hob den Arm, um den Faden vom Hals der Fürstin loszumachen, aber -- es war die Wirkung und die That des Momentes, jene Einwirkung unsichtbarer Geister, die wir umsonst erklären, und, wenn erklärt, so wäre es nichts -- die Thränen stürzten aus den Augen der Königin, und sie drückte Adelheid an ihre Brust. Niemand sah es, es war weite sonntägliche Einsamkeit im Park. Die Sonne, obgleich sie Alles sieht, ist eine schweigende Zeugin, die Käfer schwirr¬ ten, die Frösche ächzten ihr monotones Lied in den feuchten Wiesen; vom Kirchthurm läuteten die ge¬ dämpften Glocken zum Begräbniß einer alten Frau.
Die Lippen der Fürstin berührten Adelheids Wangen: "Ach, liebes Mädchen, wer weiß, was mor¬ gen kommt!" --
Es war da in dem Augenblick mehr zwischen ihnen vorgegangen, als Worte aussprechen. Die Königin sprach: "Sie schickte mir der allgütige Va¬ ter im Himmel zu einer Stunde, wo ich Trostes be¬ durfte. Was man so gefunden, läßt man so leicht nicht wieder von sich."
Die Emotionen haben ihr ewiges, unverjähr¬ bares Recht, unter den goldenen Decken der Schlös¬ ser wie unter den Schilfdächern der Hütten; aber hier dürfen sie austoben bis zur Erschöpfung, dort ist ihnen ein Maaß gesteckt.
Louise war wieder die Königin geworden, als sie weiter gingen, aber von einer Huld, welche die Majestät überstrahlte. Sie zeigte nach dem Pavil¬
hob den Arm, um den Faden vom Hals der Fürſtin loszumachen, aber — es war die Wirkung und die That des Momentes, jene Einwirkung unſichtbarer Geiſter, die wir umſonſt erklären, und, wenn erklärt, ſo wäre es nichts — die Thränen ſtürzten aus den Augen der Königin, und ſie drückte Adelheid an ihre Bruſt. Niemand ſah es, es war weite ſonntägliche Einſamkeit im Park. Die Sonne, obgleich ſie Alles ſieht, iſt eine ſchweigende Zeugin, die Käfer ſchwirr¬ ten, die Fröſche ächzten ihr monotones Lied in den feuchten Wieſen; vom Kirchthurm läuteten die ge¬ dämpften Glocken zum Begräbniß einer alten Frau.
Die Lippen der Fürſtin berührten Adelheids Wangen: „Ach, liebes Mädchen, wer weiß, was mor¬ gen kommt!“ —
Es war da in dem Augenblick mehr zwiſchen ihnen vorgegangen, als Worte ausſprechen. Die Königin ſprach: „Sie ſchickte mir der allgütige Va¬ ter im Himmel zu einer Stunde, wo ich Troſtes be¬ durfte. Was man ſo gefunden, läßt man ſo leicht nicht wieder von ſich.“
Die Emotionen haben ihr ewiges, unverjähr¬ bares Recht, unter den goldenen Decken der Schlöſ¬ ſer wie unter den Schilfdächern der Hütten; aber hier dürfen ſie austoben bis zur Erſchöpfung, dort iſt ihnen ein Maaß geſteckt.
Louiſe war wieder die Königin geworden, als ſie weiter gingen, aber von einer Huld, welche die Majeſtät überſtrahlte. Sie zeigte nach dem Pavil¬
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hob den Arm, um den Faden vom Hals der Fürſtin
loszumachen, aber — es war die Wirkung und die
That des Momentes, jene Einwirkung unſichtbarer
Geiſter, die wir umſonſt erklären, und, wenn erklärt,
ſo wäre es nichts — die Thränen ſtürzten aus den
Augen der Königin, und ſie drückte Adelheid an ihre
Bruſt. Niemand ſah es, es war weite ſonntägliche
Einſamkeit im Park. Die Sonne, obgleich ſie Alles
ſieht, iſt eine ſchweigende Zeugin, die Käfer ſchwirr¬
ten, die Fröſche ächzten ihr monotones Lied in den
feuchten Wieſen; vom Kirchthurm läuteten die ge¬
dämpften Glocken zum Begräbniß einer alten Frau.
Die Lippen der Fürſtin berührten Adelheids
Wangen: „Ach, liebes Mädchen, wer weiß, was mor¬
gen kommt!“ —
Es war da in dem Augenblick mehr zwiſchen
ihnen vorgegangen, als Worte ausſprechen. Die
Königin ſprach: „Sie ſchickte mir der allgütige Va¬
ter im Himmel zu einer Stunde, wo ich Troſtes be¬
durfte. Was man ſo gefunden, läßt man ſo leicht
nicht wieder von ſich.“
Die Emotionen haben ihr ewiges, unverjähr¬
bares Recht, unter den goldenen Decken der Schlöſ¬
ſer wie unter den Schilfdächern der Hütten; aber
hier dürfen ſie austoben bis zur Erſchöpfung, dort
iſt ihnen ein Maaß geſteckt.
Louiſe war wieder die Königin geworden, als
ſie weiter gingen, aber von einer Huld, welche die
Majeſtät überſtrahlte. Sie zeigte nach dem Pavil¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/124>, abgerufen am 23.11.2024.
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