Regiment der guten Cynera. -- Nicht wahr, das ist recht frivol und schlecht von ihm gehandelt! Und so was der Jugend zu predigen! Aber, aber -- zwei tausend Jahre beinah vergangen, und Horaz lebt! Die Brutus spuken freilich, in allen Revolutionen, gar tugendhafte Männer, aber was hinterlassen sie? Verfolgungen, Criminalprozesse, Steckbriefe, Aus¬ weisungen, Schaffotte, Bankrotte, ruinirte Familien, Elend -- aber wen auch das Rad nach oben trägt, dem Horaz hört er immer gern zu, er hat in aller Welt das Bürgerrecht, der süße Prediger einer Lebensweisheit, die dauern wird, so lange die Welt steht."
Walter schwieg. Sie hatten auch darüber schon oft sich verständigt, daß sie sich nicht verständigen könnten. Der alte Gelehrte klopfte ihm auf die Schulter:
"Will ich Sie denn zwingen, junger Eigensinn! Erinnern Sie sich, wie Morus seine herrliche Biographie des Philologen Reiske anfängt: Omnis vitae Reiskianae ratio fuit, non cedere malis sed audentiorem contra ire! Ist auch ein schöner Spruch und ein klassisches La¬ tein. Meinethalben immer drauf los wie der große Reiske. Erinnern Sie sich aber gelegentlich, daß Horaz auch gesagt hat: Est modus in rebus, sunt certi denique fines. Er hat keine Maxime aufgestellt wie Cicero, daß der Mensch wedeln soll vor der Macht, weil sie Macht ist. Und dann dachte auch wohl der heidnische Philosoph nicht an den Wurm, 's ist an einem
Regiment der guten Cynera. — Nicht wahr, das iſt recht frivol und ſchlecht von ihm gehandelt! Und ſo was der Jugend zu predigen! Aber, aber — zwei tauſend Jahre beinah vergangen, und Horaz lebt! Die Brutus ſpuken freilich, in allen Revolutionen, gar tugendhafte Männer, aber was hinterlaſſen ſie? Verfolgungen, Criminalprozeſſe, Steckbriefe, Aus¬ weiſungen, Schaffotte, Bankrotte, ruinirte Familien, Elend — aber wen auch das Rad nach oben trägt, dem Horaz hört er immer gern zu, er hat in aller Welt das Bürgerrecht, der ſüße Prediger einer Lebensweisheit, die dauern wird, ſo lange die Welt ſteht.“
Walter ſchwieg. Sie hatten auch darüber ſchon oft ſich verſtändigt, daß ſie ſich nicht verſtändigen könnten. Der alte Gelehrte klopfte ihm auf die Schulter:
„Will ich Sie denn zwingen, junger Eigenſinn! Erinnern Sie ſich, wie Morus ſeine herrliche Biographie des Philologen Reiske anfängt: Omnis vitae Reiskianae ratio fuit, non cedere malis sed audentiorem contra ire! Iſt auch ein ſchöner Spruch und ein klaſſiſches La¬ tein. Meinethalben immer drauf los wie der große Reiske. Erinnern Sie ſich aber gelegentlich, daß Horaz auch geſagt hat: Est modus in rebus, sunt certi denique fines. Er hat keine Maxime aufgeſtellt wie Cicero, daß der Menſch wedeln ſoll vor der Macht, weil ſie Macht iſt. Und dann dachte auch wohl der heidniſche Philoſoph nicht an den Wurm, 's iſt an einem
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Regiment der guten Cynera. — Nicht wahr, das iſt
recht frivol und ſchlecht von ihm gehandelt! Und ſo
was der Jugend zu predigen! Aber, aber — zwei
tauſend Jahre beinah vergangen, und Horaz lebt!
Die Brutus ſpuken freilich, in allen Revolutionen,
gar tugendhafte Männer, aber was hinterlaſſen ſie?
Verfolgungen, Criminalprozeſſe, Steckbriefe, Aus¬
weiſungen, Schaffotte, Bankrotte, ruinirte Familien,
Elend — aber wen auch das Rad nach oben trägt,
dem Horaz hört er immer gern zu, er hat in
aller Welt das Bürgerrecht, der ſüße Prediger einer
Lebensweisheit, die dauern wird, ſo lange die
Welt ſteht.“
Walter ſchwieg. Sie hatten auch darüber ſchon
oft ſich verſtändigt, daß ſie ſich nicht verſtändigen
könnten. Der alte Gelehrte klopfte ihm auf die
Schulter:
„Will ich Sie denn zwingen, junger Eigenſinn!
Erinnern Sie ſich, wie Morus ſeine herrliche Biographie
des Philologen Reiske anfängt: Omnis vitae Reiskianae
ratio fuit, non cedere malis sed audentiorem contra ire!
Iſt auch ein ſchöner Spruch und ein klaſſiſches La¬
tein. Meinethalben immer drauf los wie der große
Reiske. Erinnern Sie ſich aber gelegentlich, daß
Horaz auch geſagt hat: Est modus in rebus, sunt
certi denique fines. Er hat keine Maxime aufgeſtellt
wie Cicero, daß der Menſch wedeln ſoll vor der Macht,
weil ſie Macht iſt. Und dann dachte auch wohl der
heidniſche Philoſoph nicht an den Wurm, 's iſt an einem
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/64>, abgerufen am 05.12.2024.
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