Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

sie nur wegen des Nervenanfalls ins Haus genommen.
Von dieser erschrecklichen Behandlung oder dem
inneren Zwiespalt sei das arme Mädchen krank und
schweige nur darüber aus Großmuth und Schonung
gegen ihre frühere Wohlthäterin. Vermittelnde sprachen
für jene schon erwähnte Tradition, daß die Geheim¬
räthin ihr Verhältniß zu Walter van Asten begün¬
stigt, daß sie ungehalten geworden, weil Adelheid
kalt gegen ihn geworden; das habe beide auseinander
gerissen. Aber krank konnte sie doch darum nicht sein;
nicht aus Verdruß, daß sie die Liebe einer Frau
eingebüßt, welche sie nie geliebt, noch Wohlthaten,
welche ihr stets drückend gewesen. Genoß sie doch
jetzt die volle Liebe und Wohlthaten der liebens¬
würdigen Fürstin in ganz anderm Maaße.

Also mußte eine andere Liebe ihrem kranken,
unbeschreiblichen Wesen zum Grunde liegen. Und hier
war das Feld der Vermuthungen für die Feineren.
Sie hatte dem ihre Neigung zugewandt, der sie als
Lehrer rasch und glücklich in ein höheres geistiges
Leben geführt. Es war eine reine, uneingeschränkte
Neigung geblieben, welche sie, von Bewunderung und
Dankbarkeit erwärmt oder getäuscht, für Liebe ge¬
halten, bis -- ein Anderer erschien, für den ihr
Herz anders schlug. Sie war krank geworden,
wirklich körperlich leidend, unter Gefühlen, die sie
vergebens zu unterdrücken versucht. Da war -- es
mußte eine Krisis eingetreten sein, die mit einer
äußern Begebenheit in Verbindung stand. Sie war

ſie nur wegen des Nervenanfalls ins Haus genommen.
Von dieſer erſchrecklichen Behandlung oder dem
inneren Zwieſpalt ſei das arme Mädchen krank und
ſchweige nur darüber aus Großmuth und Schonung
gegen ihre frühere Wohlthäterin. Vermittelnde ſprachen
für jene ſchon erwähnte Tradition, daß die Geheim¬
räthin ihr Verhältniß zu Walter van Aſten begün¬
ſtigt, daß ſie ungehalten geworden, weil Adelheid
kalt gegen ihn geworden; das habe beide auseinander
geriſſen. Aber krank konnte ſie doch darum nicht ſein;
nicht aus Verdruß, daß ſie die Liebe einer Frau
eingebüßt, welche ſie nie geliebt, noch Wohlthaten,
welche ihr ſtets drückend geweſen. Genoß ſie doch
jetzt die volle Liebe und Wohlthaten der liebens¬
würdigen Fürſtin in ganz anderm Maaße.

Alſo mußte eine andere Liebe ihrem kranken,
unbeſchreiblichen Weſen zum Grunde liegen. Und hier
war das Feld der Vermuthungen für die Feineren.
Sie hatte dem ihre Neigung zugewandt, der ſie als
Lehrer raſch und glücklich in ein höheres geiſtiges
Leben geführt. Es war eine reine, uneingeſchränkte
Neigung geblieben, welche ſie, von Bewunderung und
Dankbarkeit erwärmt oder getäuſcht, für Liebe ge¬
halten, bis — ein Anderer erſchien, für den ihr
Herz anders ſchlug. Sie war krank geworden,
wirklich körperlich leidend, unter Gefühlen, die ſie
vergebens zu unterdrücken verſucht. Da war — es
mußte eine Kriſis eingetreten ſein, die mit einer
äußern Begebenheit in Verbindung ſtand. Sie war

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0084" n="74"/>
&#x017F;ie nur wegen des Nervenanfalls ins Haus genommen.<lb/>
Von die&#x017F;er er&#x017F;chrecklichen Behandlung oder dem<lb/>
inneren Zwie&#x017F;palt &#x017F;ei das arme Mädchen krank und<lb/>
&#x017F;chweige nur darüber aus Großmuth und Schonung<lb/>
gegen ihre frühere Wohlthäterin. Vermittelnde &#x017F;prachen<lb/>
für jene &#x017F;chon erwähnte Tradition, daß die Geheim¬<lb/>
räthin ihr Verhältniß zu Walter van A&#x017F;ten begün¬<lb/>
&#x017F;tigt, daß <hi rendition="#g">&#x017F;ie</hi> ungehalten geworden, weil Adelheid<lb/>
kalt gegen ihn geworden; das habe beide auseinander<lb/>
geri&#x017F;&#x017F;en. Aber krank konnte &#x017F;ie doch darum nicht &#x017F;ein;<lb/>
nicht aus Verdruß, daß &#x017F;ie die Liebe einer Frau<lb/>
eingebüßt, welche &#x017F;ie nie geliebt, noch Wohlthaten,<lb/>
welche ihr &#x017F;tets drückend gewe&#x017F;en. Genoß &#x017F;ie doch<lb/>
jetzt die volle Liebe und Wohlthaten der liebens¬<lb/>
würdigen Für&#x017F;tin in ganz anderm Maaße.</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o mußte eine andere Liebe ihrem kranken,<lb/>
unbe&#x017F;chreiblichen We&#x017F;en zum Grunde liegen. Und hier<lb/>
war das Feld der Vermuthungen für die Feineren.<lb/>
Sie hatte dem ihre Neigung zugewandt, der &#x017F;ie als<lb/>
Lehrer ra&#x017F;ch und glücklich in ein höheres gei&#x017F;tiges<lb/>
Leben geführt. Es war eine reine, uneinge&#x017F;chränkte<lb/>
Neigung geblieben, welche &#x017F;ie, von Bewunderung und<lb/>
Dankbarkeit erwärmt oder getäu&#x017F;cht, für Liebe ge¬<lb/>
halten, bis &#x2014; ein Anderer er&#x017F;chien, für den ihr<lb/>
Herz anders &#x017F;chlug. Sie war krank geworden,<lb/>
wirklich körperlich leidend, unter Gefühlen, die &#x017F;ie<lb/>
vergebens zu unterdrücken ver&#x017F;ucht. Da war &#x2014; es<lb/>
mußte eine Kri&#x017F;is eingetreten &#x017F;ein, die mit einer<lb/>
äußern Begebenheit in Verbindung &#x017F;tand. Sie war<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0084] ſie nur wegen des Nervenanfalls ins Haus genommen. Von dieſer erſchrecklichen Behandlung oder dem inneren Zwieſpalt ſei das arme Mädchen krank und ſchweige nur darüber aus Großmuth und Schonung gegen ihre frühere Wohlthäterin. Vermittelnde ſprachen für jene ſchon erwähnte Tradition, daß die Geheim¬ räthin ihr Verhältniß zu Walter van Aſten begün¬ ſtigt, daß ſie ungehalten geworden, weil Adelheid kalt gegen ihn geworden; das habe beide auseinander geriſſen. Aber krank konnte ſie doch darum nicht ſein; nicht aus Verdruß, daß ſie die Liebe einer Frau eingebüßt, welche ſie nie geliebt, noch Wohlthaten, welche ihr ſtets drückend geweſen. Genoß ſie doch jetzt die volle Liebe und Wohlthaten der liebens¬ würdigen Fürſtin in ganz anderm Maaße. Alſo mußte eine andere Liebe ihrem kranken, unbeſchreiblichen Weſen zum Grunde liegen. Und hier war das Feld der Vermuthungen für die Feineren. Sie hatte dem ihre Neigung zugewandt, der ſie als Lehrer raſch und glücklich in ein höheres geiſtiges Leben geführt. Es war eine reine, uneingeſchränkte Neigung geblieben, welche ſie, von Bewunderung und Dankbarkeit erwärmt oder getäuſcht, für Liebe ge¬ halten, bis — ein Anderer erſchien, für den ihr Herz anders ſchlug. Sie war krank geworden, wirklich körperlich leidend, unter Gefühlen, die ſie vergebens zu unterdrücken verſucht. Da war — es mußte eine Kriſis eingetreten ſein, die mit einer äußern Begebenheit in Verbindung ſtand. Sie war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/84
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/84>, abgerufen am 10.05.2024.