anderen, der das Maaß finden, die Gränze stecken soll. Und "Integer vitae, scelerisque purus -- das hat dieser selbe Horaz auch gesagt. In meinem Testa¬ ment hatte ich es Ihnen vermacht -- diese -- ja diese Leydener Silberschrift mit verschlungenen Hän¬ den. Warum so lange warten! Rasch in die Brust¬ tasche, zur Erinnerung an einen alten Mann, der Ihnen wohl wollte."
Das war etwas Ungeheures -- Walter erschrak:
"Dies Exemplar, Herr Geheimrath!"
Der Gelehrte drückte es ihm in die Hand: "Dieses, ich weiß keinen bessern, der es nach mir aufhebt. -- Es ist freilich nur vom zweiten Abdruck. Ja, wenn es mir gelungen wäre, eines mit dem Todtenkopf zu erhalten! Was habe ich nicht correspon¬ dirt, nach England, Schweden, was habe ich geboten! Der Herr Legationsrath von Wandel, was hat der sich nicht für Mühe gegeben -- er hofft noch immer; aber -- es war vielleicht ein zu großer Wunsch, und kein Mensch scheidet von dieser Welt, der sagen kann, daß Alles in Erfüllung ging, was er wünschte."
Den Geheimrath befiel hier ein heftiges Hüsteln. Die Sprache versagte ihm und der kalte Schweiß stand auf seinem blassen Gesicht. Als Walter ihn nach seinem Stuhl führen wollte, stand die Geheim¬ räthin plötzlich da -- man konnte glauben, daß sie hinter einer Bücherwand Zeuge des Gesprächs ge¬ wesen. "Verzeihn Sie, Herr van Asten, man muß
anderen, der das Maaß finden, die Gränze ſtecken ſoll. Und „Integer vitae, scelerisque purus — das hat dieſer ſelbe Horaz auch geſagt. In meinem Teſta¬ ment hatte ich es Ihnen vermacht — dieſe — ja dieſe Leydener Silberſchrift mit verſchlungenen Hän¬ den. Warum ſo lange warten! Raſch in die Bruſt¬ taſche, zur Erinnerung an einen alten Mann, der Ihnen wohl wollte.“
Das war etwas Ungeheures — Walter erſchrak:
„Dies Exemplar, Herr Geheimrath!“
Der Gelehrte drückte es ihm in die Hand: „Dieſes, ich weiß keinen beſſern, der es nach mir aufhebt. — Es iſt freilich nur vom zweiten Abdruck. Ja, wenn es mir gelungen wäre, eines mit dem Todtenkopf zu erhalten! Was habe ich nicht correſpon¬ dirt, nach England, Schweden, was habe ich geboten! Der Herr Legationsrath von Wandel, was hat der ſich nicht für Mühe gegeben — er hofft noch immer; aber — es war vielleicht ein zu großer Wunſch, und kein Menſch ſcheidet von dieſer Welt, der ſagen kann, daß Alles in Erfüllung ging, was er wünſchte.“
Den Geheimrath befiel hier ein heftiges Hüſteln. Die Sprache verſagte ihm und der kalte Schweiß ſtand auf ſeinem blaſſen Geſicht. Als Walter ihn nach ſeinem Stuhl führen wollte, ſtand die Geheim¬ räthin plötzlich da — man konnte glauben, daß ſie hinter einer Bücherwand Zeuge des Geſprächs ge¬ weſen. „Verzeihn Sie, Herr van Aſten, man muß
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anderen, der das Maaß finden, die Gränze ſtecken
ſoll. Und „Integer vitae, scelerisque purus — das
hat dieſer ſelbe Horaz auch geſagt. In meinem Teſta¬
ment hatte ich es Ihnen vermacht — dieſe — ja
dieſe Leydener Silberſchrift mit verſchlungenen Hän¬
den. Warum ſo lange warten! Raſch in die Bruſt¬
taſche, zur Erinnerung an einen alten Mann, der
Ihnen wohl wollte.“
Das war etwas Ungeheures — Walter erſchrak:
„Dies Exemplar, Herr Geheimrath!“
Der Gelehrte drückte es ihm in die Hand:
„Dieſes, ich weiß keinen beſſern, der es nach mir
aufhebt. — Es iſt freilich nur vom zweiten Abdruck.
Ja, wenn es mir gelungen wäre, eines mit dem
Todtenkopf zu erhalten! Was habe ich nicht correſpon¬
dirt, nach England, Schweden, was habe ich geboten!
Der Herr Legationsrath von Wandel, was hat
der ſich nicht für Mühe gegeben — er hofft noch
immer; aber — es war vielleicht ein zu großer
Wunſch, und kein Menſch ſcheidet von dieſer Welt, der
ſagen kann, daß Alles in Erfüllung ging, was er
wünſchte.“
Den Geheimrath befiel hier ein heftiges Hüſteln.
Die Sprache verſagte ihm und der kalte Schweiß
ſtand auf ſeinem blaſſen Geſicht. Als Walter ihn
nach ſeinem Stuhl führen wollte, ſtand die Geheim¬
räthin plötzlich da — man konnte glauben, daß ſie
hinter einer Bücherwand Zeuge des Geſprächs ge¬
weſen. „Verzeihn Sie, Herr van Aſten, man muß
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/65>, abgerufen am 05.12.2024.
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