lon mit chinesischem Dach, auf einer kleinen Höhe vor ihnen: "Dort wollen wir einen Augenblick aus¬ ruhen."
Ihr Gespräch, bis sie den Punkt erreicht, war lebhaft, aber es floß ruhig hin. Adelheids Aeußerun¬ gen mußten die ganze Aufmerksamkeit der Fürstin er¬ regt haben. Sie hatte sie oft forschend angeblickt. Als sie auf der ländlichen, von Birkenästen gefloch¬ tenen Bank Platz genommen, sagte Louise:
"Sie sind noch so jung und schon solche Erfah¬ rungen!"
Adelheid erröthete.
"Sie kamen, wie Sie mir sagten, nie aus der Residenz, Sie lebten nur in guten Häusern, unter respectabeln Familien, und zuweilen blitzt es aus Ihren Reden, als wüßten oder ahnten Sie die Ver¬ worfenheit der schlechten Menschen. Ich glaubte, das wäre uns nur aufgespart, die wir von oben so Vie¬ les sehen, was Ihnen unten verborgen bleibt. Wie die Motten nach dem Licht, so flattern uns die zu, welche für ihre ungeordneten Begierden unten keinen Platz fänden. Wir müssen sie dulden, weil -- ach, aus vielen Gründen! während die stillen, sittlichen, bürgerlichen Kreise ihnen die Thür verschließen dür¬ fen. Man thut daher sehr Unrecht, uns zu beneiden, liebe Mamsell. Wir, die wir andern Pflichten zu gehorchen haben, könnten die Niederen beneiden, welche diese Rücksichten nicht kennen. Sie dürfen nach ihrem Penchant leben und ihre Freunde sich unter
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lon mit chineſiſchem Dach, auf einer kleinen Höhe vor ihnen: „Dort wollen wir einen Augenblick aus¬ ruhen.“
Ihr Geſpräch, bis ſie den Punkt erreicht, war lebhaft, aber es floß ruhig hin. Adelheids Aeußerun¬ gen mußten die ganze Aufmerkſamkeit der Fürſtin er¬ regt haben. Sie hatte ſie oft forſchend angeblickt. Als ſie auf der ländlichen, von Birkenäſten gefloch¬ tenen Bank Platz genommen, ſagte Louiſe:
„Sie ſind noch ſo jung und ſchon ſolche Erfah¬ rungen!“
Adelheid erröthete.
„Sie kamen, wie Sie mir ſagten, nie aus der Reſidenz, Sie lebten nur in guten Häuſern, unter reſpectabeln Familien, und zuweilen blitzt es aus Ihren Reden, als wüßten oder ahnten Sie die Ver¬ worfenheit der ſchlechten Menſchen. Ich glaubte, das wäre uns nur aufgeſpart, die wir von oben ſo Vie¬ les ſehen, was Ihnen unten verborgen bleibt. Wie die Motten nach dem Licht, ſo flattern uns die zu, welche für ihre ungeordneten Begierden unten keinen Platz fänden. Wir müſſen ſie dulden, weil — ach, aus vielen Gründen! während die ſtillen, ſittlichen, bürgerlichen Kreiſe ihnen die Thür verſchließen dür¬ fen. Man thut daher ſehr Unrecht, uns zu beneiden, liebe Mamſell. Wir, die wir andern Pflichten zu gehorchen haben, könnten die Niederen beneiden, welche dieſe Rückſichten nicht kennen. Sie dürfen nach ihrem Penchant leben und ihre Freunde ſich unter
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lon mit chineſiſchem Dach, auf einer kleinen Höhe
vor ihnen: „Dort wollen wir einen Augenblick aus¬
ruhen.“
Ihr Geſpräch, bis ſie den Punkt erreicht, war
lebhaft, aber es floß ruhig hin. Adelheids Aeußerun¬
gen mußten die ganze Aufmerkſamkeit der Fürſtin er¬
regt haben. Sie hatte ſie oft forſchend angeblickt.
Als ſie auf der ländlichen, von Birkenäſten gefloch¬
tenen Bank Platz genommen, ſagte Louiſe:
„Sie ſind noch ſo jung und ſchon ſolche Erfah¬
rungen!“
Adelheid erröthete.
„Sie kamen, wie Sie mir ſagten, nie aus der
Reſidenz, Sie lebten nur in guten Häuſern, unter
reſpectabeln Familien, und zuweilen blitzt es aus
Ihren Reden, als wüßten oder ahnten Sie die Ver¬
worfenheit der ſchlechten Menſchen. Ich glaubte, das
wäre uns nur aufgeſpart, die wir von oben ſo Vie¬
les ſehen, was Ihnen unten verborgen bleibt. Wie
die Motten nach dem Licht, ſo flattern uns die zu,
welche für ihre ungeordneten Begierden unten keinen
Platz fänden. Wir müſſen ſie dulden, weil — ach,
aus vielen Gründen! während die ſtillen, ſittlichen,
bürgerlichen Kreiſe ihnen die Thür verſchließen dür¬
fen. Man thut daher ſehr Unrecht, uns zu beneiden,
liebe Mamſell. Wir, die wir andern Pflichten zu
gehorchen haben, könnten die Niederen beneiden, welche
dieſe Rückſichten nicht kennen. Sie dürfen nach
ihrem Penchant leben und ihre Freunde ſich unter
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/125>, abgerufen am 27.11.2024.
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