nachdem er in der Genesung so vorgeschritten, der Arzt hatte zuversichtlich seine völlige Heilung versprochen, als die Angst, Gewissensbisse kann man sagen, daß er so lange nutzlos liegen mußte, ohne die Güte seiner Herrin durch seine Dienste erwiedern zu können. Wie durchzückte es ihn, als er hörte, daß Eure Erlaucht einen Berliner Kutscher interimistisch angenommen. Er biß sich in die Lippen und ballte die Hand, daß ein Anderer, ein Fremder, seine ge¬ liebte Herrin fahren sollte. Wir verbargen es Ihnen, er sprang nachher heimlich auf, kleidete sich an, und war schon auf dem Wege nach dem Stall. Wir kamen noch zur rechten Zeit. Als man ihn wieder in's Bett brachte, überfiel ihn der Paroxys¬ mus; er phantasirte nur von Peitsche und Pferden, er umklammerte sein Kopfkissen, wie man Einen erwürgt, und nannte es Christian. Nenne man es Eifersucht, Brodneid, es war etwas Edleres, meine ich, aber von da ab gab der Doctor die Hoffnung auf. Es thut mir leid, von einem Todten es zu sagen, aber der Mensch hat sich selbst umge¬ bracht. Ein Selbstmord aus Pflichtgefühl. Diese Excesse des Gefühls, Sie mögen mich darum tadeln, aber ich kann sie nicht gut heißen. Etwas Egoismus ist jeder Creatur nothwendig, oder sie hört auf zu existiren. Selbsterhaltungstrieb und einige vernünftige Ueberlegung wären Sie auch Ihren Leibeigenen einzuimpfen ihnen und sich selbst schuldig."
Die Fürstin warf ihm einen dankbaren Blick zu.
nachdem er in der Geneſung ſo vorgeſchritten, der Arzt hatte zuverſichtlich ſeine völlige Heilung verſprochen, als die Angſt, Gewiſſensbiſſe kann man ſagen, daß er ſo lange nutzlos liegen mußte, ohne die Güte ſeiner Herrin durch ſeine Dienſte erwiedern zu können. Wie durchzückte es ihn, als er hörte, daß Eure Erlaucht einen Berliner Kutſcher interimiſtiſch angenommen. Er biß ſich in die Lippen und ballte die Hand, daß ein Anderer, ein Fremder, ſeine ge¬ liebte Herrin fahren ſollte. Wir verbargen es Ihnen, er ſprang nachher heimlich auf, kleidete ſich an, und war ſchon auf dem Wege nach dem Stall. Wir kamen noch zur rechten Zeit. Als man ihn wieder in's Bett brachte, überfiel ihn der Paroxys¬ mus; er phantaſirte nur von Peitſche und Pferden, er umklammerte ſein Kopfkiſſen, wie man Einen erwürgt, und nannte es Chriſtian. Nenne man es Eiferſucht, Brodneid, es war etwas Edleres, meine ich, aber von da ab gab der Doctor die Hoffnung auf. Es thut mir leid, von einem Todten es zu ſagen, aber der Menſch hat ſich ſelbſt umge¬ bracht. Ein Selbſtmord aus Pflichtgefühl. Dieſe Exceſſe des Gefühls, Sie mögen mich darum tadeln, aber ich kann ſie nicht gut heißen. Etwas Egoismus iſt jeder Creatur nothwendig, oder ſie hört auf zu exiſtiren. Selbſterhaltungstrieb und einige vernünftige Ueberlegung wären Sie auch Ihren Leibeigenen einzuimpfen ihnen und ſich ſelbſt ſchuldig.“
Die Fürſtin warf ihm einen dankbaren Blick zu.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0278"n="268"/>
nachdem er in der Geneſung ſo vorgeſchritten,<lb/>
der Arzt hatte zuverſichtlich ſeine völlige Heilung<lb/>
verſprochen, als die Angſt, Gewiſſensbiſſe kann man<lb/>ſagen, daß er ſo lange nutzlos liegen mußte, ohne<lb/>
die Güte ſeiner Herrin durch ſeine Dienſte erwiedern<lb/>
zu können. Wie durchzückte es ihn, als er hörte, daß<lb/>
Eure Erlaucht einen Berliner Kutſcher interimiſtiſch<lb/>
angenommen. Er biß ſich in die Lippen und ballte<lb/>
die Hand, daß ein Anderer, ein Fremder, ſeine ge¬<lb/>
liebte Herrin fahren ſollte. Wir verbargen es Ihnen,<lb/>
er ſprang nachher heimlich auf, kleidete ſich an,<lb/>
und war ſchon auf dem Wege nach dem Stall.<lb/>
Wir kamen noch zur rechten Zeit. Als man ihn<lb/>
wieder in's Bett brachte, überfiel ihn der Paroxys¬<lb/>
mus; er phantaſirte nur von Peitſche und Pferden,<lb/>
er umklammerte ſein Kopfkiſſen, wie man Einen<lb/>
erwürgt, und nannte es Chriſtian. Nenne man es<lb/>
Eiferſucht, Brodneid, es war etwas Edleres,<lb/>
meine ich, aber von da ab gab der Doctor die<lb/>
Hoffnung auf. Es thut mir leid, von einem Todten<lb/>
es zu ſagen, aber der Menſch hat ſich ſelbſt umge¬<lb/>
bracht. Ein Selbſtmord aus Pflichtgefühl. Dieſe<lb/>
Exceſſe des Gefühls, Sie mögen mich darum tadeln,<lb/>
aber ich <hirendition="#g">kann</hi>ſie nicht gut heißen. Etwas Egoismus<lb/>
iſt jeder Creatur nothwendig, oder ſie hört auf zu<lb/>
exiſtiren. Selbſterhaltungstrieb und einige vernünftige<lb/>
Ueberlegung wären Sie auch Ihren Leibeigenen<lb/>
einzuimpfen ihnen und ſich ſelbſt ſchuldig.“</p><lb/><p>Die Fürſtin warf ihm einen dankbaren Blick zu.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[268/0278]
nachdem er in der Geneſung ſo vorgeſchritten,
der Arzt hatte zuverſichtlich ſeine völlige Heilung
verſprochen, als die Angſt, Gewiſſensbiſſe kann man
ſagen, daß er ſo lange nutzlos liegen mußte, ohne
die Güte ſeiner Herrin durch ſeine Dienſte erwiedern
zu können. Wie durchzückte es ihn, als er hörte, daß
Eure Erlaucht einen Berliner Kutſcher interimiſtiſch
angenommen. Er biß ſich in die Lippen und ballte
die Hand, daß ein Anderer, ein Fremder, ſeine ge¬
liebte Herrin fahren ſollte. Wir verbargen es Ihnen,
er ſprang nachher heimlich auf, kleidete ſich an,
und war ſchon auf dem Wege nach dem Stall.
Wir kamen noch zur rechten Zeit. Als man ihn
wieder in's Bett brachte, überfiel ihn der Paroxys¬
mus; er phantaſirte nur von Peitſche und Pferden,
er umklammerte ſein Kopfkiſſen, wie man Einen
erwürgt, und nannte es Chriſtian. Nenne man es
Eiferſucht, Brodneid, es war etwas Edleres,
meine ich, aber von da ab gab der Doctor die
Hoffnung auf. Es thut mir leid, von einem Todten
es zu ſagen, aber der Menſch hat ſich ſelbſt umge¬
bracht. Ein Selbſtmord aus Pflichtgefühl. Dieſe
Exceſſe des Gefühls, Sie mögen mich darum tadeln,
aber ich kann ſie nicht gut heißen. Etwas Egoismus
iſt jeder Creatur nothwendig, oder ſie hört auf zu
exiſtiren. Selbſterhaltungstrieb und einige vernünftige
Ueberlegung wären Sie auch Ihren Leibeigenen
einzuimpfen ihnen und ſich ſelbſt ſchuldig.“
Die Fürſtin warf ihm einen dankbaren Blick zu.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/278>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.