Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

nur wie es in Familien mit beschränkten Mitteln
geschieht. Die Mütter nehmen ihren Kleinen die
Puppen und Soldaten allmälig fort, an denen sie
sich das Jahr durch satt gespielt, um sie ihnen frisch
lackirt und neu angezogen zu Weihnachten wieder zu
schenken. Die klügsten Kinder merken es nicht. So
das ganze Menschengeschlecht. Nur die Erwählten
kommen mit sich in's Klare. -- Ja, wenn sie so weit
sind, wenn alle Nebel, Dämmerscheine, chromatische
Täuschungen, Vorurtheile gesunken, wenn sie wissen,
ihre Kreise und sich selbst zu beherrschen, wenn sie
sich das Zeugniß ablegen können, daß sie durch nichts
sich beirren lassen, keine Mißgriffe thun, rein und
grad auf ihren Zweck hinsteuern, -- dann -- das
muß ein Göttergefühl eigener Art sein."

Die Geheimräthin senkte in ihrer Sophaecke den
Kopf: "Wer kann das von sich sagen!"

"Ich kenne eine Frau, die es kann!" Er sah
vor sich auf die Diele. Es war etwas Eigenes heut
im Benehmen des Legationsrathes. So weich sein
Ton, so sanft vorhin sein Händedruck, so geschmeidig,
fast herzlich sein ganzes Benehmen; aber er sah sie
nicht an, er streckte nicht die Hand aus, um sie auf
ihren Arm zu legen, er saß isolirt wie ein Träumer,
und nur durch das Medium der Töne waren sie
in Berührung.

"Die Klügste kann sich darin täuschen!"

Er schien es nicht gehört zu haben. Er legte
den Arm auf die Lehne, und seine Finger häm¬

nur wie es in Familien mit beſchränkten Mitteln
geſchieht. Die Mütter nehmen ihren Kleinen die
Puppen und Soldaten allmälig fort, an denen ſie
ſich das Jahr durch ſatt geſpielt, um ſie ihnen friſch
lackirt und neu angezogen zu Weihnachten wieder zu
ſchenken. Die klügſten Kinder merken es nicht. So
das ganze Menſchengeſchlecht. Nur die Erwählten
kommen mit ſich in's Klare. — Ja, wenn ſie ſo weit
ſind, wenn alle Nebel, Dämmerſcheine, chromatiſche
Täuſchungen, Vorurtheile geſunken, wenn ſie wiſſen,
ihre Kreiſe und ſich ſelbſt zu beherrſchen, wenn ſie
ſich das Zeugniß ablegen können, daß ſie durch nichts
ſich beirren laſſen, keine Mißgriffe thun, rein und
grad auf ihren Zweck hinſteuern, — dann — das
muß ein Göttergefühl eigener Art ſein.“

Die Geheimräthin ſenkte in ihrer Sophaecke den
Kopf: „Wer kann das von ſich ſagen!“

„Ich kenne eine Frau, die es kann!“ Er ſah
vor ſich auf die Diele. Es war etwas Eigenes heut
im Benehmen des Legationsrathes. So weich ſein
Ton, ſo ſanft vorhin ſein Händedruck, ſo geſchmeidig,
faſt herzlich ſein ganzes Benehmen; aber er ſah ſie
nicht an, er ſtreckte nicht die Hand aus, um ſie auf
ihren Arm zu legen, er ſaß iſolirt wie ein Träumer,
und nur durch das Medium der Töne waren ſie
in Berührung.

„Die Klügſte kann ſich darin täuſchen!“

Er ſchien es nicht gehört zu haben. Er legte
den Arm auf die Lehne, und ſeine Finger häm¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0344" n="334"/>
nur wie es in Familien mit be&#x017F;chränkten Mitteln<lb/>
ge&#x017F;chieht. Die Mütter nehmen ihren Kleinen die<lb/>
Puppen und Soldaten allmälig fort, an denen &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich das Jahr durch &#x017F;att ge&#x017F;pielt, um &#x017F;ie ihnen fri&#x017F;ch<lb/>
lackirt und neu angezogen zu Weihnachten wieder zu<lb/>
&#x017F;chenken. Die klüg&#x017F;ten Kinder merken es nicht. So<lb/>
das ganze Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht. Nur die Erwählten<lb/>
kommen mit &#x017F;ich in's Klare. &#x2014; Ja, wenn &#x017F;ie &#x017F;o weit<lb/>
&#x017F;ind, wenn alle Nebel, Dämmer&#x017F;cheine, chromati&#x017F;che<lb/>
Täu&#x017F;chungen, Vorurtheile ge&#x017F;unken, wenn &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
ihre Krei&#x017F;e und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu beherr&#x017F;chen, wenn &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich das Zeugniß ablegen können, daß &#x017F;ie durch nichts<lb/>
&#x017F;ich beirren la&#x017F;&#x017F;en, keine Mißgriffe thun, rein und<lb/>
grad auf ihren Zweck hin&#x017F;teuern, &#x2014; dann &#x2014; das<lb/>
muß ein Göttergefühl eigener Art &#x017F;ein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Geheimräthin &#x017F;enkte in ihrer Sophaecke den<lb/>
Kopf: &#x201E;Wer kann das von &#x017F;ich &#x017F;agen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich kenne eine Frau, die es kann!&#x201C; Er &#x017F;ah<lb/>
vor &#x017F;ich auf die Diele. Es war etwas Eigenes heut<lb/>
im Benehmen des Legationsrathes. So weich &#x017F;ein<lb/>
Ton, &#x017F;o &#x017F;anft vorhin &#x017F;ein Händedruck, &#x017F;o ge&#x017F;chmeidig,<lb/>
fa&#x017F;t herzlich &#x017F;ein ganzes Benehmen; aber er &#x017F;ah &#x017F;ie<lb/>
nicht an, er &#x017F;treckte nicht die Hand aus, um &#x017F;ie auf<lb/>
ihren Arm zu legen, er &#x017F;aß i&#x017F;olirt wie ein Träumer,<lb/>
und nur durch das Medium der Töne waren &#x017F;ie<lb/>
in Berührung.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die Klüg&#x017F;te kann &#x017F;ich darin täu&#x017F;chen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;chien es nicht gehört zu haben. Er legte<lb/>
den Arm auf die Lehne, und &#x017F;eine Finger häm¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[334/0344] nur wie es in Familien mit beſchränkten Mitteln geſchieht. Die Mütter nehmen ihren Kleinen die Puppen und Soldaten allmälig fort, an denen ſie ſich das Jahr durch ſatt geſpielt, um ſie ihnen friſch lackirt und neu angezogen zu Weihnachten wieder zu ſchenken. Die klügſten Kinder merken es nicht. So das ganze Menſchengeſchlecht. Nur die Erwählten kommen mit ſich in's Klare. — Ja, wenn ſie ſo weit ſind, wenn alle Nebel, Dämmerſcheine, chromatiſche Täuſchungen, Vorurtheile geſunken, wenn ſie wiſſen, ihre Kreiſe und ſich ſelbſt zu beherrſchen, wenn ſie ſich das Zeugniß ablegen können, daß ſie durch nichts ſich beirren laſſen, keine Mißgriffe thun, rein und grad auf ihren Zweck hinſteuern, — dann — das muß ein Göttergefühl eigener Art ſein.“ Die Geheimräthin ſenkte in ihrer Sophaecke den Kopf: „Wer kann das von ſich ſagen!“ „Ich kenne eine Frau, die es kann!“ Er ſah vor ſich auf die Diele. Es war etwas Eigenes heut im Benehmen des Legationsrathes. So weich ſein Ton, ſo ſanft vorhin ſein Händedruck, ſo geſchmeidig, faſt herzlich ſein ganzes Benehmen; aber er ſah ſie nicht an, er ſtreckte nicht die Hand aus, um ſie auf ihren Arm zu legen, er ſaß iſolirt wie ein Träumer, und nur durch das Medium der Töne waren ſie in Berührung. „Die Klügſte kann ſich darin täuſchen!“ Er ſchien es nicht gehört zu haben. Er legte den Arm auf die Lehne, und ſeine Finger häm¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/344
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/344>, abgerufen am 12.05.2024.