen Spiegel hinhalten. Deſto beſſer, wenn ſie ihn im Zorn zerſchlagen, weil ſie ſo häßlich drin ausſehn. Wenn die Zuchtruthe des Herrn über ſie kommt, lernen die Völker beten. Mit Gebet allein aber, mit dem Inſichgehn iſt's nicht gethan, ſie ſollen aus ſich herausgehn. An Verſtand hat's nicht gefehlt, aber an Muth, ihn auszuprägen. Wir werden nicht erndten, aber ſäen wollen wir. Der Krieg wird die Saat zerſtampfen, aber ein Körnlein geht doch auf.“ Es war lange nach Mitternacht, als Walter die Feder niederlegte. Es war nicht ungewöhnlich, daß V. 6

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/91>, abgerufen am 30.04.2024.