Geheimer Seehandlungsrath. Er hat Ihre Abhand¬ lung über Alba Longa mit Vergnügen gelesen. Er wird ein Mann von Einfluß werden. Jetzt kann ich Sie noch empfehlen, vielleicht bald nicht mehr. Sa¬ gen Sie mir Ihre Wünsche, lieber Walter."
Auf Walters Gesicht stand die Antwort. Es war ein Thema, was sie oft besprochen. Mit einem vielsagenden Blicke faßte der Kranke die Hand des Gesunden:
"Unser Staat ist kränker, als ich bin. Die Re¬ publik liegt in den letzten Zügen, die Scipionen schlummern in ihrer Gruft, die Virtus neben ihnen, unser Actium und Philippi steht vor den Thoren, die Catonen mögen den Giftbecher leeren, es bricht zu¬ sammen, Herr van Asten, ich weiß es auch, und der Cäsar scheint auch schon da, der uns nur nicht behagt. Was bleibt da dem Freien? -- Das Exempel, das ihm ein alter Freigelassener ließ."
Der Geheimrath hatte sich mit Mühe vom Stuhl erhoben, und war, auf einen Stock gestützt, an seine heiligste Bücherwand geschlichen. Einen, Walter wohl¬ bekannten dünnen Band, unscheinbar in altem Leder, nahm er heraus. Es war eine Ausgabe des Horaz, an die er keine fremde Hand ließ; er zeigte das Buch nur seinen Freunden.
"Wenns Ihnen schlimm ums Herz wird, hier ist der Trost. Zweifeln Sie, daß Horaz ein guter Patriot gewesen? Ging ihm das Schicksal des Rö¬ mischen Staates nicht ans Herz? Ich sage Ihnen,
Geheimer Seehandlungsrath. Er hat Ihre Abhand¬ lung über Alba Longa mit Vergnügen geleſen. Er wird ein Mann von Einfluß werden. Jetzt kann ich Sie noch empfehlen, vielleicht bald nicht mehr. Sa¬ gen Sie mir Ihre Wünſche, lieber Walter.“
Auf Walters Geſicht ſtand die Antwort. Es war ein Thema, was ſie oft beſprochen. Mit einem vielſagenden Blicke faßte der Kranke die Hand des Geſunden:
„Unſer Staat iſt kränker, als ich bin. Die Re¬ publik liegt in den letzten Zügen, die Scipionen ſchlummern in ihrer Gruft, die Virtus neben ihnen, unſer Actium und Philippi ſteht vor den Thoren, die Catonen mögen den Giftbecher leeren, es bricht zu¬ ſammen, Herr van Aſten, ich weiß es auch, und der Cäſar ſcheint auch ſchon da, der uns nur nicht behagt. Was bleibt da dem Freien? — Das Exempel, das ihm ein alter Freigelaſſener ließ.“
Der Geheimrath hatte ſich mit Mühe vom Stuhl erhoben, und war, auf einen Stock geſtützt, an ſeine heiligſte Bücherwand geſchlichen. Einen, Walter wohl¬ bekannten dünnen Band, unſcheinbar in altem Leder, nahm er heraus. Es war eine Ausgabe des Horaz, an die er keine fremde Hand ließ; er zeigte das Buch nur ſeinen Freunden.
„Wenns Ihnen ſchlimm ums Herz wird, hier iſt der Troſt. Zweifeln Sie, daß Horaz ein guter Patriot geweſen? Ging ihm das Schickſal des Rö¬ miſchen Staates nicht ans Herz? Ich ſage Ihnen,
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Geheimer Seehandlungsrath. Er hat Ihre Abhand¬
lung über Alba Longa mit Vergnügen geleſen. Er
wird ein Mann von Einfluß werden. Jetzt kann ich
Sie noch empfehlen, vielleicht bald nicht mehr. Sa¬
gen Sie mir Ihre Wünſche, lieber Walter.“
Auf Walters Geſicht ſtand die Antwort. Es
war ein Thema, was ſie oft beſprochen. Mit einem
vielſagenden Blicke faßte der Kranke die Hand des
Geſunden:
„Unſer Staat iſt kränker, als ich bin. Die Re¬
publik liegt in den letzten Zügen, die Scipionen
ſchlummern in ihrer Gruft, die Virtus neben ihnen,
unſer Actium und Philippi ſteht vor den Thoren, die
Catonen mögen den Giftbecher leeren, es bricht zu¬
ſammen, Herr van Aſten, ich weiß es auch, und der
Cäſar ſcheint auch ſchon da, der uns nur nicht behagt.
Was bleibt da dem Freien? — Das Exempel, das
ihm ein alter Freigelaſſener ließ.“
Der Geheimrath hatte ſich mit Mühe vom Stuhl
erhoben, und war, auf einen Stock geſtützt, an ſeine
heiligſte Bücherwand geſchlichen. Einen, Walter wohl¬
bekannten dünnen Band, unſcheinbar in altem Leder,
nahm er heraus. Es war eine Ausgabe des Horaz,
an die er keine fremde Hand ließ; er zeigte das Buch
nur ſeinen Freunden.
„Wenns Ihnen ſchlimm ums Herz wird, hier
iſt der Troſt. Zweifeln Sie, daß Horaz ein guter
Patriot geweſen? Ging ihm das Schickſal des Rö¬
miſchen Staates nicht ans Herz? Ich ſage Ihnen,
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/62>, abgerufen am 12.12.2024.
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