ihm diese für Kreuz- und Querwege, welche philister¬ hafte Musterkarte von eingepferchten Begriffen und Vorstellungen, durch alle die das arme Kind syste¬ matisch hindurch soll auf den Weg zur Vervollkomm¬ nung. O geht mir damit, laßt es springen, wie das Reh im Walde. Verirrt es sich, wird es sich wieder hinausfinden. Nascht es von einer giftigen Frucht, legt es sich unter einen Blüthenstrauch schlafen, der tödtenden Dunst aushaucht, so hat die Natur, die Bergluft, der klare Quell tausend Mittel, das Gift zu paralysiren. Sehn Sie das Bild, hatte sie, auf eine Schilderei zeigend, gesprochen. Das Kind ist am Abgrund eingeschlafen, aber sein Genius wacht neben ihm."
"Könnte es aber nicht einmal sein, Erlaucht, daß der Genius müde würde von dem ewigen Hände¬ aufhalten? hatte Lombard erwiedert. Was macht denn dann das arme Kind, wenn er einschläft."
"Es würde unzweifelhaft in den Abgrund stürzen, mein Herr Geheimrath, wo es indeß nicht so düster und schreckhaft sein muß, als der Maler angedeutet, denn ich weiß von sehr geistvollen und liebenswür¬ digen Personen, die in dem finstern Grunde wie zu Hause sind. Das arme Kind --"
"Würde sich auch gefallen, wenn es einmal ge¬ fallen ist, meine gnädigste Frau?"
"Wenn sein Engel erwacht ist, wird er die Arme emporstrecken, und aus den dunkeln Wolken da wird ein Vaterauge blicken, von so glänzender Huld, daß
ihm dieſe für Kreuz- und Querwege, welche philiſter¬ hafte Muſterkarte von eingepferchten Begriffen und Vorſtellungen, durch alle die das arme Kind ſyſte¬ matiſch hindurch ſoll auf den Weg zur Vervollkomm¬ nung. O geht mir damit, laßt es ſpringen, wie das Reh im Walde. Verirrt es ſich, wird es ſich wieder hinausfinden. Naſcht es von einer giftigen Frucht, legt es ſich unter einen Blüthenſtrauch ſchlafen, der tödtenden Dunſt aushaucht, ſo hat die Natur, die Bergluft, der klare Quell tauſend Mittel, das Gift zu paralyſiren. Sehn Sie das Bild, hatte ſie, auf eine Schilderei zeigend, geſprochen. Das Kind iſt am Abgrund eingeſchlafen, aber ſein Genius wacht neben ihm.“
„Könnte es aber nicht einmal ſein, Erlaucht, daß der Genius müde würde von dem ewigen Hände¬ aufhalten? hatte Lombard erwiedert. Was macht denn dann das arme Kind, wenn er einſchläft.“
„Es würde unzweifelhaft in den Abgrund ſtürzen, mein Herr Geheimrath, wo es indeß nicht ſo düſter und ſchreckhaft ſein muß, als der Maler angedeutet, denn ich weiß von ſehr geiſtvollen und liebenswür¬ digen Perſonen, die in dem finſtern Grunde wie zu Hauſe ſind. Das arme Kind —“
„Würde ſich auch gefallen, wenn es einmal ge¬ fallen iſt, meine gnädigſte Frau?“
„Wenn ſein Engel erwacht iſt, wird er die Arme emporſtrecken, und aus den dunkeln Wolken da wird ein Vaterauge blicken, von ſo glänzender Huld, daß
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ihm dieſe für Kreuz- und Querwege, welche philiſter¬
hafte Muſterkarte von eingepferchten Begriffen und
Vorſtellungen, durch alle die das arme Kind ſyſte¬
matiſch hindurch ſoll auf den Weg zur Vervollkomm¬
nung. O geht mir damit, laßt es ſpringen, wie das
Reh im Walde. Verirrt es ſich, wird es ſich wieder
hinausfinden. Naſcht es von einer giftigen Frucht,
legt es ſich unter einen Blüthenſtrauch ſchlafen, der
tödtenden Dunſt aushaucht, ſo hat die Natur, die
Bergluft, der klare Quell tauſend Mittel, das Gift
zu paralyſiren. Sehn Sie das Bild, hatte ſie, auf
eine Schilderei zeigend, geſprochen. Das Kind iſt
am Abgrund eingeſchlafen, aber ſein Genius wacht
neben ihm.“
„Könnte es aber nicht einmal ſein, Erlaucht,
daß der Genius müde würde von dem ewigen Hände¬
aufhalten? hatte Lombard erwiedert. Was macht
denn dann das arme Kind, wenn er einſchläft.“
„Es würde unzweifelhaft in den Abgrund ſtürzen,
mein Herr Geheimrath, wo es indeß nicht ſo düſter
und ſchreckhaft ſein muß, als der Maler angedeutet,
denn ich weiß von ſehr geiſtvollen und liebenswür¬
digen Perſonen, die in dem finſtern Grunde wie zu
Hauſe ſind. Das arme Kind —“
„Würde ſich auch gefallen, wenn es einmal ge¬
fallen iſt, meine gnädigſte Frau?“
„Wenn ſein Engel erwacht iſt, wird er die Arme
emporſtrecken, und aus den dunkeln Wolken da wird
ein Vaterauge blicken, von ſo glänzender Huld, daß
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/81>, abgerufen am 28.11.2024.
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