erwägt, was es Euch ist, dies Vaterland, ob es werth, daß Ihr Alles dran setzt, Alles, nicht nur Gut und Blut, auch die Gewöhnung, das einge¬ schrumpfte Dasein, den Stolz. Sie müssen neu ge¬ boren, sie müssen wieder Kinder werden, um der Gnade empfänglich."
"Und wenn das Volk den Ruf nicht hörte!"
"So haben wir gerufen, und der Schall vibrirt fort durch die Luft -- er weckt nach uns, Andre wer¬ den uns hören, wenn wir längst untergegangen."
Der Freiherr ging wieder in Gedanken versun¬ ken auf und ab. Er blickte noch einmal zum Fen¬ ster hinaus, und das Sternenlicht schien wieder seine Ruhe und Klarheit auf das characterfeste Gesicht des Mannes gehaucht zu haben, als er zurückkehrend sich Walter gegenüber am Tische niedersetzte.
"Wir dürfen uns nicht in Empfindungen ver¬ lieren, es drängt. Nehmen Sie wieder die Feder --"
Walter schrieb -- hingeworfene Sätze, die von den Lippen des Ministers, wie ein immer lebendige¬ rer Quell, sprudelten.
"Gedenken Excellenz auch dieses Memorial durch die Hand der Königin an die höchste Stelle zu be¬ fördern?"
"Ja, die Königin -- wenn sie --!" Die Ge¬ danken flogen, sie drängten und überstürzten sich, con¬ vulsivisch, wie die Bewegungen der Lippen.
"Und warum es uns verhehlen, was eine nur zu sichere Ahnung uns sagt! Auch dieser Versuch
erwägt, was es Euch iſt, dies Vaterland, ob es werth, daß Ihr Alles dran ſetzt, Alles, nicht nur Gut und Blut, auch die Gewöhnung, das einge¬ ſchrumpfte Daſein, den Stolz. Sie müſſen neu ge¬ boren, ſie müſſen wieder Kinder werden, um der Gnade empfänglich.“
„Und wenn das Volk den Ruf nicht hörte!“
„So haben wir gerufen, und der Schall vibrirt fort durch die Luft — er weckt nach uns, Andre wer¬ den uns hören, wenn wir längſt untergegangen.“
Der Freiherr ging wieder in Gedanken verſun¬ ken auf und ab. Er blickte noch einmal zum Fen¬ ſter hinaus, und das Sternenlicht ſchien wieder ſeine Ruhe und Klarheit auf das characterfeſte Geſicht des Mannes gehaucht zu haben, als er zurückkehrend ſich Walter gegenüber am Tiſche niederſetzte.
„Wir dürfen uns nicht in Empfindungen ver¬ lieren, es drängt. Nehmen Sie wieder die Feder —“
Walter ſchrieb — hingeworfene Sätze, die von den Lippen des Miniſters, wie ein immer lebendige¬ rer Quell, ſprudelten.
„Gedenken Excellenz auch dieſes Memorial durch die Hand der Königin an die höchſte Stelle zu be¬ fördern?“
„Ja, die Königin — wenn ſie —!“ Die Ge¬ danken flogen, ſie drängten und überſtürzten ſich, con¬ vulſiviſch, wie die Bewegungen der Lippen.
„Und warum es uns verhehlen, was eine nur zu ſichere Ahnung uns ſagt! Auch dieſer Verſuch
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0090"n="80"/>
erwägt, was es Euch iſt, dies Vaterland, ob es<lb/>
werth, daß Ihr Alles dran ſetzt, Alles, nicht nur<lb/>
Gut und Blut, auch die Gewöhnung, das einge¬<lb/>ſchrumpfte Daſein, den Stolz. Sie müſſen neu ge¬<lb/>
boren, ſie müſſen wieder Kinder werden, um der<lb/>
Gnade empfänglich.“</p><lb/><p>„Und wenn das Volk den Ruf nicht hörte!“</p><lb/><p>„So <hirendition="#g">haben</hi> wir gerufen, und der Schall vibrirt<lb/>
fort durch die Luft — er weckt nach uns, Andre wer¬<lb/>
den uns hören, wenn wir längſt untergegangen.“</p><lb/><p>Der Freiherr ging wieder in Gedanken verſun¬<lb/>
ken auf und ab. Er blickte noch einmal zum Fen¬<lb/>ſter hinaus, und das Sternenlicht ſchien wieder ſeine<lb/>
Ruhe und Klarheit auf das characterfeſte Geſicht des<lb/>
Mannes gehaucht zu haben, als er zurückkehrend ſich<lb/>
Walter gegenüber am Tiſche niederſetzte.</p><lb/><p>„Wir dürfen uns nicht in Empfindungen ver¬<lb/>
lieren, es drängt. Nehmen Sie wieder die Feder —“</p><lb/><p>Walter ſchrieb — hingeworfene Sätze, die von<lb/>
den Lippen des Miniſters, wie ein immer lebendige¬<lb/>
rer Quell, ſprudelten.</p><lb/><p>„Gedenken Excellenz auch dieſes Memorial durch<lb/>
die Hand der Königin an die höchſte Stelle zu be¬<lb/>
fördern?“</p><lb/><p>„Ja, die Königin — wenn ſie —!“ Die Ge¬<lb/>
danken flogen, ſie drängten und überſtürzten ſich, con¬<lb/>
vulſiviſch, wie die Bewegungen der Lippen.</p><lb/><p>„Und warum es uns verhehlen, was eine nur<lb/>
zu ſichere Ahnung uns ſagt! Auch dieſer Verſuch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[80/0090]
erwägt, was es Euch iſt, dies Vaterland, ob es
werth, daß Ihr Alles dran ſetzt, Alles, nicht nur
Gut und Blut, auch die Gewöhnung, das einge¬
ſchrumpfte Daſein, den Stolz. Sie müſſen neu ge¬
boren, ſie müſſen wieder Kinder werden, um der
Gnade empfänglich.“
„Und wenn das Volk den Ruf nicht hörte!“
„So haben wir gerufen, und der Schall vibrirt
fort durch die Luft — er weckt nach uns, Andre wer¬
den uns hören, wenn wir längſt untergegangen.“
Der Freiherr ging wieder in Gedanken verſun¬
ken auf und ab. Er blickte noch einmal zum Fen¬
ſter hinaus, und das Sternenlicht ſchien wieder ſeine
Ruhe und Klarheit auf das characterfeſte Geſicht des
Mannes gehaucht zu haben, als er zurückkehrend ſich
Walter gegenüber am Tiſche niederſetzte.
„Wir dürfen uns nicht in Empfindungen ver¬
lieren, es drängt. Nehmen Sie wieder die Feder —“
Walter ſchrieb — hingeworfene Sätze, die von
den Lippen des Miniſters, wie ein immer lebendige¬
rer Quell, ſprudelten.
„Gedenken Excellenz auch dieſes Memorial durch
die Hand der Königin an die höchſte Stelle zu be¬
fördern?“
„Ja, die Königin — wenn ſie —!“ Die Ge¬
danken flogen, ſie drängten und überſtürzten ſich, con¬
vulſiviſch, wie die Bewegungen der Lippen.
„Und warum es uns verhehlen, was eine nur
zu ſichere Ahnung uns ſagt! Auch dieſer Verſuch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/90>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.