Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

brechen? -- Warum hatte ihn die Dröhnung des
Kanonendonners, warum das Phantasma der Schlacht
aufgeschreckt? Berührte ihn der Ausgang, welcher
es sei? -- "Doch! rief er plötzlich. Das ist der
Vortheil jener chaotischen Katastrophen, welche die
kleine Menschenwelt und ihre Ameisenhaufen, Staat
und Gesellschaft genannt, durcheinanderwerfen, daß
wir uns da frei fühlen. Wo das Haus über ihren
Köpfen zusammenbricht, merken sie nicht das Insect,
das sie sticht. -- Die Kerker öffnen sich -- vielleicht!
Die Schuldbücher werden zerrissen -- vielleicht! Es
wird vergessen, Alles -- nein, doch Vieles -- auch
das? -- Vielleicht."

Er nahm die Fläschchen, hielt sie gegen das
Licht und that sie dann in ein Etui. "So viele Ar¬
beit um -- eine Bagatell. Ich ging doch an schwe¬
rere mit leichterm Muth, fast im elastischen Tänzer¬
schritt. Aber der alte Asten hatte Recht. Die Po¬
lypragmosyne hat mir Schaden gethan. Das erste
Gesetz lautet: nicht zu Vieles im Aug! Dies Ab¬
wägen verwirrt und schwächt unsre Sehkraft. Rasch
drauf los. Die Weisheit unsrer Väter: Frisch ge¬
wagt, halb gewonnen! Es ist eine ewige alte Fa¬
bel vom Hunde und dem Fleisch, und doch, wer
wehrt sich vor dem Blendwerk, daß ihn das große
Bild im Wasser verlockt. Und das: Morgen, mor¬
gen, nur nicht heute -- wie viel kühnen Entschlüssen
brach es den Hals."

Und doch schien er selbst durch hervorgezogene

brechen? — Warum hatte ihn die Dröhnung des
Kanonendonners, warum das Phantasma der Schlacht
aufgeſchreckt? Berührte ihn der Ausgang, welcher
es ſei? — „Doch! rief er plötzlich. Das iſt der
Vortheil jener chaotiſchen Kataſtrophen, welche die
kleine Menſchenwelt und ihre Ameiſenhaufen, Staat
und Geſellſchaft genannt, durcheinanderwerfen, daß
wir uns da frei fühlen. Wo das Haus über ihren
Köpfen zuſammenbricht, merken ſie nicht das Inſect,
das ſie ſticht. — Die Kerker öffnen ſich — vielleicht!
Die Schuldbücher werden zerriſſen — vielleicht! Es
wird vergeſſen, Alles — nein, doch Vieles — auch
das? — Vielleicht.“

Er nahm die Fläſchchen, hielt ſie gegen das
Licht und that ſie dann in ein Etui. „So viele Ar¬
beit um — eine Bagatell. Ich ging doch an ſchwe¬
rere mit leichterm Muth, faſt im elaſtiſchen Tänzer¬
ſchritt. Aber der alte Aſten hatte Recht. Die Po¬
lypragmoſyne hat mir Schaden gethan. Das erſte
Geſetz lautet: nicht zu Vieles im Aug! Dies Ab¬
wägen verwirrt und ſchwächt unſre Sehkraft. Raſch
drauf los. Die Weisheit unſrer Väter: Friſch ge¬
wagt, halb gewonnen! Es iſt eine ewige alte Fa¬
bel vom Hunde und dem Fleiſch, und doch, wer
wehrt ſich vor dem Blendwerk, daß ihn das große
Bild im Waſſer verlockt. Und das: Morgen, mor¬
gen, nur nicht heute — wie viel kühnen Entſchlüſſen
brach es den Hals.“

Und doch ſchien er ſelbſt durch hervorgezogene

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0335" n="325"/>
brechen? &#x2014; Warum hatte ihn die Dröhnung des<lb/>
Kanonendonners, warum das Phantasma der Schlacht<lb/>
aufge&#x017F;chreckt? Berührte ihn der Ausgang, welcher<lb/>
es &#x017F;ei? &#x2014; &#x201E;Doch! rief er plötzlich. Das i&#x017F;t der<lb/>
Vortheil jener chaoti&#x017F;chen Kata&#x017F;trophen, welche die<lb/>
kleine Men&#x017F;chenwelt und ihre Amei&#x017F;enhaufen, Staat<lb/>
und Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft genannt, durcheinanderwerfen, daß<lb/>
wir uns da frei fühlen. Wo das Haus über ihren<lb/>
Köpfen zu&#x017F;ammenbricht, merken &#x017F;ie nicht das In&#x017F;ect,<lb/>
das &#x017F;ie &#x017F;ticht. &#x2014; Die Kerker öffnen &#x017F;ich &#x2014; vielleicht!<lb/>
Die Schuldbücher werden zerri&#x017F;&#x017F;en &#x2014; vielleicht! Es<lb/>
wird verge&#x017F;&#x017F;en, Alles &#x2014; nein, doch Vieles &#x2014; auch<lb/>
das? &#x2014; Vielleicht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er nahm die Flä&#x017F;chchen, hielt &#x017F;ie gegen das<lb/>
Licht und that &#x017F;ie dann in ein Etui. &#x201E;So viele Ar¬<lb/>
beit um &#x2014; eine Bagatell. Ich ging doch an &#x017F;chwe¬<lb/>
rere mit leichterm Muth, fa&#x017F;t im ela&#x017F;ti&#x017F;chen Tänzer¬<lb/>
&#x017F;chritt. Aber der alte A&#x017F;ten hatte Recht. Die Po¬<lb/>
lypragmo&#x017F;yne hat mir Schaden gethan. Das er&#x017F;te<lb/>
Ge&#x017F;etz lautet: nicht zu Vieles im Aug! Dies Ab¬<lb/>
wägen verwirrt und &#x017F;chwächt <choice><sic>nu&#x017F;re</sic><corr>un&#x017F;re</corr></choice> Sehkraft. Ra&#x017F;ch<lb/>
drauf los. Die Weisheit un&#x017F;rer Väter: Fri&#x017F;ch ge¬<lb/>
wagt, halb gewonnen! Es i&#x017F;t eine ewige alte Fa¬<lb/>
bel vom Hunde und dem Flei&#x017F;ch, und doch, wer<lb/>
wehrt &#x017F;ich vor dem Blendwerk, daß ihn das große<lb/>
Bild im Wa&#x017F;&#x017F;er verlockt. Und das: Morgen, mor¬<lb/>
gen, nur nicht heute &#x2014; wie viel kühnen Ent&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
brach es den Hals.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Und doch &#x017F;chien er &#x017F;elb&#x017F;t durch hervorgezogene<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0335] brechen? — Warum hatte ihn die Dröhnung des Kanonendonners, warum das Phantasma der Schlacht aufgeſchreckt? Berührte ihn der Ausgang, welcher es ſei? — „Doch! rief er plötzlich. Das iſt der Vortheil jener chaotiſchen Kataſtrophen, welche die kleine Menſchenwelt und ihre Ameiſenhaufen, Staat und Geſellſchaft genannt, durcheinanderwerfen, daß wir uns da frei fühlen. Wo das Haus über ihren Köpfen zuſammenbricht, merken ſie nicht das Inſect, das ſie ſticht. — Die Kerker öffnen ſich — vielleicht! Die Schuldbücher werden zerriſſen — vielleicht! Es wird vergeſſen, Alles — nein, doch Vieles — auch das? — Vielleicht.“ Er nahm die Fläſchchen, hielt ſie gegen das Licht und that ſie dann in ein Etui. „So viele Ar¬ beit um — eine Bagatell. Ich ging doch an ſchwe¬ rere mit leichterm Muth, faſt im elaſtiſchen Tänzer¬ ſchritt. Aber der alte Aſten hatte Recht. Die Po¬ lypragmoſyne hat mir Schaden gethan. Das erſte Geſetz lautet: nicht zu Vieles im Aug! Dies Ab¬ wägen verwirrt und ſchwächt unſre Sehkraft. Raſch drauf los. Die Weisheit unſrer Väter: Friſch ge¬ wagt, halb gewonnen! Es iſt eine ewige alte Fa¬ bel vom Hunde und dem Fleiſch, und doch, wer wehrt ſich vor dem Blendwerk, daß ihn das große Bild im Waſſer verlockt. Und das: Morgen, mor¬ gen, nur nicht heute — wie viel kühnen Entſchlüſſen brach es den Hals.“ Und doch ſchien er ſelbſt durch hervorgezogene

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/335
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/335>, abgerufen am 22.11.2024.