Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

nur die Wenigsten hörten, aber Beider Augen ver¬
riethen den Sinn. Mit dem gnädigsten Nicken war
sie vorüber geschwebt.

Die Scene hatte sich im Augenblick verwandelt.
Die moquanten Mienen von vorhin waren zu langen
Gesichtern geworden. Das junge Mädchen war noch
eben als ein Eindringling in diese Kreise betrachtet
und gemieden worden; fast isolirt hatte sie neben der
Eitelbach gesessen, kein Tänzer sich ihr genaht. Welche
Urtheile waren hinter ihrem Rücken gefällt worden!
Ach, selbst ihre Jugendgeschichte hatte man hervor¬
gezogen. -- Ist das die! hatten zwei Hofdamen sich
erschreckt angeblickt, mit dem Versuch, über die Er¬
innerung zu erröthen, der indeß unter dem dicken
Karmin erstickt war. Einige begriffen nicht, was
denn den Ruf ihrer Schönheit gemacht. Andre hat¬
ten gemeint, es komme eben nur auf den Ruf an,
und in wie viel Häusern sie gewesen: und nirgend aus¬
gehalten! Da war es doch klar, daß sie selbst daran
schuld sei. Einige hatten sich gewundert, Andere es
schon choquant gefunden, daß man sie diesen Cirkeln
aufdringe. -- Man muß eine russische Fürstin sein,
um sich das erlauben zu dürfen! -- Aber bei der Fürstin
muß sie wohl auch schon auf der Kippe stehen, sonst würde
sie ihren Schützling nicht von der Eitelbach chaperon¬
niren lassen. Was läßt sich die gute Baronin nicht auf¬
binden! -- Eine Zuhörerin konnte schon fragen, ob denn
Adelheid schon aus dem Hause ihrer Eltern verstoßen ge¬
wesen, als sie in dem der Obristin eine Zuflucht gesucht.

3*

nur die Wenigſten hörten, aber Beider Augen ver¬
riethen den Sinn. Mit dem gnädigſten Nicken war
ſie vorüber geſchwebt.

Die Scene hatte ſich im Augenblick verwandelt.
Die moquanten Mienen von vorhin waren zu langen
Geſichtern geworden. Das junge Mädchen war noch
eben als ein Eindringling in dieſe Kreiſe betrachtet
und gemieden worden; faſt iſolirt hatte ſie neben der
Eitelbach geſeſſen, kein Tänzer ſich ihr genaht. Welche
Urtheile waren hinter ihrem Rücken gefällt worden!
Ach, ſelbſt ihre Jugendgeſchichte hatte man hervor¬
gezogen. — Iſt das die! hatten zwei Hofdamen ſich
erſchreckt angeblickt, mit dem Verſuch, über die Er¬
innerung zu erröthen, der indeß unter dem dicken
Karmin erſtickt war. Einige begriffen nicht, was
denn den Ruf ihrer Schönheit gemacht. Andre hat¬
ten gemeint, es komme eben nur auf den Ruf an,
und in wie viel Häuſern ſie geweſen: und nirgend aus¬
gehalten! Da war es doch klar, daß ſie ſelbſt daran
ſchuld ſei. Einige hatten ſich gewundert, Andere es
ſchon choquant gefunden, daß man ſie dieſen Cirkeln
aufdringe. — Man muß eine ruſſiſche Fürſtin ſein,
um ſich das erlauben zu dürfen! — Aber bei der Fürſtin
muß ſie wohl auch ſchon auf der Kippe ſtehen, ſonſt würde
ſie ihren Schützling nicht von der Eitelbach chaperon¬
niren laſſen. Was läßt ſich die gute Baronin nicht auf¬
binden! — Eine Zuhörerin konnte ſchon fragen, ob denn
Adelheid ſchon aus dem Hauſe ihrer Eltern verſtoßen ge¬
weſen, als ſie in dem der Obriſtin eine Zuflucht geſucht.

3*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0045" n="35"/>
nur die Wenig&#x017F;ten hörten, aber Beider Augen ver¬<lb/>
riethen den Sinn. Mit dem gnädig&#x017F;ten Nicken war<lb/>
&#x017F;ie vorüber ge&#x017F;chwebt.</p><lb/>
        <p>Die Scene hatte &#x017F;ich im Augenblick verwandelt.<lb/>
Die moquanten Mienen von vorhin waren zu langen<lb/>
Ge&#x017F;ichtern geworden. Das junge Mädchen war noch<lb/>
eben als ein Eindringling in die&#x017F;e Krei&#x017F;e betrachtet<lb/>
und gemieden worden; fa&#x017F;t i&#x017F;olirt hatte &#x017F;ie neben der<lb/>
Eitelbach ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en, kein Tänzer &#x017F;ich ihr genaht. Welche<lb/>
Urtheile waren hinter ihrem Rücken gefällt worden!<lb/>
Ach, &#x017F;elb&#x017F;t ihre Jugendge&#x017F;chichte hatte man hervor¬<lb/>
gezogen. &#x2014; I&#x017F;t das <hi rendition="#g">die</hi>! hatten zwei Hofdamen &#x017F;ich<lb/>
er&#x017F;chreckt angeblickt, mit dem Ver&#x017F;uch, über die Er¬<lb/>
innerung zu erröthen, der indeß unter dem dicken<lb/>
Karmin er&#x017F;tickt war. Einige begriffen nicht, was<lb/>
denn den Ruf ihrer Schönheit gemacht. Andre hat¬<lb/>
ten gemeint, es komme eben nur auf den Ruf an,<lb/>
und in wie viel Häu&#x017F;ern &#x017F;ie gewe&#x017F;en: und nirgend aus¬<lb/>
gehalten! Da war es doch klar, daß &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t daran<lb/>
&#x017F;chuld &#x017F;ei. Einige hatten &#x017F;ich gewundert, Andere es<lb/>
&#x017F;chon choquant gefunden, daß man &#x017F;ie die&#x017F;en Cirkeln<lb/>
aufdringe. &#x2014; Man muß eine ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Für&#x017F;tin &#x017F;ein,<lb/>
um &#x017F;ich das erlauben zu dürfen! &#x2014; Aber bei der Für&#x017F;tin<lb/>
muß &#x017F;ie wohl auch &#x017F;chon auf der Kippe &#x017F;tehen, &#x017F;on&#x017F;t würde<lb/>
&#x017F;ie ihren Schützling nicht von der Eitelbach chaperon¬<lb/>
niren la&#x017F;&#x017F;en. Was läßt &#x017F;ich die gute Baronin nicht auf¬<lb/>
binden! &#x2014; Eine Zuhörerin konnte &#x017F;chon fragen, ob denn<lb/>
Adelheid &#x017F;chon aus dem Hau&#x017F;e ihrer Eltern ver&#x017F;toßen ge¬<lb/>
we&#x017F;en, als &#x017F;ie in dem der Obri&#x017F;tin eine Zuflucht ge&#x017F;ucht.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">3*<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0045] nur die Wenigſten hörten, aber Beider Augen ver¬ riethen den Sinn. Mit dem gnädigſten Nicken war ſie vorüber geſchwebt. Die Scene hatte ſich im Augenblick verwandelt. Die moquanten Mienen von vorhin waren zu langen Geſichtern geworden. Das junge Mädchen war noch eben als ein Eindringling in dieſe Kreiſe betrachtet und gemieden worden; faſt iſolirt hatte ſie neben der Eitelbach geſeſſen, kein Tänzer ſich ihr genaht. Welche Urtheile waren hinter ihrem Rücken gefällt worden! Ach, ſelbſt ihre Jugendgeſchichte hatte man hervor¬ gezogen. — Iſt das die! hatten zwei Hofdamen ſich erſchreckt angeblickt, mit dem Verſuch, über die Er¬ innerung zu erröthen, der indeß unter dem dicken Karmin erſtickt war. Einige begriffen nicht, was denn den Ruf ihrer Schönheit gemacht. Andre hat¬ ten gemeint, es komme eben nur auf den Ruf an, und in wie viel Häuſern ſie geweſen: und nirgend aus¬ gehalten! Da war es doch klar, daß ſie ſelbſt daran ſchuld ſei. Einige hatten ſich gewundert, Andere es ſchon choquant gefunden, daß man ſie dieſen Cirkeln aufdringe. — Man muß eine ruſſiſche Fürſtin ſein, um ſich das erlauben zu dürfen! — Aber bei der Fürſtin muß ſie wohl auch ſchon auf der Kippe ſtehen, ſonſt würde ſie ihren Schützling nicht von der Eitelbach chaperon¬ niren laſſen. Was läßt ſich die gute Baronin nicht auf¬ binden! — Eine Zuhörerin konnte ſchon fragen, ob denn Adelheid ſchon aus dem Hauſe ihrer Eltern verſtoßen ge¬ weſen, als ſie in dem der Obriſtin eine Zuflucht geſucht. 3*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/45
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/45>, abgerufen am 29.03.2024.