von englischen Federn geschaukelten Wagens, und der russische Kutscher lenkte seine Pferde pfeilschnell durch die schattenreichsten Gänge des Thiergartens. Eine Fahrt, recht geeignet, um seinen Träumen nachzuhängen; die Gedanken konnten spielen, wie die Schatten der Blätter auf den hellen Kleidern der schönen Damen, die, sie wußten selbst nicht recht warum, hier copulirt waren.
Die Baronin war eine herzensgute Seele; dessen war sie sich jetzt selbst bewußt, seit die Liebe ihr ein Bewußtsein gegeben. Sie hatte nie hinter dem Berge gehalten, als sie noch nichts mitzutheilen hatte, nämlich aus ihrem innern Leben; seit hier ein Gedanke wogte, und andere erzeugte, die sie für ihr unbestreitbares Eigenthum hielt, erschien es ihr sogar als Pflicht, von diesen Gefühlen und Gedanken auszuschütten. Je schwerer uns eine Errungenschaft ward, um so höher taxiren wir sie, um so mehr halten wir uns berechtigt, daß Andere Belehrung von uns empfangen müssen. Es ist nun einmal aller Autodidacten Art.
Adelheid war eine Kranke. Das war eine angenommene Sache, nur war man darüber uneinig, ob ihre Krankheit eine physische oder psychische sei. Die Roheren oder die Gleichgültigen sagten: sie sei so schlecht von der Geheimräthin behandelt worden, oder sie habe sich doch so wenig mit ihr vertragen können, daß sie fortlaufen mußte, und man habe es dann nachher so abgekartet, als hätte die Fürstin
von engliſchen Federn geſchaukelten Wagens, und der ruſſiſche Kutſcher lenkte ſeine Pferde pfeilſchnell durch die ſchattenreichſten Gänge des Thiergartens. Eine Fahrt, recht geeignet, um ſeinen Träumen nachzuhängen; die Gedanken konnten ſpielen, wie die Schatten der Blätter auf den hellen Kleidern der ſchönen Damen, die, ſie wußten ſelbſt nicht recht warum, hier copulirt waren.
Die Baronin war eine herzensgute Seele; deſſen war ſie ſich jetzt ſelbſt bewußt, ſeit die Liebe ihr ein Bewußtſein gegeben. Sie hatte nie hinter dem Berge gehalten, als ſie noch nichts mitzutheilen hatte, nämlich aus ihrem innern Leben; ſeit hier ein Gedanke wogte, und andere erzeugte, die ſie für ihr unbeſtreitbares Eigenthum hielt, erſchien es ihr ſogar als Pflicht, von dieſen Gefühlen und Gedanken auszuſchütten. Je ſchwerer uns eine Errungenſchaft ward, um ſo höher taxiren wir ſie, um ſo mehr halten wir uns berechtigt, daß Andere Belehrung von uns empfangen müſſen. Es iſt nun einmal aller Autodidacten Art.
Adelheid war eine Kranke. Das war eine angenommene Sache, nur war man darüber uneinig, ob ihre Krankheit eine phyſiſche oder pſychiſche ſei. Die Roheren oder die Gleichgültigen ſagten: ſie ſei ſo ſchlecht von der Geheimräthin behandelt worden, oder ſie habe ſich doch ſo wenig mit ihr vertragen können, daß ſie fortlaufen mußte, und man habe es dann nachher ſo abgekartet, als hätte die Fürſtin
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von engliſchen Federn geſchaukelten Wagens, und
der ruſſiſche Kutſcher lenkte ſeine Pferde pfeilſchnell
durch die ſchattenreichſten Gänge des Thiergartens.
Eine Fahrt, recht geeignet, um ſeinen Träumen
nachzuhängen; die Gedanken konnten ſpielen, wie
die Schatten der Blätter auf den hellen Kleidern der
ſchönen Damen, die, ſie wußten ſelbſt nicht recht
warum, hier copulirt waren.
Die Baronin war eine herzensgute Seele;
deſſen war ſie ſich jetzt ſelbſt bewußt, ſeit die Liebe ihr
ein Bewußtſein gegeben. Sie hatte nie hinter dem
Berge gehalten, als ſie noch nichts mitzutheilen
hatte, nämlich aus ihrem innern Leben; ſeit hier ein
Gedanke wogte, und andere erzeugte, die ſie für
ihr unbeſtreitbares Eigenthum hielt, erſchien es ihr
ſogar als Pflicht, von dieſen Gefühlen und Gedanken
auszuſchütten. Je ſchwerer uns eine Errungenſchaft
ward, um ſo höher taxiren wir ſie, um ſo mehr
halten wir uns berechtigt, daß Andere Belehrung
von uns empfangen müſſen. Es iſt nun einmal
aller Autodidacten Art.
Adelheid war eine Kranke. Das war eine
angenommene Sache, nur war man darüber uneinig,
ob ihre Krankheit eine phyſiſche oder pſychiſche ſei.
Die Roheren oder die Gleichgültigen ſagten: ſie
ſei ſo ſchlecht von der Geheimräthin behandelt worden,
oder ſie habe ſich doch ſo wenig mit ihr vertragen
können, daß ſie fortlaufen mußte, und man habe
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/83>, abgerufen am 28.11.2024.
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